Der Wagenplatz Zomia von oben. Illustration: Lea Berndorfer
So sieht der Bauwagenplatz Zomia von oben aus. Illustration: Lea Berndorfer

Der Bauwagenplatz Zomia in der Sternschanze bietet 15 Menschen ein Zuhause – aber nur noch bis 2020, wenn es nach der Stadt geht. Dann werden die Bewohner wohl umziehen müssen. Ein Besuch auf dem Wagenplatz.

Die Illustrationen für diesen Artikel wurden von der HAW-Studentin Lea Berndorfer angefertigt.

Jeder Schritt knirscht, während Kai Mehring über den Schotter schlurft und sich dem Eingangstor nähert, das den Bauwagenplatz Zomia vom Asphalt der Straße trennt. Mitten in Hamburgs Sternschanze befindet sich auf der Brammerfläche die bunte Oase. Nicht nur oberflächlich trennen die beiden Gegenden Welten. Hier Mehrfamilienhäuser, Mietwohnung an Mietwohnung, dazwischen etliche Bars. Dort ganz individuell gestaltete alte Bauwagen, bewohnbare LKWs und selbstgebaute Ein-Raum-Häuschen. Vor einem Wagen steht eine große Figur aus Metallschrott. Vor einem anderen sind drei junge Birken gepflanzt. Zwischen dem Schotter ragen einzelne Beete mit Rosen und Kräutern heraus.

Kai Mehring und sein Wagen auf dem Wagenplatz Zomia.

Mehring lebt in einem schwarzen LKW, auf dessen Ladefläche sich ein kleines Holzhaus befindet. Durch schwarzgerahmte Fenster fällt viel Licht in den acht Quadratmeter-Raum, der ungefähr einen halben Meter über dem Schotterboden auf Stelzen steht. Eine kleine Diskokugel spiegelt die Sonnenstrahlen, die durch das große sternförmige Fenster an der Hinterseite fallen, auf die Holzwände.

Kai Mehring ist 36 und arbeitet in Teilzeit bei einem Beratungsunternehmen für Verkehrsfragen. Auf Zomia lebt er seit acht Jahren. Sein minimalistischer Lebensstil spiegelt sich auch in seiner Kleidung wider. Er trägt durchweg Schwarz: die eckige Brille, Jeans, T-Shirt und seine Stoff-Sneaker, alle sind in der dunklen Farbe gehalten. Obwohl eher der helle Hauttyp, ist er sonnengebräunt. Auch seine feinen blonden Haare werden von sonngebleichten Strähnen durchzogen.

Fast alles in seinem Wagen ist selbstgebaut: die Fenster, der Tisch, das Bett, der Stauraum. Deswegen steht auch bei ihm, wie in jedem Wagen, ein Werkzeugkoffer. „In so einem kleinen Raum ist nicht so richtig Platz für klassische Möbel“, sagt Mehring. Das sei aber auch nicht weiter schlimm. “Man soll sein Herz ja auch nicht an Dinge hängen.”

„Das Hier ist doch kein öffentliches Wohnzimmer“ 

Auf Zomia leben 15 Menschen ganz unterschiedlichen Alters. „Wenn jemand auszieht, kommt wer neues her“, sagt Mehring. „Das ist wie in einer WG – nur draußen und über einen Schotterplatz verteilt.” Neue Mitglieder werden allerdings erst aufgenommen, wenn alle Bewohner zugestimmt haben. Gäste sind auf dem Wagenplatz willkommen. Es gibt sogar einen extra Wagen für Besucher. Der sei aber vor allem für Freunde oder Verwandte, sagt Mehring. Über Airbnb kann man den Wagen nicht buchen. Trotzdem gibt es häufig ungebetene Gäste auf Zomia. Neugierige Passanten, die den Platz mit der nebenan liegenden Open-Air-Bar „Central Park“ verwechseln. Ganz nach dem Motto: „Wir gucken mal, was da so ist“ oder „Hier kann man doch gut chillen“. Solche Besucher mögen die Bewohner nicht. „Das ist doch hier kein öffentliches Wohnzimmer.”

Der Wagenplatz ist ein Zuhause auf Zeit

Um den Wagenplatz gibt es seit langem Streit mit der Stadt Hamburg. Das gilt aber nicht nur für Zomia. Auch andere Bauwagenflächen sind ständigen Konfrontationen mit der Stadt ausgesetzt. Große Flächen im Zentrum der Stadt seien heiß begehrt, so Mehring. Jeder habe gute Argumente, leer stehende Plätze zu beziehen.

Für 2020 plant die Deutsche Bahn den Abriss der denkmalgeschützten Sternbrücke, die den Wagenplatz an der Südseite kreuzt. Das würde für Zomia das Ende bedeuten, weil die Schotterfläche Teil der Baustelle wird. Auch die Gebäude der umliegenden Clubs und Kneipen wie der Wagenbau und die Astra-Stube wären betroffen. Danach soll die Fläche bebaut werden, neuer Wohnraum entstehen. „Natürlich kommen in einem Mehrfamilienhaus mehr Menschen unter als auf einem 15-Mann-Bauwagenplatz. Das Argument verstehe ich. Trotzdem: Zomia bleibt“, sagt Mehring. “Ohne Widerstand hat man keine Chance.” Dann laufe man Gefahr, wie der Wagenplatz in Diebsteich auf eine ehemalige Sondermülldeponie umgesiedelt zu werden. Der Hamburger Politik ist Mehring deshalb nicht wohlgesonnen.

Sternenbrücke und Karte vom Wagenplatz Zomia. Illustration Lea Berndorfer

Für Wagenplatzbewohnerinnen und -bewohner gelten allerdings auch Gesetze. Unabhängig von der geplanten Baustelle im Jahr 2020 ist es laut Wohnwagengesetz nur für einen begrenzten Zeitraum erlaubt, sich auf freien Flächen der Stadt niederzulassen. Das erklärt Barbara Ketelhut, Pressesprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. „Zomia konnte eine Befristung bis Ende 2019 erreichen. Schaustellerplätze wie die Brammerfläche in der Schanze dienen in der Regel nur einer zeitweiligen Unterbringung, bis die Bewohnerinnen und Bewohner in feste Wohnungen vermittelt werden.“

Trotz der gesetzlichen Auflagen ist die SPD-Fraktion Altona offen für Bauwagenplätze im Bezirk und will auch Zomia nach der Zulassungsfrist unterstützen. „Wenn es soweit ist, und die Deutsche Bahn ihre Baupläne realisiert, werden wir uns mit den Zomia-Mitgliedern zusammensetzen und nach einer Lösung suchen“, sagt Gregor Werner, Vorsitzender der SPD Altona Nord-Sternschanze und Baupolitiker der SPD Altona. Letztendlich komme es darauf an, wo sich Bauwagenplätze niederlassen. Werner zufolge sind manche Flächen, sogar im Zentrum, dadurch, dass sie leer stehen, ideal als Bauwagenplatz nutzbar, andere hingegen nicht.

Die Birken sind mittlerweile fest verwurzelt

Mehring weiß genau, was er nicht will. „Der romantische Teil meines Herzens denkt sich: Ein fester Ort zum Wohnen, den man selbst frei gestalten kann, hätte auch was“, sagt er und wirft einen Blick auf die Äste der Birken, die durch das geöffnete Fenster in seinen Wagen hinein reichen. „Aber ich habe keinen Bock auf ein großes Anwesen mit einem Berg Schulden.” Damals als Zomia vom Süden Hamburgs in die Schanze zog und klar war, dass der Platz bis mindestens 2019 bleiben kann, hat Mehring die Birken selbst in Wilhelmsburg ausgegraben und sie hier wieder eingesetzt  mit der Hoffnung, längerfristig bleiben zu können. Eine Hoffnung bleibt ihm noch: “Die Deutsche Bahn kommt ja eh immer zu spät.”