Sofia Halbach ist 21 Jahre alt und studiert angewandte Informatik. Eigentlich interessiert sie sich nicht für Autos – nun leitet sie das Hawks-Racing-Team der HAW Hamburg. Wie das passiert ist, kann sie erklären.

Berliner Tor 9, die Treppe runter in den Keller. Das Treppenhaus riecht nach altem Linoleum, wie im Krankenhaus. Der Boden ist grün, die Wände weiß. Unten angekommen, steht man vor einer alten Glastür mit einer Klingel. Die Tür ist verschlossen. Dahinter ist das Fahrzeuglabor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg). Es riecht nach Motoröl, der Boden ist aus Beton und altem Holz. Das Parkett ist leicht uneben, von Öl aufgequollen. Hinter der breiten Durchfahrt, in der Autos geparkt sind, ertönen Maschinengeräusche. Hier, unter dem Gebäude für Fahrzeug- und Flugzeugbau, ist die Werkstatt der Hawks.

Ein roter Kühlschrank voller Aufkleber im Büro. der Hawks.
Im Aufenthaltsraum und Büro der Hawks ist alles, was eine halbwegs glatte Oberfläche hat, beklebt. Foto: Antonia Fiedler

Hawks Racing – was dahinter steckt

Die Hawks heißen eigentlich Hawks Racing e. V. und sind ein Verein der HAW Hamburg. Die Hawks bauen Rennfahrzeuge für die Formula Student, den größten internationalen Konstruktionswettbewerb für Studierende. Insgesamt gibt es im Moment 84 Teams, die registriert und aktiv sind. In Hamburg bauen neben den Hawks auch das Team der Technischen Universität Hamburg (TUHH), die sich Egnition Hamburg nennen, und das Eleven-O-Six Racing Team der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg Rennwagen für die Formula Student.

Der vordere Teil der Werkstatt sieht aus, wie man sich eine Werkstatt vorstellt: Der Rennwagen ist aufgebockt auf Arbeitshöhe, ringsherum stehen große Maschinen, an denen gebohrt, geschliffen und gebogen wird. Dahinter kommt das „Büro“ – der Aufenthaltsraum der Hawks. Hier stapeln sich Kisten voller Kabel auf ölverschmierten Schreibtischen, Bauteile und Arbeitsschuhe in Regalen. Die Kühlschränke gut gefüllt mit Grillgut und Spezi, im Tiefkühler sind ausschließlich Pizza und Wassereis. Alles ist voller Aufkleber, eigene und die von anderen Teams, Produkten oder Werbung. Hier hängen Erfolge an den Wänden, auf einem Regal über der Tür zwischen Büro und Werkstatt stehen Pokale.

Formula Student beginnt im September

Im September startet jährlich die Saison der Formula Student. Jedes Jahr bauen die Teams dafür einen neuen Rennwagen, so schreiben es die Regeln des Wettbewerbs vor. Am Anfang steht die Idee, dann der Plan, eine neue Konstruktion. Nach Monaten der Planung geht im Winter die Bauphase los. Im Mai präsentieren die Hawks ihren neuen Wagen, im Sommer sind die Rennen in ganz Europa.

Es gibt weltweit Rennen, auch in Australien, die Hawks reisen dieses Jahr aber nur zu Rennen in Europa. In der Saison 2024 fahren sie nach Österreich, Tschechien und Italien. Das Team nimmt auch am Rennen auf dem Hockenheimring in Deutschland teil.

Die verschiedenen Disziplinen, in denen die Rennwagen der Hochschulen verglichen werden, zielen auf die Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche der heutigen Automobilbranche ab. Studierende sollen lernen zusammenzuarbeiten. Am Ende muss nicht nur ein fahrender Rennwagen her, auch Kosten, Auflistungen der verbauten Teile, technische Daten. „Es ist ein Riesenprojekt, heruntergebrochen auf ein Jahr“, so Sofia Halbach, Informatik-Studentin an der HAW und Teamcaptain bei den Hawks.

Sofia, 21, Teamcaptain

Sofia Halbach im Büro der Hawks am Rechner.
Sofia Halbach im Büro der Hawks. Foto: Antonia Fiedler

In der Werkstatt der Hawks arbeiten fast nur Männer – diese Saison sind nur fünf Frauen im Team. Insgesamt sind es gerade ungefähr 65 Mitglieder. Eine von ihnen ist Halbach. Manchmal sind mehr Frauen da, an dem Abend ist es nur die 21-Jährige. Sie studiert angewandte Informatik im Bachelor.

Zu den Hawks kam Halbach durch eine Rundmail der HAW Hamburg. Vor drei Jahren, zum Ende ihres ersten Semesters, haben sich die Hawks vorgestellt und für neue Mitglieder geworben. Halbach war interessiert, hat in der Werkstatt vorbeigeschaut und ist bis heute nicht wieder gegangen. „Eigentlich interessiere ich mich weder für Rennsport noch für Autos“, sagt sie.

Am Anfang war sie für alles Mögliche zuständig. Ihre erste große Aufgabe: Die Platine für den Wagen bauen. Halbach musste löten und programmieren, alles learning by doing. Natürlich gab es Hilfe von anderen Hawks, aber die Platine war ihr Projekt. Jetzt ist die ruhige, junge Frau mit den hellblonden Haaren die Vereinsvorsitzende für eine Saison, noch bis September 2024. Der Job passt zu ihr, auch wenn sie keine besonders laute Persönlichkeit ist. Sofia regelt Dinge. Sie schreibt Excellisten und hat Deadlines im Kopf.

Ein Vollzeitjob

Teamcaptain sein, das ist ein Vollzeitjob. Ein unbezahlter Vollzeitjob neben dem Vollzeitstudium. Das Studium wirkt bei vielen in der Werkstatt allerdings eher wie ein Nebenprodukt der Hawks. Die praktischen Erfahrungen und der Zusammenhalt im Team scheinen bedeutender als die nächste Klausur.

Sofia Halbach will bei den Hawks bleiben, aber ein weiteres Jahr als Teamcaptain kann sie sich aktuell kaum vorstellen. Sie habe viel gelernt, aber noch einmal Teamcaptain „das machen nur die ganz Verrückten“. Die Menschen bei den Hawks seien ein großes Argument, so Halbach. Es sei oft chaotisch, aber das Team hinter dem Rennwagen sei ein Grund, warum keine*r ein Problem damit habe, bis in die Nacht zu arbeiten. Alle sind freiwillig viele Stunden ihrer freien Zeit hier. Alle arbeiten für die Hawks, weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen.

Vorzeigeprojekt der HAW Hamburg

Für das Projekt verantwortlich ist Professor Christian Wolfgang Fervers, stellvertretender Departmentsleiter am Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau der HAW Hamburg. Er betreut das Projekt seit 20 Jahren. In der Werkstatt arbeiten allerdings ausschließlich Studierende an dem Rennwagen. Anfangs seien es nur Studierenden des Departments gewesen, Fahrzeugtechniker*innen und Flugzeugbauer*innen. Im Laufe der Jahre waren alle möglichen Studiengänge vertreten. „Jeder kann alles machen“, so Fervers. „Wer motiviert ist, lernt bei den Hawks was.“

In die Hochschullehre waren die Hawks nie eingebunden. Das sei nicht zu realisieren, sagt Fervers. „Ohne Freiwilligkeit funktionieren die Hawks nicht – es geht, weil keiner muss.“ In einem guten halben Jahr ein Auto zu bauen, das sei Arbeit genug. „Die Hawks sind sehr viel Realität für das Team – besonders für die leitenden Mitglieder“, sagt Fervers.

Doch was lernen die Studierenden? Bauteile am Rechner zu bemaßen etwa. Plane ein Studierender bei den Hawks ein Teil des Motors, berechne es, fertige es an der Drehbank an und das Teil passe dann nicht in den Motor, habe er einen „Selbstlerneffekt“, so Fervers. Nur mit dem Wissen aus einer Vorlesung baue man kein Auto.

Die Hawks verändern sich jedes Jahr, alleine durch Zu- und Abgänge im Team. „Wir entwickeln uns seit 20 Jahren weiter“, so Fervers. Er vergleicht die Lernkurve mit einer jungen Pflanze: Am Anfang entwickelt sich alles schnell, man sieht sofort einen Wandel. Nach einigen Jahren steht die Pflanze stabil, wächst langsam, aber stetig weiter.

Ohne Sponsoren geht nichts

Der Rennwagen Nova, H19.
Der Rennwagen Nova, H19 bei dem Rollout im Mai. Foto: Hawks Racing

Die Hawks sind ein Verein, alles läuft über Spenden. Einige der Sponsoren geben nur Geld, andere stellen auch Teile oder Programme zur Verfügung. Die Rennwagen kosten mehrere Hunderttausend Euro. Ohne Arbeitszeitkosten. Für einen Verein eine Riesensumme: nicht zu stemmen ohne ausreichend Unterstützung von außen. Vor allem nicht, wenn der Mitgliedsbeitrag 69 Euro im Jahr beträgt.

So entscheiden die Hawks im Bauprozess oftmals zwischen “selbst machen” oder “zukaufen”, je nachdem, welche Option günstiger ist. „Das Wissen im Haus zu haben ist gut“, sagt Halbach. Teile selbst zu bauen und die Konstruktion zu erarbeiten, fördert Know-how und schont im Zweifel die Vereinskasse. Auch die HAW schießt jährlich einen Betrag zu.

Nova, H19, der Neue

Der aktuelle Wagen heißt Nova, H19. 19, weil es das 19. Auto ist, das die Hawks bauen. Das erste Auto hieß Lady, H1. “Lady und Nova, weil jeder Rennwagen noch einen richtigen Namen bekommt”, sagt Halbach. Letztes Jahr gab es Nayra, H18. Das diesjährige Auto ähnelt dem des letzten Jahres, deshalb sind die Namen ähnlich, erklärt Halbach. Seit der Saison 2021/2022 bauen und fahren die Hawks Elektrofahrzeuge. Mittlerweile können die Autos auch autonom fahren. Das neue Auto soll immer besser sein als das im letzten Jahr – “so zumindest der Ansporn”, sagt Halbach. Zu ähnlich dürfen die Autos sich nicht sein, aber gut funktionierende Teile können übernommen werden. Der Traum für die Zukunft? “Vier separat angetriebene Räder.”

Das Team der Hawks beim Testen des H19.
Das Team der Hawks beim Testen des H19. Foto: Hawks Racing

Jede Person, die in einem Rennteam mitbaut, darf laut Regelwerk nur fünf Jahre mitbauen. Es soll fair bleiben innerhalb des Wettbewerbs. Und niemand soll wegen der Formula Student zu einem Langzeitstudierenden werden. Sofia Halbach ist schon seit drei Jahren dabei. Zwei darf sie noch. Bis dahin hat sie vermutlich ihren Bachelor. Für den Master an der HAW Hamburg bleiben? Unwahrscheinlich. Wie es nach dem Bachelor weitergehen soll? Weiß Halbach noch nicht so genau.

„Nur weil das Auto zusammenhält, fährt es noch lange nicht!“

Aktuell sind die Hawks in der Hochphase des Bauens. Theoretisch ist der Wagen fertig. Praktisch bessern die Studierenden noch einiges aus. Es ist den ganzen Tag jemand in der Werkstatt. Auch in der Klausurenphase, in der eigentlich Lernen angesagt ist. Bei Google steht unter Öffnungszeiten „Rund um die Uhr geöffnet“. Das entspricht der Realität, so Halbach. Gerade in der letzten Phase vor den Rennen im Sommer arbeiten die Hawks nächtelang am Auto. Nach dem Rollout im Sommer ist der Wagen noch lange nicht fertig. Während der Testfahrten erscheinen oft unvorhergesehene Probleme. „Nur, weil das Auto zusammenhält, fährt es noch lange nicht“, sagt Halbach.

Neben den Hawks schafft kaum eine*r ein anderes Hobby. In der Hochphase bauen die Hawks bis zu 60 Stunden die Woche – pro Person. Nächte lang schrauben sie an dem Rennwagen, verbessern, verstärken, entwickeln das Auto. Sofia Halbach nimmt nicht selten die letzte Bahn um 00:39 Uhr vom Berliner Tor nach Hause.

Neue Saison, neuer Captain

Für ihre Nachfolge als Teamcaptain muss Halbach jemand Neues finden. Letztes Jahr wurde sie gefragt, ob sie sich die Aufgabe vorstellen könnte. Dieses Jahr muss sie jemanden vorschlagen.

Und wie ist die Zeit als Teamcaptain für sie? Am Anfang habe sie die Verantwortung des Teamcaptains unterschätzt, besonders vor dem Rollout des Autos, gesteht Halbach. In den zwei Wochen davor geht es nochmal rund. Dass am Ende alles steht, sei ihr früher immer wie ein Wunder vorgekommen. Dabei war es Arbeit, Nachtschichten des damaligen Captains und der leitenden Teammitglieder. Das vermeintliche Wunder, “das muss ich dieses Jahr sein”, so Halbach.

Ihre Aufgabe: vor allem den Überblick behalten. Organisieren, andere erinnern, die Rennen im Sommer planen, eher Büroarbeit als schrauben. Für Halbach war das nicht immer einfach, aber sie lerne die ganze Zeit, sagt sie. Die Hawks sind ausschließlich Studierende, da kommt es auch zu Chaos. Halbach muss mitdenken und leiten, auch wenn ihr das nicht immer leichtfällt. „Notfalls schreie ich – dann geht’s!“ Eine der wichtigsten Erkenntnisse als Captain: „Wenn du es nicht machst, macht es niemand, da ist keiner mehr über mir.“

Nach dem wöchentlichen Teammeeting stehen alle von ihren Stühlen auf. Erst wird es ganz still, dann brüllt Halbach „Sixtynine“ und die heute 30 Männer ihr gegenüber brüllen „Hawks“ zurück. Danach ist das Teamtreffen beendet. Der Abend in der Werkstatt noch lange nicht.

Egal, was im Kühlschrank steckt: Antonia Luca Fiedler, geboren 1999 in Winsen an der Luhe, verwandelt es in ein köstliches Menü. Kreativ sein liegt ihr, beim Bauer Verlag hat sie Grafikerin gelernt. Außerdem arbeitete sie für Hörfunk und Fernsehen: Sie schmierte vor der Kamera Brote für einen Margarine-Test beim ZDF Berlin, moderierte fürs Hitradio Namibia und sammelte O-Töne für Rock Antenne Hamburg. Für Antonia gilt: Einfach mal machen - auch bei der Jugendarbeit im Schützenverein oder im Eine-Welt-Laden. Studiert hat Antonia Medienwirtschaft und Journalismus in Wilhelmshaven. Kürzel: alf