Vom Klassenzimmer ins EU-Parlament

Interview mit Nela Riehl

Nela Riehl, die frisch ins EU-Parlament gewählt wurde, vor der Elbphilharmonie.
Nela Riehl wurde bei der Wahl im Juni das erste Mal ins EU-Parlament gewählt. Foto: Meike Küther

Die Hamburger Lehrerin Nela Riehl ist bei den EU-Wahlen für Volt angetreten. Die Partei hat überraschend knapp drei Prozent der Stimmen bekommen. Deswegen geht es für Nela Riehl ins EU-Parlament nach Brüssel.

FINK.HAMBURG: Die Bundeswahlleiterin verschickt nach der Wahl Briefe an die gewählten Abgeordneten. Wie war es, als Sie schwarz auf weiß gesehen haben, dass Sie EU-Abgeordnete sind?

Nela Riehl: Ich war nicht zu Hause und der Brief wird per Einschreiben verschickt. Ich musste also zur Post, um den Brief abzuholen und dachte: Oh je, was habe ich denn verbrochen? Als ich den Brief geöffnet habe, habe ich mich aber total gefreut und das Mandat wurde realer.

Sie waren mit ihren Kolleg*innen vor ein paar Tagen das erste Mal in Brüssel. Wie war das?

Riehl: Das war gut und arbeitsintensiv. Wir haben uns morgens um acht getroffen und bis abends gearbeitet. Wir haben nebenbei mal schnell Pizza gegessen, aber keine Pause gemacht. Es hat sich so angefühlt, wie etwas, dass ich die nächsten Jahre machen möchte. Wir sind fünf Abgeordnete von Volt, insgesamt haben wir uns sehr gut zusammengefunden.

Was haben Sie da gemacht?

Riehl: Wir schließen uns wieder der grünen Fraktion im Europäischen Parlament an. Die Entscheidung haben wir in der Woche getroffen. Wir haben auch ausgelotet, ob wir zu Renew gehen, der liberalen Fraktion im EU-Parlament. Das heißt, wir hatten Gespräche und Verhandlungen sowohl mit den Grünen als auch mit Renew, und dabei ging es unter anderem darum, in welchen Ausschüssen wir arbeiten möchten. Das steht allerdings noch nicht fest. Außerdem haben wir darüber gesprochen, welches Personal wir einstellen wollen.

In welchen Ausschuss im EU-Parlament soll es für Sie gehen?

Riehl: Das steht noch nicht fest. Wir haben Wünsche angemeldet, das sind Themen, mit denen wir auch die Kampagne gestaltet haben. Bei Kai (Kai Tegethoff Anm. der Red.) ist das Mobilität und Klimawende, bei Damian (Damian Boeselager Anm. der Red.) Digitalisierung und ich versuche mich im Thema Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Außenpolitik einzubringen. Da gibt es natürlich auch bei den Grünen Politiker*innen, die da gerne arbeiten möchten, da müssen wir weiterverhandeln, wer in welchen Bereich darf.

Wie geht es für Sie weiter?

Riehl: Ich bin gerade wieder in Hamburg, weil ich erstmal wieder in die Schule gehe. Ich bin Lehrerin und muss tatsächlich heute noch zur Zeugniskonferenz und Zeugnisse schreiben. Das muss gemacht werden, auch wenn ich jetzt Parlamentariern bin.

Das ist auch etwas, das ich am Europäischen Parlament kritisiere. Ich kann nicht von heute auf morgen Vollzeit in Brüssel sein. Ich habe Kinder und um die ich mich kümmere, deswegen habe, ich gesagt, ich bin erstmal hier in Hamburg und arbeite durch viele Calls mit dem Team in Brüssel remote zusammen.

“Hätte Volt 3200 Stimmen weniger gehabt wäre ein Sitz mehr an die AfD gegangen. Das macht uns natürlich sehr stolz und zeigt: Engagement lohnt sich, wählen gehen lohnt sich”

Wie geht es offiziell weiter im EU-Parlament?

Riehl: Am 16. Juli ist unsere Amtseinführung, da bin ich eine Woche in Straßburg. Da ist auch die erste Plenarwoche, in der werden wir im Parlament das erste Mal arbeiten. Ich bin mir noch nicht richtig sicher, was da auf uns zukommt, aber ich bin total gespannt.

Wie schätzen Sie das EU-Wahlergebnis insgesamt ein?

Riehl: Wir von Volt freuen uns natürlich über unser Ergebnis, das ist ein kleiner Lichtblick, aber insgesamt ist es natürlich desaströs. Wir haben den Rechtsruck erwartet, wir haben es kommen sehen und trotzdem, wenn es Realität wird, dann ist das schockierend. Kais Platz, also unsere Nummer 3, wäre mit 3200 Stimmen weniger an die AfD gegangen. Das macht uns natürlich sehr stolz und zeigt: Engagement lohnt sich, wählen gehen lohnt sich.

Haben Sie vielleicht als Lehrerin noch einen anderen Einblick, warum gerade viele junge Leute die AfD gewählt haben?

Riehl: Ich habe das Gefühl, hier in Hamburg ist das nicht der Fall. Die Schüler*innen, vor denen ich stehe, sind divers und die Haltung der Kinder ist menschenfreundlich.

Sie ziehen nach Brüssel, was werden sie an Hamburg am meisten vermissen?

Riehl: Brüssel ist auch eine coole Stadt, die gefällt mir gut, aber Hamburg ist einfach unheimlich grün und es gibt viel Wasser und das vermisse ich jetzt schon. Auch den Hamburger Flair von Freiheit und das Nordische werde ich vermissen.

Sie sagten, dass Sie Stellen ausgeschrieben haben. Was für welche?

Riehl: Jeder von uns bekommt einen Social Media Manager*in, der sich gut mit Insta, LinkedIn, X, also möglichst allen Plattformen, auskennt. Am besten kann die Person auch schneiden und filmen. Das ist nicht meine Welt, aber Volt will die Menschen auf Insta bei unserer Arbeit mitnehmen, dafür brauchen wir fünf Leute, für jeden Abgeordneten einen.

Dann brauchen wir administrative Mitarbeiter*inen, die sich um Kalender, E-Mails und den Büroablauf kümmern. Die nächste Stelle sind Policy Advisor, also diejenigen, die mich auf die Ausschusssitzungen vorbereiten und mir dabei helfen, da inhaltlich einzusteigen.

Und Pressereferent*in, die sich mit der deutschen und internationalen Presse auskennen.

Haben Sie sich schon mit dem Gedanken angefreundet, dass Sie Personalverantwortung tragen? 

Riehl: Für mich ist das überhaupt nicht alltäglich und ich hoffe auch sehr, dass uns das als Team gelingt. Ich sehe mich nicht als Vorgesetzte. Ich möchte, dass wir konzentriert gemeinsam an Themen arbeiten – als Team.

Till Tognino, Jahrgang 2000, auf Bumble auch als der Junge mit dem „Colgate Lächeln“ bekannt, wollte eigentlich Goldschmied werden. Am Ende wurde es dann aber doch ein Journalismusstudium in seiner Heimat Magdeburg. Und siehe da - it’s a match. Seitdem schmiedet Till statt Goldketten lieber pointierte Texte. Mal für das MDR Fernsehen, dann für namibische Radiosender oder eine deutschsprachige Wochenzeitung in Spanien. Als selbsternannter „Politik-Nerd“ konnte er schon mit 13 alle Minister*innen aus Angela Merkels damaligem Kabinett aufzählen. Wenn er nicht gerade jemandem erklärt, was ein Überhangmandat ist, fotografiert er gerne. Lieblingsmotive: Papageien und Frösche aus Costa Rica, wo er acht Monate lang in einem Nationalpark gearbeitet hat. Kürzel: tog