Kleinparteien spielen eine wichtige Rolle in der Demokratie. Aufgrund der besonderen Umstände ist ihre Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl jedoch nicht garantiert – sie werden wohl über Weihnachten Unterschriften sammeln müssen.
Wer in Deutschland das Wort „Parteien“ hört, denkt vor allem an die Großen und Etablierten. Aber die deutsche politische Landschaft ist viel diverser. Parteien, die regelmäßig nicht in den Bundestag einziehen, nennt man Kleinparteien.
Unterstützungsunterschriften vor der Wahl
Kleinparteien müssen hohe bürokratische Anforderungen erfüllen, um an Wahlen teilzunehmen. Die vorgezogene Bundestagswahl verkürzt die Fristen für diese ohnehin herausfordernden Hürden. Um die Situation nachvollziehen zu können, haben wir mit Ole Teschke gesprochen, Bürgerschaftsspitzenkandidat für die Partei der Humanisten. Zudem liegen schriftliche Antworten von der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) vor. Weitere Kleinparteien haben Anfragen nicht beantwortet.
Parteien, die seit der letzten Wahl in keinem Bundes- oder Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten saßen, müssen Unterstützungsunterschriften sammeln. 27.000, um genau zu sein. So soll verhindert werden, dass einfach irgendeine Person auf dem Wahlzettel steht. Parteien müssen erst beweisen, dass sie Teile der Bevölkerung hinter sich haben. Diese Landesliste mit den Kandidat*innen der Parteien und den Unterstützungsunterschriften muss 97 Tage – also knapp 14 Wochen – vor der Wahl beim Bundeswahlleiter vorliegen.
Der genaue Zeitplan der Kleinparteien
Das Problem an den Unterschriften? Die Bundestagswahl wurde so kurzfristig vorgezogen, dass die Fristen für die Unterschriften beinahe unmöglich einzuhalten sind. Diese Problematik hat das Bundesinnenministerium anerkannt und die Fristen bereits nach hinten verschoben. Die Unterschriften müssen nun erst 34 Tage vor der Wahl zur Wahlleitung gegeben werden; bei einer Wahl am 23. Februar wäre das der 20. Januar. Warum auch das nicht reicht, hat Ole Teschke im Interview erklärt.
Anfang November hat sich entschieden, dass die Bundestagswahl vorgezogen wird. Um überhaupt an der Wahl teilzunehmen, muss eine Partei eine Landesliste aufstellen. Normalerweise passiert das auf dem Bundesparteitag. Aufgrund der früheren Wahl muss auch der Parteitag vorgezogen werden. Um zu diesem einzuladen, müssen Parteien Fristen einhalten, die sie in ihrer Satzung festgelegt haben. Bei der Piratenpartei zum Beispiel liegt diese Frist bei zwei, bei der Partei der Humanisten bei vier Wochen.
Im schlimmsten Fall konnte eine Kleinpartei ihre Landesliste also erst Anfang Dezember aufstellen. Diese Landesliste muss sie dann an die Landeswahlämter schicken. Die Unterstützungsunterschriften dürfen die Parteien nur auf speziell vom Amt erstellten Formularen sammeln. Bis diese Formulare erstellt sind, dauert es laut Teschke nochmal zwei bis drei Wochen – vorher gesammelte Unterschriften sind ungültig. Kleinparteien können also erst kurz vor Weihnachten tatsächlich mit dem Sammeln der Unterschriften anfangen.
Weihnachtsgeschenk: Unterschriften sammeln
In der dritten und vierten Dezemberwoche können die Parteien dann Unterschriften sammeln – also genau zur Weihnachtszeit und der Woche zwischen den Jahren. „Das ist ein großer Aufwand, den man sich eigentlich sparen könnte. Gerade zu dieser Jahreszeit“, so Teschke.
Schon kurz nach Neujahr müssen die Kleinparteien ihre Unterschriften gesammelt haben. Eigentlich liegt die Frist zwar erst am 20. Januar. Vorher müssen die Unterschriften aber vom lokalen Einwohnermelde- oder Wahlamt auf die Richtigkeit der Angaben hin geprüft werden. Dieser Prozess dauert auch nochmal einige Wochen. Die Unterschriften müssen deshalb schon bis Ende 2024 gesammelt sein, auch wenn die eigentliche Frist erst bei Mitte Januar liegt.
„Wenn jetzt noch weniger Entscheidungen an der Urne stattfinden können, sorgt das für mehr Verdrossenheit innerhalb unserer Gesellschaft, Spaltung und treibt den Rechtsruck weiter voran.”
Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz sieht die erschwerten Bedingungen für Kleinparteien als Gefahr für die Gesellschaft: „Wenn zu diesem kleinen Parteien-Spektrum jetzt noch weniger Entscheidungen an der Urne stattfinden können, sorgt das erneut für mehr Verdrossenheit innerhalb unserer Gesellschaft, Spaltung und treibt den Rechtsruck weiter voran.“
Keine wirkliche Hilfe von der Regierung
Bereits am 11. November haben sich acht Kleinparteien in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt, und auf diese Problematik aufmerksam gemacht. Erhofft war ein Reduzieren der benötigten Unterschriften; Erfolg hatte der Brief jedoch nicht.
In einer Pressekonferenz bestätigte das Bundesinnenministerium (BMI) diese Entscheidung: „Die gesetzlichen Vorgaben des Bundeswahlgesetzes sind da ganz klar. Über genau diese Vorgaben hat das Bundesverfassungsgericht auch 2005 entschieden und gesagt, das sei verfassungskonform […].“
Vermutlich bezieht sich das BMI mit dieser Aussage auf das Urteil vom 23.08.2005. Auch in diesem Jahr gab es eine vorgezogene Bundestagswahl. Damals hatten Kleinparteien dagegen geklagt, dass der Bundestag die benötigte Zahl der Unterschriften trotz verkürzter Zeit bis zur Wahl nicht reduzierte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte den Antrag abgelehnt, allerdings aus formalen, nicht aus inhaltlichen Gründen.
„Deswegen schließen wir auch nicht aus, dass wir nach der Wahl vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, weil die Wahl eben nicht nach den fairen Grundsätzen abgelaufen ist.“
Bei der letzten Bundestagswahl 2021 wurde die Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften auf ein Viertel reduziert. Die besonderen Umstände in der Pandemie hatten das Sammeln der Unterschriften erschwert, sodass diese Reduktion möglich war. Ob auch bei vorgezogenen Wahlen solche besonderen Umstände vorliegen, kann das BVerfG nach der Wahl in einem Wahlprüfungsverfahren prüfen. Wenn bei diesem Verfahren ein Fehler festgestellt wird, kann das BVerfG die Wahl für ungültig erklären.
Die Partei der Humanisten hält diesen Schritt für wichtig, wenn sie sich durch die Umstände als benachteiligt betrachtet: „Deswegen schließen wir auch nicht aus, dass, wenn […] uns dann ein Nachteil daraus entsteht […], wir nach der Wahl vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, weil die Wahl eben nicht nach den fairen Grundsätzen abgelaufen ist.“
Louisa Eck, Jahrgang 2002, schrieb in der 3. Klasse für die Schülerzeitung einen Artikel über einen Bauern, der Kastanien für seine Schweine sammelte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar: Sie möchte Journalistin werden. Louisa studierte Medienwissenschaft in Köln. Auch ein Abstecher in die PR beim dortigen Institut der deutschen Wirtschaft brachte sie nicht vom Journalismus ab. In der Domstadt entdeckte sie neben ihrer Liebe zum Karneval auch ihr Talent für die Herstellung von veganem Gebäck. Seit ihrem Umzug in ihre Geburtsstadt Hamburg ruht ihr Froschkostüm. Im HAW Newsroom verteidigt sie jetzt Alaaf gegen Helau und Kölsch gegen Alt und Astra. Kürzel: eck