Die Zwanziger sollen die „Zeit unseres Lebens” sein. Stattdessen verbringt Generation Z (zu) viel Zeit in den sozialen Medien und leidet unter Stress. Da hilft nur eins: Bildschirm aus. Mehr Schlaf. Und in Ruhe Nudeln kochen. FINK.HAMBURG-Autorin Eva Rabbe hat weitere Tipps gesammelt.
Titelbild: Illustration von Florentine Sießegger, Icon: Illustration von Elizaveta Schefler
Es ist kein guter Mix. Alles klingt gleich und seltsam verzerrt. Es ist zehn Uhr abends. Ich bin auf keiner schlechten Party. Ich bin in einem Rabbit Hole gelandet. Auf Tiktok. Eigentlich wollte ich die Küche aufräumen, Nudeln kochen und über die Zwanziger, also die Zeit meines Lebens, schreiben. Stattdessen schaue ich seit Stunden „What you should do in your Twenties”-Videos an.
Serie „Aus den 20ern“
Wohnung, Geld, Freund*innenschaften, Heirat: FINK.HAMBURG hat Personen unter dreißig befragt, welche Themen sie grade beschäftigen. Jedem Thema ist eine Folge der Serie gewidmet – um darüber zu diskutieren, einander besser zu verstehen und Lösungen zu finden. Mascha (21) hat gesagt: „Ich finde es schwer herauszufinden, ob die Zwanziger die Zeit meines Lebens sind. Gebe ich mir genug Mühe?” Die Serie erscheint jeden Donnerstag hier auf FINK.HAMBURG.
Ob auf Tiktok oder durch die Erzählungen unserer Eltern: Die Zwanziger werden nicht selten als frei und unabhängig romantisiert – als die „Zeit unseres Lebens“. Dabei sieht meine Realität anders aus. Zwischen Arbeit, Haushalt und Freundschaften habe ich oft das Gefühl, dass meine Zeit gar nicht reicht. Stattdessen fühle ich mich gestresst und ohne Fokus. Kann ich dem Ideal der Zwanziger trotzdem gerecht werden? Muss ich das überhaupt?
Zu viel Social Media, zu viel Stress
In den Tiktok-Videos heißt es, ich solle dieses und jenes tun und vor allem: nicht meine Zeit verschwenden! In den letzten ein, zwei oder auch drei Stunden habe ich aber genau das. Denn es sind mehr Informationen auf mich eingedroschen, als ich verarbeiten kann. Mein Gehirn gleicht einem Nudelsieb, das obendrein ungenutzt auf meiner Küchenablage steht.
Soziale Medien sind vergleichbar mit Drogen, schreibt Neurowissenschaftlerin Dr. Anna Lembke. Sie verstärken Merkmale, die süchtig machen: Zugang, Quantität, Neuartigkeit und Potenz. Plattformen wie TikTok bieten ständig neue Inhalte, die jederzeit und unbegrenzt zugänglich sind. Wohlfühlfaktoren potenzieren sich – etwa durch Filter, die das eigene Erscheinungsbild optimieren, oder durch Belohnungssysteme wie Likes und steigende Followerzahlen. Bei einer Sucht ist vor allem die Belohnungschemikalie Dopamin beteiligt: Das Nutzen sozialer Medien führt zu einer sehr hohen Dopaminausschüttung, welche Wohlbefinden erzeugt und die erneute Nutzung fördert. Bei Einstellung des Social-Media-Konsums, fühlen wir uns schlecht: Ein Dopamindefizit entsteht, da das Gehirn versucht, das vorherige Ungleichgewicht auszugleichen.
Auch abseits von Social Media bin ich weniger klar im Kopf, wenn ich zu viel arbeite, meinen Kalender überlade oder unter Druck stehe. Privates weicht Beruflichem – und während mein Gehirn versucht wie ein Multitasking-Board all meine Projekte nach Priorität zu ordnen, vergesse ich das Wichtigste: mich selbst.
Studien wie die von Mathura Shanmugas und Arunkumar Tamilarasu oder von Yehuda Wacks und Aviv Weinstein, zeigen, dass sich Stress und hohe Social-Media- oder Smartphone-Nutzung negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken. Das führt zu Symptomen, die in den sozialen Medien als „Brain Fog” bezeichnet werden. „Brain Fog” wird als ein negativer, kognitiver Zustand beschrieben, der sich in Symptomen wie Unfähigkeit zur Konzentration, Vergesslichkeit und geistiger Erschöpfung äußert.
Eine überlastete Generation
Nicht nur ich sollte mehr auf mich achten. Der Großteil meiner Generation ist überlastet: 51 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland leiden unter Stress. 36 Prozent der jungen Menschen sind erschöpft. Und 17 Prozent fühlen sich hilflos. Das zeigt die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024”.
Gründe sind vor allem Kriege und politische Krisen, die eigene Zukunftsplanung sowie Zeitdruck im Studium oder Beruf. Zudem berichten junge Menschen, dass soziale Medien ihre mentale Gesundheit, etwa das Selbstwertgefühl oder Ängste, negativ beeinflssenn. Dabei sind wir die Generation, welche am meisten Zeit in den sozialen Medien verbringt: Einer Umfrage von Pollfish zufolge nutzen 59 Prozent der 16- bis 24-jährigen täglich über eine Stunde lang Tiktok – jede*r Zehnte sogar fünf Stunden oder mehr.
Junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren verbringen durchschnittlich 79 Minuten pro Tag in den sozialen Medien. Dies zeigt die ARD/ZDF-Medienstudie 2024. Die meistgenutzten Plattformen sind Instagram und Tiktok. Studien zeigen, dass soziale Medien negative und positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben können. Sie können beispielsweise helfen neue Beziehungen aufzubauen und emotionale Unterstützungen zu finden. Gleichzeitig geht insbesondere eine übermäßige oder exzessive Social Media- und Handy-Nutzung, mit psychischen Belastungen wie Angst, Depressionen oder Einsamkeit einher.
Zeit für Achtsamkeit
Ich stehe auf, koche endlich meine Nudeln und schaue die kürzlich begonnene Krimi-Serie weiter: „Achtsam morden”. Dem Protagonisten verhilft ein Therapeut zu einem aufmerksameren, stressreduzierten Leben durch Achtsamkeitsübungen. Er empfiehlt Zeitinseln, also eingeplante Freizeiträume, die ausschließlich für eine Tätigkeit oder Person reserviert sind. In diesen Pausen solle man sich vollständig auf das Hier und Jetzt konzentrieren – ohne Handy. Diese „Inseln” dienen dazu, sich mental zu erholen und die eigenen Prioritäten zu klären, ähnlich wie ein Kurzurlaub für den Geist.
Mit Multitasking mehrere Sachen parallel zu schaffen, ist ein Irrtum, da das Gehirn nur eine geistig anspruchsvolle Aufgabe gleichzeitig bewältigen kann. Um der Abhängigkeit von digitalen Geräten und sozialen Medien nachhaltig entgegenzuwirken, kann eine längere digitale Auszeit, also ein digitaler Detox helfen. Neurowissenschaftlerin Lembke empfiehlt, mindestens einen Tag die Nutzung zu pausieren und bei starker Abhängigkeit, mindestens einen Monat. So lasse sich das natürliche Dopamin-Gleichgewicht des Gehirns wiederherstellen, wodurch wir unseren Fokus finden, alltägliche Freuden wieder schätzen lernen und uns langfristig besser fühlen können.
Ich schalte alle Geräte aus. In den Zwanzigern geht es ums Ausprobieren und Lernen. Dazu gehört, auf sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse zu hören. Ein erfüllteres Leben möchte ich nicht nur in den Zwanzigern, sondern langfristig führen. Achtsamkeit kann dabei helfen. Und im Moment wäre ein guter Anfang: mehr Schlaf.
Hilfsangebote und Hintergrundinformationen
Ihr fühlt euch gestresst oder wollt euch mit dem Einfluss sozialer Medien auseinandersetzen? Hier sind weitere Informations- und Hilfsangebote aufgeführt:
- Der Dokumentarfilm „The Social Dilemma” beschäftigt sich mit dem Suchtpotential sozialer Medien und den Auswirkungen auf die mentale Gesundheit.
- Dieser wissenschaftliche Artikel gibt einen kurzen Forschungsüberblick über die Auswirkungen digitaler Technologien auf die kognitive Fähigkeit. Es werden Ergebnisse aus Teilbereiche wie Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, Entscheidungsfindung oder kritisches Denken und Lernfähigkeit zusammengefasst.
- „Achtsam Morden“ ist eine Krimi-Serie, die Lektionen zur Achtsamkeit in die Handlung einbindet. Die Serieninhalte basieren auf der gleichnamigen Romanreihe des Autors Karsten Dusse, sind somit auch als Buch verfügbar.
- Das Buch „Die Dopamin-Nation” von Dr. Lembke erklärt die Überstimulation unseres Dopamin-Systems durch soziale Medien. Es zeigt auf, wie wir durch einen Digital Detox und andere Formen des Verzichts einer Abhängigkeit entkommen, das natürliche Gleichgewicht des Gehirns wiederherstellen und uns somit besser fühlen können.
- Der Psychologe Dr. Leon Windscheid beschäftigt sich in seinem Buch „Besser Fühlen” damit, wie wir unsere Gefühle verstehen und nutzen können, um gelassener zu werden. In seinem Podcast „Betreutes Fühlen” spricht er mit Comedian Atze Schröder über Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Themen wie Burnout, Resilienz oder toxische Männlichkeit.
- Das Buch „Das weibliche Gehirn” der Ärztin Dr. Lisa Mosconi beschäftigt sich mit dem unterschiedlichen Hirnstoffwechsel von Frauen und Männern. Es zeigt, wie Frauen das Gehirn besser schützen und die Gesundheit verbessern können.
- Jederzeit kostenlose telefonische Hilfe bei mentalen Herausforderungen gibt es bei der Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 oder per Whats App und SMS beim Krisenchat.
- Wenn ihr studiert, findet ihr in der Regel psychologische Erstberatungen oder Kurse zur Stressbewältigung auf der Webseite eurer Universität.
- Krankenkassen bieten kostenlose Gesundheitskurse wie Achtsamkeitstraining zur Stressbewältigung an.
- Körperliche Bewegung gleicht die negativen Effekte von zu viel Bildschirmzeit aus, indem sie die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert und Stress reduziert. Yoga integriert beispielsweise regelmäßige Achtsamkeitsübungen, welche die Konzentrationsfähigkeit steigern und helfen, besser mit Herausforderungen umzugehen. Günstige Angebote gibt es in Vereinen oder beim Universitätssport.
Eva Rabbe, Jahrgang 1999, kreidet auf den Straßen ihrer Heimatstadt Braunschweig sexualisierte Gewalt an und gründete 2020 die Initiative Catcallsofbs. Ihren Bachelor machte sie in Medienmanagement in Salzgitter. Für ein Praktikum bei Jung von Matt zog sie nach Hamburg. Dort entwickelte sie als Werkstudentin Social Media Konzepte für diverse Unternehmen: Nur Corona hielt sie davon ab, für Adidas den Halbmarathon in Berlin zu laufen. Privat joggt und fotografiert Eva gerne. Mittlerweile probiert sie sich zudem auf der Bühne im Thalia Theater aus. Kürzel: rab