
Musik verbindet Menschen, heißt es. Tanzen auch, da ist sich der Verein Über den Tellerrand sicher. Über den arabischen Ringtanz Dabke, mit dessen Hilfe sich Gemeinschaftsgefühle auf- und Vorurteile abbauen lassen.
Von Rachel Calé und Thanh Thanh Pham
Hamburg, auf der Oberhafenbrücke. Sie hätten allen Grund gehabt, an diesem Abend im November zuhause zu bleiben. Es regnet seit Stunden. Die Elbe ist grau und tosend, schwer vom Himmel abzugrenzen. Trotzdem sind sie gekommen, laufen vorbei an dem windschiefen Gebäude der Oberhafenkantine und den Lagerhallen. Früher gehörten diese zu einem Güterbahnhof. Heute haben hier verschiedene Kreativprojekte ihren Platz.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.
Sie laufen bis zur Halle 43f. Die Halle ist hell erleuchtet und warm. Endlich im Trockenen. Links ein zum Hocker umfunktionierter Sprungkasten, daneben aufgespannte Regenschirme. Rechts Sofas, auf denen sich Anoraks stapeln. In der Halle 43f, auch als Halle Hamburg bekannt, betreibt ein Verein auf 600 Quadratmetern eine Halle für Parkour und Freerunning. Jugendliche üben gerade Saltos.
Heute Abend soll hier noch etwas anderes geübt werden. Links von der Bar führt eine Tür in einen Raum mit einer verspiegelten Wand. Dabke steht auf einem kleinen Papierzettel und hilft den Besucher*innen dabei, sich zu orientieren. Nach und nach trudeln sie ein, begrüßen sich mit Handschlag, Umarmungen und freundlichen Worten – hier ist jede Person willkommen. Die Teilnehmenden wohnen alle in Hamburg und haben russische, iranische, syrische oder deutsche Wurzeln. Heute Abend sind sie hier, um den arabischen Ringtanz Dabke zu lernen.
Austausch zwischen Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte

Der Kurs wird vom Verein Über den Tellerrand organisiert und soll Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte zusammenbringen. Das Ziel ist es, interkulturelles Verständnis auf- und Vorurteile abbauen. Lena Kern (31) vertritt heute Abend den Verein. Sie hat den hamburgischen Ableger des Vereins 2014 als freiwillige Helferin mitgegründet und ist inzwischen in Teilzeit angestellt. Zum Dabketanzen geht sie aber ehrenamtlich: „Ich liebe den verbindenden Charakter des Dabke. Dieser Tanz ist wie eine internationale Sprache“, erzählt sie. Die konkrete Idee entstand nach einem der Kochevents. Nach dem Abwasch werde immer Musik angemacht und Dabke getanzt. Irgendwann wollten sie und andere Anwesenden den Tanz mal richtig lernen, erzählt Kern. „Die meisten, die gut Dabke tanzen können, sind aber leider nicht so gut im Erklären.“
Einer kann beides, gut Dabke tanzen und gut erklären. Ali Ahmad (33) ist ein Multitalent. Ausgebildeter Schauspieler, Parkour-Trainer und jetzt auch Dabke-Lehrer. Weil er in der Halle Hamburg trainiert, kam ihm die Idee, den Tanzkurs hier stattfinden zu lassen. Der gebürtige Syrer steht vor der achtköpfigen Gruppe, der Kurs startet eine halbe Stunde zu spät. „Wie immer“, sagt Kern und schmunzelt. Der Kurs baut nicht aufeinander auf, allerdings sei es sinnvoll, wiederzukommen und regelmäßig Dabke zu lernen, meint Ahmad. Heute ist der zweite Abend, an dem er die Schritte erklärt. Nicht alle beginnen von vorn. Eine Besucherin hat schon mal in Berlin Dabke gelernt. Eine andere war letzte Woche da. Auch ein syrischer Gast, der schon viele Kochevents von Über den Tellerrand besucht hat, will den Tanz endlich richtig lernen.
Dabke: ein Tanz für Hochzeiten, Geburtstage und andere Partys
Der Grundschritt ist einfach, der Takt sechs Schläge lang. Die Gruppe übt zunächst jede*r für sich allein, in einer Reihe stehend. Der linke Fuß geht nach rechts, der rechte Fuß folgt. Das Ganze noch einmal. Dann ein bisschen anders: Tapp nach vorne, Tapp nach hinten, fertig ist der Grundschritt. Es kommen mehr Variationen dazu, sie stellen die eigentliche Schwierigkeit dar.
Dabke wird vor allem in Ländern des Nahen Ostens getanzt, vor allem auf Hochzeiten, aber auch auf Geburtstagsfeiern oder anderen Partys. In Palästina, Syrien, im Libanon und in Jordanien gibt es jeweils unterschiedliche Variationen. In Palästina ist der Tanz 2023 zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.
Ahmad tanzt Dabke, seitdem er laufen kann. „Noch bevor ich geboren wurde“, sagt er im Scherz. Der Tanz sei für ihn etwas, was er wirklich gut könne und sich deshalb dort komplett sicher fühle, ergänzt er. Zum Dabketanzen braucht man nicht viel, nur den Rhythmus und die Melodie. Den Rhythmus geben die Bechertrommel Darbuka und die Zylindertrommel Tabel vor, die Melodie macht oft eine Flöte. Es reicht aber auch ein Keyboard. So werde es bei einigen Dabke-Partys gemacht, die in den vergangenen Jahren regelrecht boomen, sagt Kern. Auf Kampnagel werden zum Beispiel regelmäßig solche Partys veranstaltet.

Beim Dabke-Kurs wird es jetzt komplizierter, der Grundschritt bekommt jetzt noch mehr Variationen. „Ihr könnt alles machen, wichtig ist nur, dass ihr wieder auf der Sechs ankommt,“ erklärt Ahmad. Gemeint ist der letzte der sechs Taktschläge. Wieder bewegt sich die Gruppe von einer Seite des Raums zur anderen, mal jede*r für sich allein, mal an den Händen haltend, wie es beim Dabketanzen üblich ist. Nach einer Dreiviertelstunde ist allen warm. Trainer Ahmad öffnet die Tür und lässt die kalte Herbstluft in den Raum.
Plan für das nächste Jahr: Ein mehrwöchiger Dabke-Kurs
Der Kurs solle einerseits die traditionelle Form des Dabke bewahren, erzählt er. Andere Kurse würden nur den Grundschritt vermitteln, mehr nicht. „Wenn, dann wollen wir es richtig beibringen.“ Das andere, größere Ziel, Menschen zusammenbringen und eine starke Gemeinschaft schaffen, sei bei einmaligen Events nicht so einfach, ergänzt Kern. Deshalb plant der Verein für das kommende Jahr, einen mehrwöchigen Dabke-Kurs anzubieten. Der ist verbindlicher und verspricht größere Lernerfolge.
Der Verein Über den Tellerrand e. V. gründete sich 2013 in Berlin und organisierte zunächst Kochevents. Diese sollten einen Begegnungsraum schaffen für Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind und denjenigen, die hier schon lange leben. Inzwischen ist der Verein in über 40 deutschen Städten aktiv. Inzwischen sind neue Formate hinzugekommen. Gemeinsame Spaziergänge zum Beispiel.
Zehn Minuten vor dem Ende. Ahmad steht vorne und hält nun eine Gebetskette, die er gleich kreisen lassen wird, in seiner freien rechten Hand. Das gehöre zur Tradition und würde die Gruppe im Rhythmus halten. Beim Üben hatte er sie noch weggelassen. Die anderen reihen sich hinter ihm ein, an den Händen miteinander verbunden. Die Musik, die er vom Smartphone steuert, ist jetzt schneller. Ein Instrument ist dazugekommen, von dem er zu Beginn erzählt hat: die Längsflöte Mejozz. Die Anweisung für das Finale: „Übt mal alles, was wir heute gelernt haben, aber bleibt im Takt.“ Ahmad tanzt und tanzt. Das Schwierige beim Dabketanzen ist, sich nicht von den Variationen des Vortänzers verwirren zu lassen.
Am Ende des Abends sind alle beseelt von der arabischen Musik und auch ein bisschen ausgepowert. Die viele Beinarbeit macht müde. „Sehen wir uns nächste Woche wieder?“, fragt Trainer Ahmad in die Runde. Am schönsten wäre ein regelmäßiger Kurs, da sind sich Ahmad und Kern einig, die Räumlichkeiten wären jedenfalls passend. Ob es dazu kommt, sei abhängig von Fördermitteln, die der Verein gerade beantragt. Es bleibt also abzuwarten, ob 2025 in der Halle 43f erneut neben Parkour-Akrobatik auch Dabke geübt wird.