Rikshafahrten, Tanztees in angesagten Clubs auf dem Kiez oder Musicalbesuche: Alltag für die Senioren und Senioritas von „Oll Inklusiv“. Mit der Initiative wollen Gründerin Mitra Kassai und ihr 40-köpfiges Team ältere Menschen aus der Einsamkeit holen.
Anfang Mai, Landungsbrücken, Hamburger Hafen. Ein warmer Freitagmorgen, das Deck 3 ist voller Menschen, die darauf warten, in die Fähre zu steigen. Manche kaufen sich noch schnell ein Fischbrötchen an einem der zahlreichen Imbisse. Man hört den Motor der Schiffe, das Kreischen der Möwen und spürt die Freude der Touristen und Einheimischen über den ersten Sonnenschein. Aus der Masse sticht eine leuchtend grüne Kappe hervor mit dem Schriftzug „Wir lieben Senioren und Senioritas!“. Folgt man der leuchtend grünen Kappe, steht da eine Gruppe von zehn Frauen, die sich auf einen ereignisreichen Tag freuen.

„Herzlich willkommen bei ‘Oll Inklusiv‘“, sagt Ina, die Frau, der die leuchtend grüne Kappe gehört. Sie ist eine von den 40 Freiwilligen im Team von „Oll Inklusiv“ und hat eine Wanderung über ihre liebste Wanderstrecke organisiert: Der Beginn ist in Cranz, danach gibt es einen kurzen Stopp in Estebrügge, Ziel der Tour ist die Altstadt von Buxtehude. Bei den Teilnehmerinnen macht sich Neugier und Freude breit und die Gruppe steigt nach der herzlichen Begrüßung in die Fähre nach Finkenwerder.
Wie die Idee zu „Oll Inklusiv“ entstand
„Oll Inklusiv“ ist eine gemeinnützige Initiative aus Hamburg, die seit 2018 besteht. Das Angebot ist vielfältig: von Besuchen auf dem “Online Marketing Rockstars Festival” (OMR) bis hin zu historischen Rundgängen durch Hamburg. Die Initiative richtet sich an Menschen ab 60 Jahren. Freiwillige und Helfer*innen ab 18 Jahren sind bei „Oll Inklusiv“ jederzeit willkommen.
Die in München geborene Gründerin Mitra Kassai will mit der Gründung der Initiative insbesondere gegen Alterseinsamkeit und -Armut ankämpfen. Die Idee zu „Oll Inklusiv“ sei durch einen Austausch zwischen ihr und ihrer Mutter entstanden, erzählt Mitra. Mit zunehmendem Alter sei es ihrer Mutter aufgefallen, dass sich das kulturelle Angebot für ältere Menschen in dem Spektrum von klassischer Musik bis hin zum Singen von Volksliedern bewege. Die Mutter habe sie aufgefordert, sich „mal was auszudenken“, berichtet Mitra. „Warum nicht auch sonntagnachmittags in die Clubs gehen?“, habe sie sie gedacht. Das sei der Start von „Oll Inklusiv“ gewesen. Seitdem ist der Teetanz ein fester Bestandteil des vielfältigen Angebots.

Ina ist seit Oktober 2023 Teil von „Oll Inklusiv“. Begonnen hat alles, als sie zufällig ein Interview der Gründerin, Mitra Kassai, in der Sendung „3 nach 9“ beim NDR gesehen hat. In dem Beitrag berichtete Mitra von einer Rikshafahrt, die sie mit einem Oma-Enkelin-Duo mitten in der Coronapandemie unternommen hat. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen hatte sich die Enkelin an Mitra gewandt und sich gewünscht, ihre Oma noch einmal zu sehen. Um den damaligen Abstandsregelungen der Coronapandemie gerecht zu werden, organisierte Mitra die Rikshafahrt so, dass die Oma der Enkelin mit Mundschutz in der Riksha saß und die Enkelin mit Inlinern nebendran mitgefahren ist. Ina sagt: „Das hat mich zutiefst berührt.“
Nach längerer Recherche und etwas Bedenkzeit fasste Ina den Entschluss, sich bei „Oll Inklusiv“, als Teilnehmerin anzumelden. Ihre erste Veranstaltung damals: Teetanz im Schmidtchen Theater auf dem Kiez. Mittlerweile gehört sie zum 40-köpfigen Freiwilligenteam und ist ein fester Bestandteil der Initiative. Sie sagt: „Ich möchte als Oldie den jungen Menschen und Mitra etwas zurückgeben, die sich rührend um uns kümmern.“

Bei der Fahrt auf der Fähre weht der Wind im Nacken. In der Gruppe herrscht eine ausgelassene Stimmung und gleichzeitig spürt man eine gesunde Portion Aufregung bezüglich der noch unbekannten Wanderstrecke.
„Wir liebes es und finden es toll, dass es so etwas gibt“, sagt Teilnehmerin Uschi, bei der Fahrt nach Finkenwerder. Sie ist nach Norderstedt gezogen, um in der Nähe ihrer Familie zu sein. Zu „Oll Inklusiv“ kam sie dank einer Sportkollegin, die sie 2018 zu einer kostenlosen Lesung mitgenommen hat. Danach hinterließ Uschi ihre Mailadresse und ist seitdem regelmäßig bei den Veranstaltungen von „Oll Inklusiv“ dabei. Sie erzählt, dass sie dank der Initiative eine Freundesgruppe gefunden habe, mit der sie regelmäßig auch außerhalb von „Oll Inklusiv“ unterwegs ist. Für sie steht fest: „Man muss Interesse haben, sonst kann man auch gleich zuhause bleiben.“
Einsamkeit im Alter
Das Thema „Einsamkeit“ ist bei älteren Menschen ein Problem. Aus einer Veröffentlichung des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass ältere Menschen große Schwierigkeiten haben, sich aus der Einsamkeit zu befreien, wenn sie diese erstmal erleben. Um Einsamkeit zu vermeiden, ist es wichtig, bestehende Kontakte zu pflegen oder neue Personen kennenzulernen. Im Alter nehmen auch gesundheitliche Probleme zu, diese kosten Zeit und Energie. Zeit und Energie, die vielleicht fehlt, um soziale Kontakte aufzubauen.
Gleichzeitig betont das DZA, dass umfangreiche Forschungen zeigen, dass Einsamkeit nicht zwangsläufig mit dem Alter zunimmt. Älteren Menschen sei es oft wichtiger, enge zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, als zahlreiche soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Bei jüngeren Menschen sei es häufig eher umgekehrt. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung würden Ältere über sehr gute soziale Fähigkeiten verfügen, die ihnen dabei helfen können, die Qualität ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern oder sich von negativen Kontakten schneller zu trennen. Bei „Oll Inklusiv“ gilt das Motto „You are never oll alone“, sagt Mitra gegenüber FINK.HAMBURG.
Angekommen in Cranz beginnt die Wanderung durch die idyllische Landschaft. Überall sieht man Bauernhöfe, Apfelbäume und verträumte Häuser. Für Ina ist die Strecke ein besonderer Ort, sie sagt: „Ich finde, hier ist die Welt noch heil und ich kann hier das Grauen vergessen, das im Moment in der Welt ist, also die Kriege, die politische Situation und die Umweltkatastrophe.“ Die Begeisterung von Ina überträgt sich auf die Teilnehmerinnen, sie lachen, machen Fotos von der Landschaft und knüpfen untereinander Kontakte oder pflegen bereits entstandene Freundschaften.
„Mittlerweile bin ich fünf- bis sechsmal die Woche unterwegs“, erzählt Susanne auf dem Weg nach Estebrügge. Eine Bekannte hat sie vor zwei Jahren überredet, zu einer Veranstaltung von „Oll Inklusiv“ mitzukommen. Sie habe zu ihr gesagt: „Komm mal mit, es ist eine tolle Organisation.“ Susanne ist seit zwei Jahren verwitwet und hat es dank „Oll Inklusiv“ geschafft, sich aus der Einsamkeit zu befreien.
Sie erzählt, dass viele Teilnehmer*innen die zu „Oll Inklusiv“ kommen, verwitwet seien. „Zu vielen Veranstaltungen, würde man allein nicht hingehen.“ Viel zu groß sei die Hemmschwelle, sich erstmal zu überwinden, sobald man auf sich allein gestellt sei, berichtet Susanne. Sie ist fest davon überzeugt, dass „Oll Inklusiv“ ihren Alltag verändert hat. Sie hat mittlerweile neue Freundschaften geschlossen, mit denen sie auch außerhalb von „Oll Inklusiv“ Ausflüge unternimmt.





Gegen die Altersarmut
„Mein Highlight war König der Löwen“, schwärmt Teilnehmerin Birgit nach der kurzen Pause in Estebrügge. Musicalbesuche ohne die Inititative, sagt sie, könnte sie sich nicht leisten. Auch Teilnehmerin Susanne schwärmt von dem Musicalbesuch, den sie „vermutlich ohne ‚Oll Inklusiv‘ nicht gemacht hätte“. Ihr Highlight war jedoch der Besuch auf dem Wacken-Festival. „Das fand ich als Erlebnis schön.“
Altersarmut ist unter Rentner*innen tatsächlich ein großes Problem. Laut den Ergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen in Europa aus dem Jahr 2024, betrug die Armutsgefährdungsquote bei Frauen in der Bevölkerung 16,2 Prozent und bei Männern 14,7 Prozent, mit zunehmendem Alter vergrößert sich der Abstand noch. Eine Person gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2024 lag dieser Wert für Alleinlebende in Deutschland bei 1381 Euro im Monat.
Auf den letzten Metern nach Buxtehude: Alle bedanken sich bei Ina noch während der Wanderung für die Organisation. Am Ziel angekommen, erhält Ina einen großen Applaus und die Gruppe macht sich auf den Weg in ein Café in Buxtehude, um den Tag ausklingen zu lassen.
Mitra sagt: “Die Welt gehört uns allen, den Jungen und den Alten, sowohl digital als auch analog.“ Sie hat zusätzlich eine App entwickelt, mit der sich Senioren und Senioritas untereinander vernetzen und sich für die Ausflüge und Aktivitäten von „Oll Inklusiv“ anmelden können. Auch Themen wie Diversität, Offenheit und Respekt werden bei „Oll Inklusiv“ großgeschrieben. Für Mitra ist deshalb auch klar: „Bei uns kann jeder und jede kommen. Es sind alle herzlich willkommen, außer Nazis!“
Vorträge über jüdisches Leben, Podcast- und Fernsehauftritte in der “Tagesschau” sowie Shakehands mit Robert Habeck – Alltag für Rebecca Vaneeva, Jahrgang 2001. Ihre jüdischen Wurzeln spielen für Rebecca eine große Rolle, daher ist die gebürtige Hamburgerin auch Vorsitzende in einem jüdischen Studierendenverband. Wenn sie mal nicht ehrenamtlich unterwegs ist, liest Rebecca die Thesen von Pierre Bourdieu, singt die Songs ihres Lieblings-„Friends“-Charakters Phoebe oder backt ihre berühmten Hefe-Zöpfe. Nach einem Studium in Sozialökonomie und Erfahrungen vor der Kamera wagt Rebecca jetzt den Blick hinter die Kulissen des Journalismus – die perfekte Gelegenheit, um den Kontakt zu Robert Habeck aufzufrischen.
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