Andrea Nuack und Ute Knoop-Troullier kochen zusammen im Oma Liebe Lunch Club Foto: Paula Maria Coscia

Im Oma Liebe Lunch Club kochen Seniorinnen traditionelle Hausmannskost – genau wie bei Oma. Bei einer kulinarischen Zeitreise erleben die Gäste nicht nur Geschmackserinnerungen, sondern auch wertvolle Begegnungen, die Nähe schaffen und Einsamkeit im Alter entgegenwirken.

Kuchenduft breitet sich in der kleinen Küche aus, auf dem Herd dampfen frisch gekochte Kartoffeln. Es riecht nach Omas Küche. Als sie unermüdlich in der Küche stand, Gemüse schnitt, Soßen rührte und Teig knetete. Ganze Menüs machte sie von Hand, ohne Fertigprodukte zu Hilfe zu nehmen. Hier, in einer Restaurantküche im Schanzenviertel, fällt gerade eine Pellkartoffel nach der anderen in einen großen Kochtopf. Geübt fährt Oma Ute Knoop-Troullier mit einem Messer über die Oberfläche einer Kartoffel und löst die dünne Schale ab. Die gepellten Kartoffeln landen mit einem Handschwung im Topf. Sie betrachtet zufrieden den Kartoffelberg: „Fast geschafft“, sagt Ute.

Heute gibt es Matjes nach Hausfrauenart mit Pellkartoffeln. Neben ihr zieht bereits die Hausfrauensoße durch, die sie am Morgen zubereitet hat. Sie besteht aus Äpfeln, Zwiebeln und Gewürzgurken, vermischt mit Schmand und saurer Sahne. Ein Klassiker, den Ute zum Matjes serviert. Köchin Andrea Nuack beugt sich über die Schüssel mit der Hausfrauensoße und nickt zufrieden: „Genau die richtige Konsistenz“, sagt sie. Nicht mehr lange und Utes Gericht landet auf den Tischen – der Mittagstisch im Oma Liebe Lunch Club beginnt pünktlich um 12 Uhr.

Die Speisekarte des Oma Liebe Lunch Pop-Up-Restaurants steht als Austeller auf dem Tresen. Es ist eine weiße Karte mit schwarzer Schrift, auf der die Wochengerichte des Oma Liebe Lunch Pop-Up-Restaurants zu lesen sind.
Das Pop-Up-Restaurant bietet eine wöchentlich wechselnde Speisekarte an Foto: Paula Maria Coscia

Das Konzept des Oma Liebe Lunch Clubs

Von Mittwoch bis Freitag verwandelt sich das Café Lorenz in einen Pop-up-Mittagstisch. Das Café versteckt sich in einer kleinen Seitenstraße im Schanzenviertel. Modern eingerichtet, bietet es an den schwarzen Tischen und Holzstühlen Platz für etwa 40 Gäste. Hellgraue Wände, schlichte Holzregale und auf den Fensterbänken reihen sich bunte Vasen in verschiedenen Größen, gefüllt mit Trockenblumen und Pampasgras. Frischer Kuchen steht bereits auf der großen Theke, dahinter liegt die kleine, offene Küche, aus der verlockende Düfte strömen.

Das Café Lorenz von Außen. Eine helle Leuchtschrift formt den Namen Lorenz rechts neben der Eingangstür. Rechts und links sind Große Fenster. Auf den Fensterbänken stehen Grüne und blaue Vasen mit Trockenblumen.
Das Café Lorenz in der Margaretenstraße in Eimsbüttel wird drei Mal die Woche zum Pop-Up-Mittagstisch Oma Liebe Lunch Club Foto: Paula Maria Coscia

Seniorinnen (Omas) im Alter zwischen 60 und 87 Jahren kochen hier Hausmannskost nach alten Familienrezepten.  Das nostalgische Pop-up-Restaurant serviert Klassiker wie Königsberger Klopse, Senfeier oder Kohlrouladen. Die Idee stammt von Foodexperte Boris Rogosch, der traditionelle Rezepte neu aufleben lassen wollte. Ursprünglich wollte er mit dem Projekt durchs Land reisen und sie für seinen Podcast „Foodtalker“ sammeln. Dann kam ihm der Gedanke: „Es wäre schön, alle an einem Ort zu versammeln – die Omas und ihre Rezepte“. Ihm fiel die Betreiberin des Café Lorenz ein und sprach sie schließlich an, ob sie ihr Café für das Projekt zur Verfügung stellen würde.

Seit November 2024 gibt es hier täglich von 12 bis 14:30 Uhr ein traditionelles Gericht für 10 bis 14 Euro. Auch Omas aus Korea und Venezuela kochen ihre traditionellen Rezepte. Zusätzlich gibt es eine vegane oder vegetarische Option. „Es soll für jeden etwas dabei sein“, so Boris.

Die Küchencrew der besonderen Art

Kurz vor zwölf – ein letzter Handgriff, dann öffnen sich die Türen. Ute streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stellt den Kartoffeltopf auf den Herd. Sie trägt eine hellgraue Schürze mit der Aufschrift „OmaLiebe“. Ute erzählt, dass sie in der Zeitung gelesen habe, dass Omas gesucht werden, die gerne kochen. Schon als junges Mädchen entdeckte Ute ihre Leidenschaft fürs Kochen. Sie koche gerne für ihre Familie, für Freunde und hat bereits mehrere Jahre ehrenamtlich für Kinder gekocht. „Kochen ist für mich keine Arbeit, ich entspanne mich dabei. Es macht mir große Freude Gäste zu bewirten. Wenn ich sehe, dass es ihnen schmeckt und sie zufrieden sind, erfüllt mich das”, sagt Ute. Sie hat sich mit dem Rezept Hamburger Saure Suppe beworben. Die traditionelle norddeutsche Suppe kennt heute kaum noch jemand: „Sie wird aus einem Schinkenknochen gekocht, mit Backobst, Gemüse und Mehlklößen“, erklärt Ute. An diesem Tag gibt es aber Matjes „das ist ein leichtes Sommergericht“, sagt Ute und lächelt dabei.

Drei Personen stehen nebeneinander vor einer hellgrauen Wand im Café Lorenz. In der Mitte steht ein Mann mit einem grauen Pullover, rechts und links von ihm steht jeweils eine Frau. Diese tragen eine beigen Schürze mit der Aufschrift Oma Liebe.
Oma Ute Knoop-Troullier, Foodtalker Boris Rogosch und Köchin Andrea Nuack im Pop-up-Restaurant Oma Liebe Lunch Club Foto: Paula Maria Coscia

Andrea ist zwar noch keine Oma, doch als ausgebildete Köchin unterstützt die 44-Jährige die Omas beim Kochen. Sie ist fest angestellt und sorgt dafür, dass alles reibungslos läuft. „Zu den Omas sag ich immer: Ich bin die Mütze, wenn ihr das wollt”, erklärt sie und lächelt Ute zu. Heißt: Sie übernimmt bei Bedarf die Leitung. Manche Omas steigen vorsichtig ein: „In solchen Momenten setze ich sozusagen die ‚Mütze’ auf und zeige den Omas, wie sie auf ihre Weise mitwirken können”, sagt Andrea. Gutes Essen und das Zusammenspiel der Generationen haben Andrea schon immer begeistert: „Ich habe gemerkt, wie sehr mir Traditionen am Herzen liegen. Die Sehnsucht nach diesem warmen Gefühl von früher, dem reich gedeckten Tisch, den vertrauten Gerüchen, dem Geschmack der Kindheit. Das habe ich hier wiedergefunden und möchte es weitergeben“, sagt sie.

Ein Ort der Begegnung und der Gemeinschaft

Neben traditioneller Hausmannskost geht es hier vor allem um das Miteinander. Gegessen wird aus Terrinen. Menschen kommen an einem Tisch zusammen, jede/r darf zugreifen und sich auch einen Nachschlag holen – wie bei Oma eben.

„das ist etwas Verbindendes: Man bringt Menschen an einen Tisch, die  nichts miteinander zu tun haben und plötzlich essen sie gemeinsam aus einer Terrine“ – Boris Rogosch

Dieses Konzept kommt bei den Gästen gut an, denn es schafft eine harmonische und ungezwungene Atmosphäre. Gerade für ältere Menschen, die sich oft einsam fühlen, bietet das Projekt  eine Möglichkeit, sich wieder gebraucht zu fühlen. „Es gibt Omas, die wir reaktivieren – viele wollen einfach dabei sein. Dabei lässt sich eine Entwicklung beobachten: Anfangs noch schüchtern, finden sie nach und nach ihre Rolle und entwickeln eine spürbare Präsenz in der Gruppe“, erklärt Boris. Im Café Lorenz arbeiten rund 25 Omas. Je nach Kapazität und Interesse kochen sie, helfen bei der Vorbereitung oder bedienen die Gäste. Abwechselnd kocht eine Oma täglich ein traditionelles Rezept, so sorgt das Café für eine abwechslungsreiche Speisekarte. Opas werden noch gesucht – bisher traut sich aber keiner an den Herd.

Zwei Frauen stehen nebeneinander in der Küche. Sie tragen eine beige Schürze mit der Aufschrift "Oma Liebe" und lächeln.
Heute gibt es im Café Lorenz in Hamburg-Eimsbüttel Matjes mit Hausfrauensoße und Pellkartoffeln von Ute Knoop-Troullier Foto: Paula Maria Coscia

Ein Plausch mit den Gästen oder auch mal in der Küche mit anpacken – Boris sorgt dafür, dass alles reibungslos funktioniert. Das Konzept geht auf: Die Nachfrage wächst, und sowohl die Omas als auch die Gäste profitieren von dem Miteinander der Generationen.

Einsamkeit im Alter – Warum soziale Kontakte so wichtig sind

Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts fühlt sich jeder fünfte Mensch über 65 Jahre in Deutschland einsam. Prof. Dr. phil. André Hajek, Professor für Interdisziplinäre Versorgungsepidemiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beschreibt Einsamkeit als die Diskrepanz zwischen tatsächlichen und gewünschten sozialen Beziehungen. Meist entsteht sie durch den Verlust des Partners oder der Partnerin. „Hinzu kommt der zunehmende Funktionsverlust, die Schwierigkeit, alltägliche Dinge wie duschen, telefonieren oder den Gang zur Toilette zu bewältigen“, erklärt Dr. Hajek.

„Es liegt in der Regel in unserer Hand, etwas zu ändern. Wenn man den Menschen Selbstwirksamkeit vermitteln könnte, wäre schon viel gewonnen.“  – Prof. Dr. phil. André Hajek

Deshalb ist es wichtig, aktiv zu bleiben. Projekte wie der OmaLiebe Lunch Club sind besonders wertvoll: „Solche Projekte sind typischerweise positiv, weil sie Menschen zusammenbringen, besonders für diejenigen, die sonst kaum rauskommen“, erklärt Dr. Hajek.

Die Gäste und die Atmosphäre im Café Lorenz

Ute und Andrea beobachten mit Vorfreude, wie die Gäste eintrudeln. Viele kommen gezielt, da sie durch Empfehlungen oder Social-Media-Posts auf das Projekt aufmerksam geworden sind. „Das Ambiente ist hier wirklich etwas Besonderes: Man taucht hier ein, in eine alte und fast vergessene Welt“, sagt Boris fast ein wenig verträumt. Draußen sitzt Tim Söffker, die Sonne im Gesicht und einen Teller Matjes mit Hausfrauensoße vor sich. Er gehört zu den Stammgästen: „Ich esse oft mittags hier, weil ich sehr lange arbeite“, sagt er. Tim wohnt gegenüber und schaut regelmäßig auf die Karte. Ihm gefällt die Atmosphäre und die ehrliche Küche: „Ich schätze das traditionelle, die wirkliche Hausmannskost, die hier gekocht wird. Das schmeckt mir einfach sehr gut“, sagt er.

Aus dem anfänglichen Gemurmel wird ein lebendiges Miteinander: Lachen vermischt sich mit Gesprächen und dem Klirren von Besteck. Zwischen den Tischen balanciert Ute ein Tablett mit leeren Tellern hindurch und kommt immer wieder mit Gästen ins Gespräch. Auch Boris schnappt sich nun ein Tablett. „Schön, dass Sie da sind – hat’s geschmeckt?“, ruft er Tim zu, der nickt zufrieden. Währenddessen füllt Andrea eine weitere Terrine mit dampfenden Pellkartoffeln. Noch immer liegt dieser vertraute Duft in der Luft – derselbe, der schon am Morgen Erinnerungen weckte und nun Fremde zusammenbringt und verbindet.

Das Pop-up-Restaurant Oma Liebe Lunch Club im Café Lorenz verabschiedet sich nun in die Sommerpause. Ganz pausieren werden die Omas aber nicht: Am 5. Juli 2025 kochen sie bei der Kleine Rast an der Elbe. Im Herbst 2025 geht’s dann im Café Lorenz weiter.

Paula Maria Coscia, Jahrgang 2000, kocht laut ihrer Freunde die beste Bolognese. Sellerie, Rotwein und (ihre italienischen) Wurzeln sind ihr Geheimnis. Passend zu ihrer Leidenschaft für Kulinarik berichtete sie als Videojournalistin für Sat 1 über die Torten einer familiengeführten Konditorei. Als sie 2019 in Hong Kong vor gewalttätigen Auseinandersetzungen fliehen musste, versteckte sie sich bei McDonalds. Dieses Erlebnis hat sie nicht davon abgeschreckt, die Welt weiter entdecken und darüber berichten zu wollen. Erst einmal geht sie nach Hamburg – nicht weit von ihrer Heimatstadt Kiel, wo sie Deutsch und Philosophie studierte. Kürzel: cos

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