Harrys Hafenbasar zeigt Masken, Figuren und menschliche Überreste im Bauch eines alten Krans. Er ist eine beliebte Sehenswürdigkeit für Hamburg-Besucher*innen. Die Darstellung der Sammlung wird jedoch auch scharf kritisiert. Eine Reportage über Ästhetik und Verantwortung.

Augen blicken in die Mitte des Raumes. Viele Augen. Einige sind hohl. Sie gehören zu Masken aus aller Welt – aufgereiht, ausgestellt, angeleuchtet. Die Masken hängen an den hölzernen Wänden eines alten Hafenkrans, dessen Bauch zum Ausstellungsraum umgebaut wurde. Man hört die Elbe an die Bordwand platschen. Und man fühlt das sanfte Schwanken des Stahlkonstrukts, das jetzt ein Museum ist.

Carolin Uhde vor einer Wand welche die Geschichte des Hafenbasars erzählt. (Foto: Hendrik Heiermann)
Kuratorin Carolin Uhde erklärt die Geschichte von Harrys Hamburger Hafenbasars. (Foto: Hendrik Heiermann)

Willkommen am kuriosesten Ort der Welt”, steht auf einer Broschüre geschrieben, die im Eingang von Harrys Hamburger Hafenbasar und Museum liegt – in Hamburg bekannt unter der verkürzten Version: Harrys Hafenbasar. Drinnen: eine dichte Sammlung aus Masken, Figuren und Instrumenten. Sie stammen beispielsweise aus dem Kongo oder Peru – zusammengetragen über Jahrzehnte von Seemenschen, Sammler*innen und Kurator*innen.

Der Ursprung des Basars reicht zurück bis ins Jahr 1894, als der Kneipenwirt Käpt’n Haase begann, Mitbringsel seiner Gäste auf St. Pauli auszustellen. 1952 griff der ehemalige Seemann Harry Rosenberg diese Idee auf und eröffnete den Hamburger Hafenbasar – eine Mischung aus Laden, Museum und Privatsammlung. Nach seinem Tod führten erst seine Tochter Karin, später der Arzt und Weltreisende Gereon Boos die Sammlung weiter. Dieser starb im Jahr 2014. Sein letzter Wille sei es gewesen, eine Stiftung zu gründen, um den Fortbestand des Hafenbasars zu sichern, heißt es auf der Internetseite des Museums. 

Nun ist Carolin Uhde die Kuratorin der Sammlung. Sie kümmert sich um den Erhalt, die Pflege, die Ordnung sowie die Einordnung der Objekte – und um die 2017 gegründete Stiftung Dr. Boos. Uhde steht umringt von Masken und Figuren und zeigt auf Bilder an der Wand: Porträts der vorherigen Besitzer*innen der Stücke. Eine Glühbirne leuchtet ihr ins Gesicht.

Wem gehört die Geschichte?

Carolin Uhde führt durch die 13 Räume des Museums: Waffen, Erotik, Tiere, Zauber, Asien  – jeder Raum hat ein Thema. Zwischen Speeren, Federschmuck und geschnitzten Holzfiguren zeigt sie auf einen gewaltigen Krokodilschädel der mit Fäden und Schmuck ummantelt ist. „Der stammt von den Asmat“, erklärt Uhde. „Er diente einst als Brautgeld.”

Es geht weiter ins sogenannte Erotikzimmer, wo geschnitzte Fruchtbarkeitssymbole und Masken mit weit aufgerissenen Mündern an den Wänden hängen. „Es kommen auch Paare zu uns, die sich Kinder wünschen und es mit magischen Gegenständen versuchen, erklärt Uhde. Wer Exponate kaufen wolle, müsse fragen. Viele Stücke sind mit einem roten Punkt markiert. Er bedeute, die Stücke seien unverkäuflich, so die Museumsleiterin. „Das ist hier auch ein Stück Seemannsgeschichte“, sagt Uhde. Die Objekte seien über Jahrzehnte von Seefahrern aus aller Welt, in aller Welt ertauscht worden. „Wir halten uns an internationale Regularien – Elfenbein wird nicht verkauft.”

Wer trägt Verantwortung?

Trotzdem gibt es Kritik an dem Konzept der Hamburger Institution. Der Hafenbasar wurde etwa mit Farbe beschmiert. In der Debatte um koloniale Raubkunst steht der Ort unter besonderer Beobachtung. An dieser Auseinandersetzung beteiligen sich Museen, Herkunftsgesellschaften, Aktivist*innen, Forscher*innen und politische Akteure – sie ringen um die Deutungshoheit über die koloniale Vergangenheit und den Umgang mit ihren materiellen Zeugnissen. Dabei prallen institutionelle Bewahrung und wissenschaftliche Ansprüche auf Forderungen nach Restitution, Gerechtigkeit und Teilhabe – ein Spannungsverhältnis, das nicht nur um Besitz, sondern um Anerkennung, Verantwortung und Erinnerungskultur geführt wird.

Wie werden Gegenstände aus dem globalen Süden ausgestellt? Woher stammen sie? Und wem gehören sie eigentlich? Diese Fragen überspannen den Diskurs. Im Hafenbasar klärt sich das nicht auf. Einige Masken tragen Etiketten, viele Objekte gar keine. Ihre genaue Herkunft ist oft unbekannt.

Der Krokodilschädel galt nach Carolin Uhde als Brautgeld.
Im Hamburger Hafenbasar sind Gegenstände aus vielen Regionen der Welt zu sehen. (Foto: Hendrik Heiermann)

Eine Figur in rot

„Wir sind keine Rassisten”, sagt die Kuratorin. Sie steht neben einer mit roter Farbe bespritzten Holzfigur. Die Schnitzkunst erinnert an den Farbanschlag auf das Museum im Jahr 2023. Farbe auf Figuren und gekritzelt Beschimpfungen sah Carolin Uhde am Morgen des 11. Dezember 2023, als sie am Hafenbasar ankam. Sie kann die Kritik am Museum, dass hier die Kolonialgeschichte der Gegenstände nicht ausreichend abgebildet wird, nicht nachvollziehen.

„Es waren schon Menschen aus Asien und Nigeria hier, die Dinge aus ihrer Heimat wiedererkannt haben und sich darüber freuten“, sagt sie. Sollte jemand aus einem Herkunftsland der Objekte sich durch die Ausstellung diskriminiert fühlen, sagt sie, würde sie „natürlich auf diese Person zugehen und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.“

Nicht immer lasse sich klären, woher die Stücke ursprünglich stammen. „Die Dinge wurden so oft getauscht – das ist schwer nachzuvollziehen“, sagt Uhde. Schilder geben knappe Hinweise auf die unzähligen Objekte im Bauch des Schwimmkrans. Viele Informationen trägt Uhde selbst. „Das Archiv des Museums bin ich“, sagt sie. „Man kann mich immer ansprechen und fragen.“

Alte Geister in neuen Räumen

Für Dr. Tania Mancheno, assoziierte Wissenschaftlerin an der Forschungsstelle Hamburgs postkoloniales Erbe, ist es ein Affront, dass sich Harrys Hafenbasar ausgerechnet in der HafenCity befindet. Schließlich sei der Hafen Ausgangspunkt kolonialer Gewalt gewesen, getragen von privaten Interessen. Die Ästhetik kolonialer Gewalt werde im Hafenbasar nicht nur reproduziert, sondern aufgewertet, als wäre sie ein harmloser Teil maritimer Folklore. „Das ist doppelt verletzend“, sagt sie, „für Menschen aus den Herkunftsländern ebenso wie für alle, die in der HafenCity ein modernes, kosmopolitsches Hamburg erwarten.”

Hamburgs Reedereien wie die Woermann-Linie und die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) waren zentrale Akteure im deutschen Kolonialismus: Sie transportierten Truppen, Waffen und geraubte Güter in die Kolonien, profitierten vom Handel mit kolonialen Rohstoffen und unterstützten aktiv die Expansion des Kaiserreichs. Ihre Schiffe machten koloniale Ausbeutung erst logistisch möglich – von der Verschiffung von Zwangsarbeitern bis zum Rücktransport geraubter Kulturgüter.

„Die historische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit der HafenCity sehen wir nicht als Aufgabe unseres Museums, sondern eher bei der Stadt, etwa durch eine gezielte Informationsstelle im öffentlichen Raum, wie sie im Baakenhafen sinnvoll wäre”, entgegnet Uhde. Sie zeigt sich enttäuscht, in zwölf Jahren habe sich noch niemand aus der Wissenschaft persönlich bei ihr gemeldet hat.

Schicksale und Schaulust

Uhde führt weiter durch den Schwimmkran. In einer Glasvitrine sind unter Glaskugeln zwei echte Schrumpfköpfe und mehrere aus Tierhaut aufgereiht. Sie sind unverkäuflich, werden aber häufig nachgefragt, teils für bis zu 35.000 Euro. „Jäger aus bestimmten Kulturen haben sich den Kopf eines Feindes quasi als Trophäe mit nach Hause genommen“, sagt die Kuratorin.

Für Dr. Wibke Schrape vom Museum für Kunst und Gewerbe gehören menschliche Überreste wie Schrumpfköpfe zu den sensibelsten Objekten in musealen Sammlungen. Es gehe nicht nur um Dinge, sondern um persönliche Schicksale, Familiengeschichten und spirituelle Bedeutungen, sagt sie. Besonders problematisch sei, dass viele dieser Stücke im Kontext rassistischer Ideologien gesammelt wurden – etwa für rassenbiologische Untersuchungen in der Kolonialzeit oder während des Nationalsozialismus. Deshalb sei in diesen Fällen eine Rückgabe besonders dringlich. Ethnologische Museen stünden hier in besonderer Verantwortung, so Schrape. Gerade deshalb müsse mit besonderem Respekt und Dringlichkeit nach Rückgabe- und Aufarbeitungslösungen gesucht werden.

„Uns ist bewusst, dass Schrumpfköpfe heute in der musealen Diskussion kontrovers betrachtet werden”, sagt Uhde. Der häufig geforderten pauschalen Rückgabepolitik” würde sie jedoch kritisch gegenüberstehen. Nicht alles, was heute als ‘rückgabepflichtig’ eingestuft wird, wird in den Herkunftsländern selbst so gesehen”, so Uhde. Sie erinnert sich an einen Besucher aus Ecuador. Er habe gesagt: Wir wollen die Schrumpfköpfe gar nicht zurück!” Unser Anliegen ist es, diese Objekte sachlich zu präsentieren, um Wissen zu vermitteln, nicht, sie aus einem falsch verstandenen moralischen Druck heraus zu verbergen oder zu entfernen”, so Uhde weiter.

„Ein Museum ist eine gemeinnützige, dauerhafte Einrichtung im Dienste der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Es ist öffentlich zugänglich, offen und inklusiv, fördert Vielfalt und Nachhaltigkeit. Museen handeln und kommunizieren ethisch, professionell und unter Beteiligung der Gemeinschaften. Sie bieten vielfältige Erfahrungen für Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.” (Definition for museums – international Council of museum 2022)

Stimmen und Schatten

Carolin Uhde ist Kuratorin im Hamburger Hafenbasar
Für Carolin Uhde ist der Hafenbasar kein Ort zur Aufarbeitung kolonialer Objekte. (Foto: Hendrik Heiermann)

Der Hafenbasar brauche nicht den Anspruch proklamieren, die gesamte Welt abzubilden, meint Friederike Odenwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Globalgeschichte der Universität Hamburg. Ihrer Meinung nach schließt sich eine Reflexion der eigenen Rolle und das Feiern schöner Kunst nicht aus. „Es wäre schon viel gewonnen, würde man im Museum kennzeichnen, dass man die Herkünfte nicht nachvollziehen kann”, sagt Odenwald. Möchte man im Hafenbasar die Seefahrt zelebrieren, könne man gleichzeitig auch die gewaltvollen Umstände mitbedenken der damaligen Zeit. Es ginge vor allem aber auch darum was ein deutsches, weißes Publikum lernt, sobald es den Hafenbasar betritt.

Was Harry einst hortete, wird heute anders gelesen. Zwischen Masken, Waffen und Wunderglauben erlöschen abends die Glühlampen. Dann blicken tausende Augenpaare aus aller Welt wieder ins Dunkel. Draußen plätschert die Elbe, der alte Kran ächzt leise.

Hendrik Heiermann, Jahrgang 1998, prokrastiniert nicht, er tut andere wichtige Dinge. Statt sich seiner Traumkarriere als Eisverkäufer im Sommer und Lokomotivführer im Winter zu widmen, hat er sich dem Journalismus verschrieben.
Hendrik ist in Plochingen bei Stuttgart aufgewachsen, er studierte Spanisch und Lateinamerikastudien in Hamburg. Während eines Praktikums in Mexiko in einer Migrant*innenherberge half er bei einer Geburt, später startete er in Kolumbien einen spanischsprachigen Podcast über Migration. Seit Sommer 2024 schreibt er für “kohero”, ein interkulturelles Hamburger Stadtmagazin. Den Artikel über Eiscreme schreibt er morgen. Ganz bestimmt. (Kürzel: hmh)

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