Zwei U-Bahnen fahren in der Haltestelle Mundsburg.
Eine U-Bahnfahrt in der Nacht, das kann ungute Gefühle auslösen. Foto: Anny Norma Schmidt

Immer wieder kommt es in U- und S-Bahn zu Stress, Drängeleien und aggressivem Verhalten. Eine Studie zeigt, vor allem Frauen fühlen sich nachts unsicher. Sind Frauenwaggons eine Lösung?

Von Anny Norma Schmidt

Auf dem blauen Boden lila Schlieren, daneben staubig-graue Schuhsohlenabdrücke. Es riecht nach Plastik, kaltem Rauch und nach würzigem Sportdeo. Ein etwa Zehnjähriger wirbelt um die Haltestange in der Mitte der S-Bahn nach Harburg. Es ist Samstag, später Nachmittag. Auf dem Sitz hinter dem Jungen liest ein Mann ein Magazin. Die Stimmung ist friedlich, aber auch gedrückt, als wäre es schon Sonntag und der nächste Arbeitstag nicht mehr zu ignorieren.

Doruntina Bajraktaraj fährt täglich S- und U-Bahn, sie kennt das auch ganz anders: Pöbeleien, Beleidigungen, betrunkene Gruppen. All das hat die Hamburgerin nach eigenen Angaben schon erlebt. Es habe ihre Grenzen überschritten oder sie habe sich bedroht gefühlt, erzählt sie. Ende Februar war es für sie einmal zu oft.

Eine Frau um die 30 steht in einer Bushaltestelle.
Doruntina Bajraktaraj fordert in einer Petition Frauenwaggons für Hamburg. Foto: Anny Norma Schmidt

Zum Feierabend stand die 31-Jährige in der vollen S-Bahn von Harburg Richtung Pinneberg. Ein Mann sei eingestiegen und habe sich lautstark über die Enge geärgert, berichtet sie. Er habe schreiend angefangen, sich über den fehlenden Platz zu beschweren und verlangte, dass Bajraktaraj im Gang ausweichen solle. Am Fenster war ein Sitz frei geworden. Bajraktaraj berichtet, dass sie ruhig geantwortet habe, dass der Mann das auch freundlich fragen könne. Daraufhin habe der Mann sie zur Seite geschubst, sie beleidigt und sich schließlich hingesetzt.

Die Pöbelei, sagt Bajraktaraj, sei für sie ein Schlüsselmoment gewesen: Im März startete sie eine Petition, in der sie Frauenwaggons in S- und U-Bahnen fordert – wie sie bereits Tokio, Mexiko Stadt oder Rio de Janeiro zu Stoßzeiten fahren. In Japan beispielsweise sollen Frauenwaggons Frauen vor sexueller Belästigung schützen, dazu halten die Waggons an gut erreichbaren Stellen in den Bahnhöfen. Nachdem die Zahl der Beschwerden wegen sexueller Belästigung ein Rekordhoch erreichte, setzten zuerst Tokio und später auch Osaka und Nagoya diese Frauenwaggons ein. Auch Jungs und Menschen mit Behinderungen sind willkommen. Trotzdem sind die Frauenwaggons in Japan nicht unumstritten: Männer fühlen sich diskriminiert wegen der zugänglicheren Position der Frauenwagen oder wegen der Überfüllung in gemischten Abteilen. Als Mittel gegen sexuelle Belästigung in der Bahn gelten sie dennoch als sinnvoll.

Kein Gefühl von Sicherheit für Frauen

Eine Studie des Bundeskriminalamts zum Thema Sicherheitsgefühl und Kriminalität, die im Jahr 2020 erschienen ist, zeigt: Frauen fühlen sich nachts deutlich unsicherer als Männer. In der Studie gaben über die Hälfte der 23.290 befragten Frauen an, nachts den ÖPNV zu meiden. Von den befragten Männern tun dies mit insgesamt 23 Prozent deutlich weniger. Auch Personen mit Migrationshintergrund fürchten sich der Studie zufolge mehr vor Gewalt im öffentlichen Raum. Können hier gesonderte Waggons eine Abhilfe sein? Und was wird in Hamburg getan?

Im Jahr 2024 nutzten knapp 1100 Millionen Menschen den Hamburger ÖPNV, zu dem vier S-Bahn-Linien, vier U-Bahn-Linien und Busse gehören. Täglich fahren nach Angaben der Hochbahn Fragt man Christoph Kreienbaum, den Pressesprecher der Hochbahn, passiert dabei „jeden Tag“ etwas in der Bahn, von Pöbeleien übers Randalieren bis zu Gewalt, „aber nicht in einer großen Zahl“.

Die Hochbahnzentrale – das Herz der U-Bahn-Sicherheit

Die Hochbahn informiert aktuell mit einer Kampagne über alle Möglichkeiten, wie Fahrgäste Hilfe bekommen können. Der Ort, an dem die Fäden der Sicherheit zusammenlaufen: die Hochbahnzentrale, in der Sicherheits-Mitarbeitende mit Hochbahnwache und Techniker*innen nebeneinandersitzen.

Die Hochbahn-Zentrale mit großen Bildschirmen und Mitarbeitern.
In der Hochbahn-Zentrale arbeiten die Mitarbeitenden an der Sicherheit für ihre Fahrgäste. Foto: Anny Norma Schmidt

Die Hochbahnwache liegt in Hamburgs Mitte, nahe dem Rathaus. Dort steuern die Mitarbeitenden in einem runden Raum die einzelnen Bahn-Linien und beobachten die Bahnhöfe. Es herrscht Gemurmel im Raum, ab und zu ertönt ein Klang. Er macht auf gemeldete Gefahren aufmerksam. Vor den Schreibtischen erscheinen auf großen Bildschirmen Haltestellen in Codes, dazu die gerade fahrenden U-Bahnen. Wenn etwas passiert, können alle im Raum zusammenarbeiten und einschreiten.

Noah Glahn, ein Mann Mitte 30 in der Hochbahnzentrale.
Noah Glahn an seinem Arbeitsplatz. Foto: Anny Norma Schmidt

Die Hochbahn-Leitstelle ist 24/7 besetzt. Zufällig ausgewählte und wechselnde Videoaufnahmen von Haltestellen laufen über die Bildschirme. Noah Glahn ist einer der Mitarbeiter, die die Kameras beobachten, mit Menschen am Notknopf sprechen und im Ernstfall Bahnen stoppen oder die Polizei. „Es kommen schon mehrmals täglich Notrufe an“, berichtet er. An diesem Arbeitstag im April habe er bereits eine Prügelei gemeldet bekommen. Während er im Büro den Überblick behält, sind seine Kolleg:innen von der Hochbahnwache unterwegs, um Auseinandersetzungen vor Ort zu schlichten.

Fahren bald Frauenwaggons in Hamburg?

Bei Petitionsstellerin Bajraktaraj war keine Hilfe da. Unwohl fühle sie sich vor allem, wenn sie umgeben von vielen Betrunkenen sei, wie bei Fußballspielen, sagt sie. Über 38.000 Unterschriften (Stand Juli 25) hat ihre Petition erreicht. Was sagen der HVV und die Hochbahn zu ihrer Forderung?

Auf ihrem Blog veröffentlichte die Hochbahn im März dieses Jahres ein Statement, in dem sie die Forderung nach mehr Sicherheit unterstützt, Frauenwaggons aber nicht als Lösung sieht. Dies würde falsche Signale senden und wäre in der Praxis dazu schwer umsetzbar, heißt es dort. Kreienbaum sagt: „Das Ziel kann nicht sein, da zu trennen, sondern wir müssen ein Sicherheitsgefühl für alle Fahrgäste schaffen.“ Bajraktaraj sieht es ähnlich und wünscht sich trotzdem mehr Handeln, vor allem im Bereich der Sicherheit. Nichts zu verändern, ist für sie keine Option: „Ich habe mehrfach betont, dass Frauenwaggons definitiv nicht die Lösung sind, auf jeden Fall keine langfristige“, sagt sie. Aber man könne „ja trotzdem parallel weitere Projekte anregen“.

Abends unterwegs in der U-Bahn

Eine leere Spezi-Flasche liegt quer auf dem leeren Gehweg am U-Bahnhof.
Nachts ist die U-Bahn-Haltestelle Hamburger Straße verlassen. Foto: Anny Norma Schmidt

Die Fahrt am Samstagnachmittag verlief ruhig. Doch wie sieht es am Party-Abend aus? 23:54 Uhr, Umstieg am Hauptbahnhof. Auf dem Weg vom S-Bahn-Gleis zur U3 Richtung Reeperbahn ist es voll und laut. Eine Gruppe Männer sitzt neben dem geschlossenen Blumenverkauf, sie wirken betrunken. Auf dem Gehweg am Gleis der U3 im Hauptbahnhof Süd liegen Krautsalat und zwei leere Pommdöner-Boxen. In der U3 sitzen junge Menschen, sie haben volle Gläser in der Hand. Eigentlich ist das verboten. Auf dem Boden wurde mit Stiften zum Taggen gekritzelt, blau und schwarz, unleserlich.

Wie wohl fühlen sich die Fahrgäste in Hamburgs S- und U-Bahnen? Die 23-jährige Ulrike Rettband meint: „Ich fühle mich in der U1 nachts manchmal nicht sicher, wenn ich vom Feiern wiederkomme. Und manchmal ist es bisschen dreckig.“ Tagsüber sei das Bahnfahren jedoch kein Problem für sie. Ähnlich sieht es Dorothea Hollwick, die Ende 60 ist. Nach Prügeleien, die sie miterlebt hat, sagt sie: „Ich komme aus Hamburg und ich fahre viel Bahn. Aber eben nur noch tagsüber.“

Mehr zum Thema – Wo finde ich Hilfe?

Für den Notfall am Bahnsteig hat die Hochbahn verschiedene Optionen eingerichtet: 6500 Kameras an Haltestellen, in Bahnen und Bussen zeigen der Leitstelle, was passiert. Dazu können Mitarbeitende aus der Zentrale durch die Lautsprecher an den Haltestellen sprechen, schrecken oder unterstützen. Infoknopf und SOS-Knopf auf der Rufsäule verbinden mit der Leitstelle, die Kamera der Haltestelle schaltet sich in Richtung der Person, die gedrückt hat.

 Auch in der Bahn verbindet die Sprechstelle an den Türen Fahrgäste mit der Leitstelle. Mit dem Nothalt-Knopf können Fahrgäste und die Leitstelle den Bahnbetrieb stoppen. Tipp der Hochbahn bei Unsicherheit: Sich in den ersten Waggon hinter den Fahrer*innen zusetzen.

Für weniger Angst auf den Strecken zu Haltestellen versucht der Verein Heimwegtelefon zu sorgen. Er bietet kostenlose Begleitung nach Hause an – am Telefon. Wer zu den „Öffnungszeiten“ anruft, spricht mit ehrenamtlichen Telefonist*innen. Es gelten die Telefonkosten der Mobilfunkanbieter. Erreichbar ist das Heimwegtelefon unter 030 12074182. Weitere Infos findest du hier.

Junge Frau mit Brille im Porträt

Alles ist politisch. Auch die Frage, ob Bier schmeckt oder nicht. Zumindest wenn es nach Anny Norma Schmidt, Jahrgang 2001, geht. Sie bestellt lieber Sekt. Dafür erntet sie in ihrer Heimat Dithmarschen schiefe Blicke. Vielleicht fiel ihr daher der Abschied 2021 in Richtung Magdeburg leicht, um dort Journalismus zu studieren. Ist sie nicht baden oder joggen, sitzt Anny gerne im Café, entweder in ein Buch oder in eine Diskussion über Feminismus und Nachhaltigkeit vertieft. Anny hat schon diverse Praktika bei Lokalzeitungen hinter sich, weil sie es wichtig findet, im Gespräch zu bleiben - sogar über Bier. Kürzel: ans

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