Gemeinsam lesen und lauschen, über Gehörtes diskutieren und darüber ins Gespräch kommen. Natur in unterschiedlichen Kunstformen erleben. All das war das Nature Writing Festival, das zum ersten Mal in Hamburg stattfand.

Mitten in der Bilderbuchabteilung für Kinder stehen orangene Stühle in Reihen. Es riecht sauber, nach frisch bedrucktem Papier, Stimmengewirr erfüllt den Raum. Die Buchhandlung am Sand in Hamburg-Harburg ist gefüllt mit Besuchenden des Nature Writing Festivals, sie warten auf die Lesung von Markus Thielemann. Er wird aus seinem Erfolgsroman „Von Norden rollt ein Donner“ lesen. Gedämpft unterhalten sie sich, trinken ein Glas Wein oder eine Limo. Vereinzelt ragen Köpfe mit jungen Gesichtern aus dem Publikum heraus, die meisten der Besuchenden sind jedoch über 60 Jahren alt.

Der Roman „Vom Norden rollt ein Donner"
„Vom Norden rollt ein Donner” ist der zweite Roman von Markus Thielemann. Foto: Sophie Quaas

Vom 17. bis zum 21. Juni feierte Deutschland das erste Nature Writing Festival in Hamburg, mit einigen internationalen Gästen. Nature Writing ist eine Form des literarischen Schreibens über Natur, das nicht an ein bestimmtes Genre gebunden ist. So gehören zum Nature Writing wissenschaftliche Veröffentlichungen, Gedichte sowie Romane.

Bekannter ist das Nature Writing im anglo-amerikanischen Raum. Der Blick zurück in die Epoche der Romantik zeigt jedoch, dass auch im deutschsprachigen Raum die Natur in der Literatur fest verankert war. „Das hat ja sehr lange Tradition, also Naturbeschreibung, Naturbeobachtung und so weiter, insbesondere auch in Deutschland”, sagt Klaas Jarchow, Gründer des Klaas Jarchow Media Buchverlages (KJM) und Festivalleiter. Das sieht man in Werken wie von Barthold Heinrich Brockes oder Arno Schmidt. Heute wird das Nature Writing wieder beliebter unter deutschen Autor*innen.

Natur hält sich nicht an Landesgrenzen

„Landschaften sind wunderbar grenzüberschreitend, sie halten sich nicht an nationale Zuschreibungen“, meint Jarchow. Schon weil die Natur ihren eigenen Grenzen folge, wollte er ein internationales Festival veranstalten. Unter den Teilnehmenden waren auch Autor*innen aus Schweden, Österreich, Weißrussland, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.

„Aus Sicht der Autorinnen und Autoren wurde sehr positiv bewertet, dass wir ein thematisches Festival machen“, sagt er. Die Besonderheit des Festivals ist, dass der Fokus so stark auf der Natur gesetzt wurde. „Wir spannen ein großes Themenzelt auf, unter dem die verschiedensten Aspekte erscheinen, die zum Teil sehr individuell sind.“ Deshalb gebe es neben Lesungen mit anschließender Diskussionsrunde ein breiter aufgestelltes Programm. In den fünf Tagen fanden ein Schreibworkshop, Kunstausstellungen, Unterhaltungen und fachliche Diskussionen statt – mit Wissenschaftler*innen, Jurist*innen, Autor*innen und Künstler*innen. So gab es Talks über „Die Natur als Rechtspersönlichkeit”, „Tier- und Pflanzenwelt in Zeiten des Klimawandels” oder „Kapitalismus die Grundlage entziehen”, aber auch gemeinsames Nature Reading oder einen Poetry Slam.

Gesprächsoffene Lesungen

Austausch schafft auch Thielemann bei seiner Lesung. Er liest seinen Text mit dunkler, langsamer Stimme. Der Autor lässt sich Zeit, um das Gesagte wirken zu lassen, und schafft es, die freundliche Stimmung in der Buchhandlung am Sand düster werden zu lassen.

“Von Norden rollt ein Donner” spielt in der Lüneburger Heide und handelt von Jannes, der nach dem Schulabschluss in den Schäferbetrieb seiner Eltern eingetreten ist. Gemeinsam arbeitet die Familie wortkarg und eingespielt daran, jeden Tag die Schafe an der frischen Luft zu versorgen. Doch wie eine Regenwolke, die unerwartet vor die Sonne zieht, taucht plötzlich die Angst vor dem Wolf mit all ihren Konsequenzen auf. 

Ein Ehepaar lässt sich ihr Buch beim Autor signieren
Besucher*innen lassen sich den Roman „Von Norden rollt ein Donner” beim Autor signieren. Foto: Sophie Quaas

Es geht oft um ökologische Fragen und um ganz viele Themen, die alle betreffen.”

Thielemanns Roman ist ein Anti-Heimatroman. Ständig ist ein Donner von den Testfeldern von Rheinmetall zu hören. Die Geräuschkulisse gehört zum Leben in der Lüneburger Heide dazu, wo Thielemann aufwuchs und der Roman spielt, genau wie das Blöcken der Schafe. Wie sehr kann der Mensch in die Natur eingreifen? Wer ist denn nun wichtiger, Wolf, Schaf oder Schäfer*innen? Und welche Rolle spielte die NS-Vergangenheit bei dem Ganzen?

Auf der Lesung öffnet Thielemann das Gespräch über diese Themen, diskutiert mit den Gästen über die Lüneburger Heide und trifft sogar ein Ehepaar aus der Region bei der anschließenden Signierstunde. Auf die Frage von FINK.HAMBURG, was das Nature Writing Festival für Autor*innen bringt, lacht er und macht das „Money“-Handzeichen. Dann wird er ernst und sagt: „Es geht oft um ökologische Fragen und um ganz viele Themen, die alle betreffen. Es kommen viele Wissenschaftler*innen, Romanautor*innen oder Künstler*innen zusammen, um interdisziplinäre Sachen zu diskutieren. Dafür sind Festivals total gut, und ich finde es macht schon Spaß.“

Nature Writing in all seinen Kunstformen

Neben Thielemanns Roman wird auf dem Nature Writing Festival auch die Reihe „European Essays on Nature and Landscape“ des KJM Buchverlags vorgestellt. Ein Teil der Reihe ist das Essay „Talmäander” von Lena Frings. Dafür kehrte die Journalistin, die lange Zeit in Hamburg gearbeitet hatte, in ihre Heimat, das Ahrtal, zurück. Für sie und ihre Familie war die Ahrflut im Jahr 2021 ein sehr prägendes Ereignis. Auch deshalb machte Frings das Ahrtal und die zerstörerische Kraft von Flüssen zum Thema ihres Essays.

„Ich habe selber ganz viel gelernt“, sagt Frings über den Prozess des Nature Writings. „2021 war die Ostsee sehr stark erwärmt, was die Flut begünstigt hat. Ich habe erfahren, dass es ganz viele Puzzleteile sind, die zu solchen Extremwetterereignissen durch den Klimawandel führen.“ Ein Ereignis länger zu betrachten, sei ihr wichtig, um größere Zusammenhänge zu sehen und davon lernen zu können. „Vielleicht kann Literatur da einen Beitrag leisten, weil dieses menschliche Verwobensein mit der Natur sich empathischer darstellen lässt oder deutlicher wird“, meint die Journalistin. Sie wünscht sich eine Sensibilisierung dafür, wie lange Unwetterkatastrophen in den betroffenen Regionen noch eine Rolle spielen.

Eine weitere Besonderheit des Nature Writing Festivals: Natur wird auch in anderen Kunstformen behandelt. Die Philosophin Doris Feil, die als Künstlerin unter dem Namen Dos Pfeil auftritt, stellte auf dem Festival mehrere ihrer Werke aus. „Ich beschäftige mich in meiner Kunst hauptsächlich damit: Wie nehmen wir Dinge wahr, unter welchen Bedingungen nehmen wir sie wahr und mit welchen inneren Haltungen?” erklärt Feil. In ihrer Kunst ginge es darum, wie Menschen ihre eigenen Haltungen auf das Wahrnehmungsobjekt projizieren. Sie arbeitet mit „Objekten des Begehrens”, beispielsweise einer Chanel-Tasche. Für das Nature Writing Festival integrierte sie zum ersten Mal auch natürliche Gegenstände in ihrer Kunst.  

Kulturstandort Hamburg

Seit einigen Jahren wohnt Feil in Hamburg und empfindet die Kulturszene als extrem positiv. „Ich bin unter künstlerischem Aspekt enorm froh, nach Hamburg gekommen zu sein. Die Diskussionen sind politisch, der Austausch zwischen politischen Entscheidungsträger*innen und Künstler*innen respektvoll, aber durchaus auch mal deutlich. Doch ich spüre die unglaubliche Liebe zu Hamburg und dass es allen um ihre Stadt geht.” Während Feils Kunststudiums in Hamburg kam auch ihr Kontakt zum KJM-Verlag zustande. Hier veröffentlichte sie ihr erstes literarisches Werk „Hochschwarzwald” über die Region, in der sie aufgewachsen ist.

Obwohl die meisten Veranstaltungen des Nature Writing Festivals drinnen stattfinden, solle das Festival seine Besuchenden „naturtüchtig“ machen, sagt der Festivalleiter. Wie man sich naturtüchtig macht? „Einmal in der Woche an einen festgelegten Platz gehen und von dort aus die Wildnis beobachten. Das verändert die Wahrnehmung. Wenn du zum Beispiel Vögel anguckst, flattern sie nicht einfach nur vorbei, sondern du nimmst sie als eine Begegnung mit der Wildnis wahr. Das ist eine Fokussierung und eine Wahrnehmungsschulung“, erklärt Jarchow.

Wer noch nach weiteren Gedankenanstößen sucht, dem empfiehlt FINK.HAMBURG, sich in das Nature Writing Genre einzulesen – am besten im Garten, Park oder am nächsten Gewässer.

Alles ist politisch. Auch die Frage, ob Bier schmeckt oder nicht. Zumindest wenn es nach Anny Norma Schmidt, Jahrgang 2001, geht. Sie bestellt lieber Sekt. Dafür erntet sie in ihrer Heimat Dithmarschen schiefe Blicke. Vielleicht fiel ihr daher der Abschied 2021 in Richtung Magdeburg leicht, um dort Journalismus zu studieren. Ist sie nicht baden oder joggen, sitzt Anny gerne im Café, entweder in ein Buch oder in eine Diskussion über Feminismus und Nachhaltigkeit vertieft. Anny hat schon diverse Praktika bei Lokalzeitungen hinter sich, weil sie es wichtig findet, im Gespräch zu bleiben - sogar über Bier. Kürzel: ans

Sophie Quaas, 2000 in Meißen geboren, ist USA-Kennerin: Ob als AuPair in San Diego, beim Wandern durch den Grand Canyon oder als Couchsurferin in Alaska, Sophie ist durch und durch Abenteurerin – Zelten auf Festivals ausgenommen. Ihren Bachelor machte sie in Medienforschung in Dresden. Dort arbeitete sie in einer Agentur im Employer Branding sowie in der Unternehmenskommunikation für Sunfire, eines der größten Wasserstoff-Unternehmen Europas. Für die Eröffnung einer neuen Produktionsstätte interviewte Sophie 2023 die Wirtschaftsministerin von NRW, Mona Neubaur – selbstverständlich auf Englisch. Ihr Plan für die Zukunft: Weitere Interviews als Journalistin führen. Kürzel: soq

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