Spieler mit Millionen Social Media-Fans, Live-Übertragungen und eigene Sponsoren – klingt nach Champions League, ist aber Kreisklasse in Hamburg. Was hat es mit der Influencer-Mannschaft des SSV Hardstuck auf sich?
Nach einer flachen Hereingabe von der rechten Seite kommt der am Elfmeterpunkt lauernde Stürmer an den Ball, den der gegnerische Verteidiger nicht vernünftig klären konnte. Reaktionsschnell und aus der Drehung versenkt er das Spielgerät im langen Eck. Auf der Tribüne erschallen Hupengeräusche und Jubel, der Torschütze reißt sich vor Freude das dunkelblaue Trikot vom Leib. Neben den circa 300 Zuschauenden vor Ort verfolgen auch mehrere 10.000 Menschen den Treffer im Livestream. Allerdings nicht bei einem einschlägigen Sportsender, sondern auf der Livestreaming-Plattform Twitch.
Trymacs-Team spielt in traditionsreichem Stadion
Denn der Schütze des besagten Tores ist kein internationaler Fußballstar, sondern der Livestreamer und Influencer Trymacs, bürgerlich Maximilian Alexander Curt Stemmler. Sein mit Influencer-Kollegen gespicktes Fußballteam spielt im Stadion Hoheluft in Eppendorf, eröffnet 1907 und damit eines der ältesten Stadien in Fußball-Deutschland.
Bis 1940 trug die deutsche Nationalmannschaft hier fünf Länderspiele aus, mittlerweile beherbergt es nur noch den SC Victoria Hamburg. An diesem Tag wird es zum Schauplatz des Spiels zwischen der fünften Herrenmannschaft des Vereins und dem Glashütter SV II.

SSV Hardstuck bringt Internet-Stars auf den Fußballplatz
Hinter der fünften Mannschaft von Victoria steckt der SSV Hardstuck. Der Name stammt aus der Gaming-Welt, wo auch Trymacs zuhause ist. Im Videospiel-Kontext bezeichnet der Begriff “hardstuck” das Feststecken auf einem bestimmten Leistungsniveau und die daraus resultierende Unfähigkeit, weiter aufzusteigen. Dem 30-Jährigen Trymacs folgen auf Instagram eine Millionen Menschen, der größte seiner YouTube-Kanäle zählt über zwei Millionen Abonnent*innen und auf Twitch hat er ein Publikum im fünfstelligen Bereich.
Hardstuck hat er 2022 gegründet, um Streamer aus ihren Gaming-Stühlen auf den Fußballplatz zu bringen. Ergänzt wird das Internet-Ensemble durch Freunde von Trymacs. Regelmäßiges Mannschaftstraining gibt es aber nicht. Anfangs streamte man die Heimspiele noch regelmäßig auf Twitch, auf Dauer war das allerdings zu teuer, so der Influencer Anfang des Jahres. Trotz eigener Sponsoren wie Lenovo und ESN. Fürs Saisonfinale hat der SSV Hardstuck aber nochmal eine Live-Übertragung auf die Beine gestellt, mit mehreren Kameras und Kommentatoren-Kabine am Spielfeldrand.
Trymacs ist dabei nicht die einzige Person des digital-öffentlichen Lebens: Auch Streamer „LetsHugo“ (289.000 Insta-Follower*innen), Max Schradin (250.000 Follower*innen bei Insta), ehemaliger Fernsehmoderator und jetzt auf Twitch, Influencer Julyan Pohl (über 2 Mio. Follower*innen bei TikTok) und „mooo“ (155.000 Insta-Follower*innen), Content Creator aus Köln, spielen mit. So hat Hardstuck genug Internetprominenz versammelt, um circa 300 Zuschauende nach Eppendorf zu locken. Eine davon ist Marie Polzin. Sie kommt aus Bremerhaven, ist gerade in Hamburg zu Besuch und stieß bei Social Media auf das Spiel.

Sportlich geht´s um nichts mehr
Polzin findet, dass auch die Influencer selbst profitieren, weil sie einen „näheren Bezug zu den Leuten kriegen und nicht immer diese große Distanz dazwischen ist“. Möglich wird das vor allem, weil der SSV Hardstuck schon in der Vorwoche offiziell aufgestiegen ist. Diese Konstellation sorgt dafür, dass all die Influencer im Kader stehen. Zuvor spielte meist die nicht in der Öffentlichkeit stehende Hardstuck-Stammbesetzung, selbst Trymacs und sein Bruder waren zuletzt seltener dabei. Deshalb war der Rahmen meistens auch kleiner als an diesem Tag.
Marco Andunce Colonia, der mit Jan Tischer regelmäßig Spiele besucht, bedauert das. „Für mich gehört die ganze Mannschaft supportet“, sagt er, Tischer stimmt zu. Die beiden sind schon lange dabei, haben laut eigener Aussage Kontakt zur Mannschaft und können auch Event-Spieltagen wie dem heutigen etwas abgewinnen. Trotzdem wünschen sie sich, dass auch zu Spielen ohne Influencer mehr Leute kommen. „Es geht ja im Prinzip um den Fußball und daran sollten sich die Fans festhalten“, sagt Colonia.
Victoria profitiert von Hardstuck-Aufmerksamkeit
Am Gastrostand bewirtet das Frauenteam des SC Victoria die Zuschauer*innen. Dennis Wolf, Leiter der Frauenabteilung, betont, dass der SSV Hardstuck innerhalb des Vereins zwar eigenständig sei, trotzdem aber Victoria repräsentiere. Zwar assoziierten nun Viele das Wappen des Vereins mit dem SSV Hardstuck. Trotzdem setze die Aufmerksamkeit für das Projekt den gesamte Verein wieder mehr „auf die Karte“.
Kurze Zeit später ertönt der Anpfiff. Die Gäste aus Norderstedt erweisen sich von Anfang als hart zu knackende Nuss für den SSV Hardstuck, verteidigen kompakt. Und nach 21 Minuten brechen sie über die linke Außenbahn durch, die folgende Hereingabe ist für die Hardstuck-Defensive nicht mehr zu verteidigen und der Glashütter Stürmer muss nur noch einschieben. Kaum ist der Torjubel aber abgeklungen, gelingt Trymacs höchstselbst bereits der Ausgleich.

Highlights vor allem auf der Tribüne
Allerdings bleibt das Tor das einzige Highlight aus Hardstuck-Sicht. Wenig später geht Glashütte erneut in Führung, in der Schlussphase erhöhen die Gäste sogar noch auf 3:1. Nach Abpfiff erklärt Trymacs im Stream, dass es in Anbetracht des bereits sicheren Aufstiegs vor allem darum ging, nochmal möglichst viele Influencer auf den Rasen zu bringen. Trymacs zufolge sei „die Mannschaft so geil, da macht auch das Verlieren Spaß.“
Spaß gemacht hat es auch Jan Bollow und Marc Müller auf der Tribüne. Die beiden loben vor allem die Atmosphäre im Stadion. Fußballerisch aber „war es nichts“, resümieren die Schweriner, die wegen dem HSV-Spiel am Abend in Hamburg sind. Dass sie vorher noch allerhand Internet-Prominenz sahen, finden die beiden cool, aber für sie sind Influencer letztlich ja „auch nur Menschen“.
Ehrenrunde nach Schlusspfiff für Trymacs & Co.
Menschen, die augenscheinlich interessanter sind als die anderen, die in den 90 Minuten zuvor denselben Rasen bespielten. Denn nach Abpfiff bleiben einige noch im Stadion, um ein Foto mit Trymacs und Co. zu erhaschen, es bildet sich eine kleine Schlange. Szenen, die daran zweifeln lassen, ob der Wunsch von Marco Andunce Colonia in Erfüllung geht und das Hoheluft-Stadion künftig auch bei Spielen ohne Influencer-Beteiligung so gefüllt sein wird wie an diesem Tag.

Ungeachtet aller Diskussionen um Eventisierung schreibt das Team mit dem nun zweiten Aufstieg seine Geschichte weiter. Wobei die beim SSV Hardstuck eher gestreamt als geschrieben wird. Künftig dann in Hamburgs drittunterster Liga. „Stuck“, steckengeblieben, ist das Team also trotz des Namens gar nicht.
Tim Hanischdörfer wurde 2001 in Leonberg geboren, der Heimat von Rapper Nimo und der größten Leinwand der Welt. Obwohl er im Schwabenländle aufgewachsen ist, möchte Tim der Welt mitteilen: Maultaschen sind „overrated". Bereits als Kind hatte er den Traum Sportjournalist zu werden. Nach dem Abitur schrieb er dann für eine Lokalzeitung. Während seinem Bachelor der Medien- und Kulturwissenschaft in Freiburg interviewte er für SWR Sport Olympiasiegerin Franziska Brauße und absolvierte ein Praktikum bei funk in Mainz. Neben Fußball ist auch das Kino Tims Leidenschaft. Sein Ziel: alle Hamburger Kinos besuchen! Nun möchte Tim beides vereinen und Fußball sowie Filmrezensionen auf die große Leinwand bringen. Kürzel: tim