
Jüdische ehemalige Hamburger*innen und deren Angehörige können sich 1965 beim Besuchsprogramm begegnen. Zum 60-jährigen Jubiläum treffen sich drei Generationen in Hamburg.
Am Abend des 24. Novembers 2025 sitzt Claudio Silberberg bei einem Podiumsgespräch in der Hamburger Kunsthalle auf der Bühne. Einen Tag zuvor hatte er das ehemalige Wohnhaus seiner Eltern in der Straße Kahlkamp 1A in Hamburg-Blankenese besucht. Dort wurde in Erinnerung an seine Familiengeschichte eine Gedenktafel angebracht. „Es ist schön zu sehen, dass der Name unvergessen bleibt”, sagt Silberberg.
Claudio Silberberg ist das zweite Mal in seinem Leben in Hamburg. Im Jahr 2024 war der 82-Jährige zum ersten Mal in der Geburtsstadt seiner Eltern und Großeltern. Grund dafür war das Besuchsprogramm für Jüdinnen und Juden – auch in diesem Jahr nahm Silberberg die Einladung nach Hamburg an.
Silberberg ist in São Paulo geboren und aufgewachsen. Seine Eltern wanderten 1936 nach Brasilien aus. Deutsch und die Geschichte seiner Familie spielten immer eine große Rolle in seinem Leben. Trotzdem sagt Silberberg heute, dass sie „nicht oft genug” über die Familiengeschichte und die Flucht aus Deutschland gesprochen haben. „Viele Sachen waren uns völlig unbekannt. Meine Großeltern mütterlicherseits sind bereits gestorben, als ich knapp 15 Jahre alt war”, erzählt Silberberg.

Jubiläum in der Hamburger Kunsthalle
Der Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien, Carsten Brosda, eröffnet die Jubiläums-Veranstaltung in der Kunsthalle mit den Worten des jüdischen Philosophs Martin Buber: „Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen”. Es ist das 60-jährige Jubiläum des Besuchsprogramms für Jüdinnen und Juden, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder vertrieben wurden.
Das Besuchsprogramm für ehemalige jüdische Hamburger*innen wird von der Behörde für Kultur und Medien organisiert. Das einwöchige Programm findet immer im Sommer statt. Die Besucher*innen kommen aus der ganzen Welt: Brasilien, Argentinien, Uruguay, Australien, UK, Israel, Niederlande, Kanada, USA, Portugal, Belgien, Schweiz und Marokko.
1965 nahm die Stadt Hamburg erstmals Kontakt zu ehemaligen Hamburger Jüdinnen und Juden auf. Besonders Herbert Weichmann, erster und einziger jüdischer Bürgermeister Hamburgs, setzte sich für das Besuchsprogramm ein. In den 1970er Jahren kamen zunächst Einzelne auf individuelle Einladung in die Hansestadt, ab 1981 dann größere Gruppen. Vor 15 Jahren wurde das Programm auf Angehörige der zweiten und dritten Generation, also Kinder und Enkel, ausgeweitet. Zu ihnen zählt Claudio Silberberg.

Spurensuche in Hamburg
Während der siebentägigen Besuchswoche gibt es täglich vier bis fünf Programmpunkte, berichtet Eva Jakobeit. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als Referentin für Erinnerungskultur bei der Behörde für Kultur und Medien und organisiert die Besuche. Auf dem Plan stehen ein festliches Essen im Rathaus mit Kultursenator Carsten Brosda, Treffen mit Schulklassen, aber auch touristische Aktivitäten wie eine Hafenrundfahrt.
Jakobeit berücksichtigt auch individuelle Wünsche. Die Angehörigen und Betroffenen besuchen Familiengräber, Stolpersteine oder ehemalige Wohnungen. „Da sind wir auf die Recherche von Ehrenamtlichen angewiesen, die häufig herausfinden, in welcher Wohnung die Familie oder die Person gelebt hat”, sagt Jakobeit.
Ehrenamtliche begleiten Angehörige im Besuchsprogramm
Eine der Ehrenamtlichen ist Sabine Brunotte. Seit 2006 ist sie Historikerin bei der Stolperstein-Initiative und recherchiert die Biografien von Hamburger*innen, die während des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden. Seit mehr als zehn Jahren bietet sie für das Besuchsprogramm individuelle Begleitung für Angehörige an, um Gedenkorte der Familien zu besuchen.
„Viele der Besucher*innen des Programms wissen oft nicht viel über die Geschichte ihrer Vorfahren und sind dankbar darüber, etwas herauszufinden”, betont Brunotte. Sie mag auch die Begegnungen mit den Familien: „Es ist immer sehr berührend, weil häufig die Rückmeldung kommt, dass es für die Menschen ganz wichtig ist, den Ort zu sehen, wo die Eltern mal gelebt haben.”
Zwischen Ablehnung und Interesse

Es gibt aber auch Personen, die die Einladung nicht annehmen. Claudio Silberbergs Erfahrungen bestätigen das: „Es gab Leute, die kein Deutsch gesprochen haben, keinen VW-Käfer gekauft haben und keine deutsche Schokolade gegessen haben.” Jakobeit erzählt auch, dass Besucher*innen berichten, dass ihre Eltern nicht nach Deutschland zurückkehren wollten – besonders, wenn sie selbst Opfer des NS-Regimes geworden sind.
Dennoch kommen vermehrt die zweiten und dritten Generationen zurück, wie auch Silberberg. Sein Fazit: „Es bringt viel Spaß, aber auch traurige Sachen, aber das ist das Leben und wir müssen weiter nach vorne schauen.”






