Tanzen trotz Angriffskrieg. In Kyjiw nutzen Menschen Tanz als Ausdruck von Protest und Solidarität. Anna Nowak, Kuratorin der Ausstellung “Dance, Dance, Revolution” und Hanna Göbel, Professorin für Stadtanthropologie und ethnografische Methoden, erklären, warum das so gut funktioniert.

Titelbild: Luna Baumann Dominguez, Videoinstallation: Roman Khimei und Yarema Malashchuk

Um Subkulturen im Krieg ging es in der Ausstellung „Dance, Dance, Revolution”, die von Anna Nowak kuratiert wurde und bis Oktober in Hamburg zu sehen war. Sie zeigte, wie sich die elektronische Musikszene in Kyjiw während des russischen Angriffkrieges in der Ukraine veränderte. Ausgelassen tanzen, während wenige Stunden vorher noch Bomben in unmittelbarer Nähe fielen? In der Ukraine gehen Alltag und kulturelles Leben weiter, wenn auch unter erschwerten Umständen. Eine wichtige Frage der Ausstellung: Wie kann Tanz als Form des Protests und der Gemeinschaft dienen?

Kuratorin Nowak beschreibt Tanzen als eine Form, sich dem Leben in all seiner Widersprüchlichkeit zu stellen, gerade in Zeiten von Krieg und Zerstörung. Tanz wird vielerorts als dynamische Protestform und als Ausdruck von Solidarität genutzt. In Hamburg etwa konnte man das beispielsweise im Rahmen der Performance “Lieber tanz ich als G20” beobachten, als Aktivist*innen gegen den politischen Gipfel in der Hamburger Innenstadt mit einem politischen Rave protestierten.

Der Körper im Tanz: Eine Ausdrucksform von Solidarität und Protest

Zurück in die Ukraine: Zahlreiche Interviews mit Clubbesitzer*innen, Barkeeper*innen und Gästen illustrieren die Party-Szene während des Krieges und boten Nowak reichlich Inspiration für ihre Ausstellung. Die Betreiberkollektive mussten auf die neuen Umstände reagieren. Im angesagten Techno Club „Club K41″ finden Partys zu eingeschränkten Zeiten statt. Der Wert der Clubkultur bleibt jedoch für viele Menschen unverändert.

„Man sollte unbedingt tanzen und das ist wichtig, weil dies eine mentale Auseinandersetzung mit bestimmten Themen ist und ich denke, dieses Zusammenkommen war schon immer gesellschaftsbindend”

Tanz und Musik können im Kontrast zum Militarismus stehen und das Gemeinschaftsgefühl stärken: „Man sollte unbedingt tanzen und das ist wichtig, weil dies eine mentale Auseinandersetzung mit bestimmten Themen ist und ich denke, dieses Zusammenkommen war schon immer gesellschaftsbindend”, so Nowak.

Hanna Göbel ist Professorin für Stadtanthropologie und ethnografische Methoden an der HafenCity Universität und hat sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch mit der Erkundung von Tanzpraktiken im öffentlichen Raum auseinandergesetzt. Sie sagt, der Körper sei als Protestform vielseitig einsetzbar, etwa auf der Straße: „Körper werden instrumentalisiert, um bestimmte Dinge auszudrücken. Protestformen können auch im alltäglichen Handeln als solidarische Form von Widerstand auftauchen, also in ganz verschiedenen urbanen Praktiken”.

Tanz könne helfen, auch wenn er kein Allheilmittel sei. Er könne veränderte Wahrnehmungsschemata schaffen, also Gefühle, Gedanken und Erfahrungen verarbeiten: „Wir können vielleicht anders auf uns oder auf die furchtbare Situation des Kriegsgeschehen schauen, wenn wir uns in einer solidarischen Praxis erfahren können”, so Göbel.

Gerade im Krieg, also durch stark veränderte Lebensumstände, können durch das Tanzen im Club vertraute Routinen ausgeübt werden. Die Menschen kennen die elektronische Musik im Club. „Tanz ist nicht nur ein flüchtiger Moment. Er ist an eine Praxis gebunden, die davon lebt, Routinen auszuführen“, erklärt Göbel.

Tanz und Trauer: Wie passt das zusammen?

Ein wichtiger Bezug in Nowaks Ausstellung ist der Karneval. Der werde oft genutzt, um politische Kritik zu äußern. So zeigte ein Karnevalswagen beim Kölner Rosenmontagszug im Jahre 2023 Putin beim Kuss mit dem Teufel. Das ist eine klare politische Botschaft, die bei einem kulturellen Fest vermittelt wurde, bei dem getanzt und gefeiert wird. Die Kuratorin stellte sich bei der Verbindung zu Karneval die Frage: „Wer hat das Recht zu feiern und ist es im Kontext eines moralischen Pflichtgefühls in Ordnung?” 

Es ist nicht unüblich, dass in schwierigen Zeiten gefeiert wird. In anderen Kulturen sind Tanzrituale dann üblich – wie etwa beim Abschied von Verstorbenen. „Warum sollte man dann nicht tanzen und diese Dimension der Verarbeitung erlauben?“, fragt Göbel. Ein Beispiel dafür ist Mexiko mit dem „Dia de los Muertos”. Der Feiertag findet am Abend vor Allerheiligen statt und soll an die Verstorbenen erinnern. Es gibt große Umzüge, wie beim Karneval, bei denen gesungen und getanzt wird.

Körper mit Kriegserfahrung tanzen anders

Die Ausstellung „Dance, Dance, Revolution” zeigte, wie Tanz als Form von Protest und Solidarität wirken kann. Dargestellt wurde das durch Fotos, Videos, eine Soundinstallation und Kunstwerke. Die Künstlerin Anna Potyomkina thematisierte in ihrer Videoinstallation die Themen Trauer und Tanz. Dafür beobachtete sie, wie Menschen trotz des Angriffkrieges feiern, tanzen und loslassen. Wie passt das zusammen? Sie begann den Körper als Sprachrohr zu betrachten und zeigte in verschiedenen Videoaufnahmen tanzende Menschen in der Ukraine – Techno und Stroboskoplicht. Sie sammelt weiterhin Aufnahmen, um den Einfluss des Krieges auf den Tanzstil der Menschen zu beobachten.

Der Tanzstil eines Menschen kann sich durch Krieg verändern, sagt Göbel: „Wir haben in Bewegungen jeglicher Art eine implizite Form des Wissensaustausches, die wir nicht versprachlichen müssen. Körper, die Kriegserfahrungen oder andere traumatische Erfahrungen machen müssen, verändern den kollektiven Wissenszusammenhang und die Art und Weise wie wir uns zum Beispiel durch den urbanen Raum bewegen: deswegen kann sich auch der Tanz als solidarische Praxis im urbanen Raum verändern.”

Der Körper kann im Tanz das Ausdrucksmittel von Solidarität und Protest werden. Dabei bleibt der Einfluss von Erfahrungen nicht unbemerkt – sie spiegeln sich im Tanzstil wieder.

Luna Baumann Dominguez, Jahrgang 1996, hat ein Faible für das deutsche Lachshuhn. Das hat ihr in ihrem Lieblingskartenspiel “Hennen” schon einige Siege beschert. Sie ist in Mönchengladbach geboren, aber schon 13-mal umgezogen. Beim WDR in Köln machte sie ein Praktikum in der Wirtschaftsredaktion. Ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaft begann Luna vor allem, um beim Uni-Radio in Münster zu arbeiten. Dort gründete sie die feministische Sendung “Equals” und interviewte Reggae-Musiker: Bei einem Dub-Inc-Konzert in Paris ließ der Schlagzeuger für sie sogar das französische Fernsehen warten. Die Leute im Ruhrgebiet - große Klappe, herzlich, immer direkt - vermisst sie schon jetzt. Kürzel: lun

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