Die Frauenfußballmannschaft des FC St. Pauli nach dem Spiel vor der Fankurve
Frauenfußball: Das Team des FC St. Pauli bedankt sich bei den Fans. Foto: Nielsen/Odeh

Immer mehr Menschen begeistern sich für Frauenfußball. Was den Frauenfußball so besonders macht und warum es hier ein ganz anderes Gemeinschaftsgefühl gibt, erzählen Carlotta Kuhnert und Justina Aschentrup, Mitglieder und aktive Spielerinnen des FC St. Pauli.

Von Max Niesen und Ranin Odeh

Es ist ein kalter Winterabend in Hamburg, die Becher sind mit warmen Getränken gefüllt, die Fans sind bereit, der Ball rollt gleich los – die Stimmung auf dem gut gefüllten Fußballplatz in Farmsen ist aufgeheizt. Ein paar passionierte Fans singen bereits, als um 20 Uhr der Startpfiff zur zweiten Runde des Landespokals fällt. SC Condor gegen den FC St. Pauli.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.

Seit dem historischen Pokalspiel im Millerntorstadion, gegen die Stadtrival*innen des HSV im September 2023, bei dem St. Paulis Frauen erstmalig im Stadion spielten, hat die Menge der Livezuschauer*innen auch bei Auswärtsspielen wie diesem leicht zugenommen. Die Spieler*innen wissen, dass sie auf ihre treuen Fans zählen können, diese für gute Stimmung sorgen und immer mit dabei sind. Wir unterhalten uns mit zwei Spielerinnen des FC St. Pauli über die Entwicklung und Besonderheit des Frauenfußballs – im eigenen Verein und weltweit.

Entwicklung im Frauenfußball

Justina Aschentrup, Spielerin der zweiten Frauenmannschaft des FC St. Pauli und Jugendtrainerin liebt den Frauenfußball. 2023 erfüllte sie sich einen Traum und reiste nach Australien, um die Frauen-Weltmeisterschaft live zu erleben. Mit großer Begeisterung fieberte sie auf den Tribünen mit – besonders mit den Gastgeberinnen, den Matildas, wie die Fußballspielerinnen der australischen Nationalmannschaft genannt werden.

Justina Aschentrup in Sportkleidung
Justina Aschentrup. Foto: Richard Michael Diedrich

Die WM in Australien war mehr als nur ein sportliches Ereignis. Sie steht für die enorme Entwicklung des Frauenfußballs: Die Stadien waren gefüllt, über hunderttausende Fans waren live vor Ort, weltweit schauten Millionen zu. Der Einfluss der WM reicht weit über die Spiele hinaus. In Australien führte der Erfolg zu einem regelrechten Fußball-Boom: Umgerechnet 118 Millionen Euro versprach die Regierung für die Verbesserung der Fußball-Infrastruktur – ein starkes Signal für die Zukunft.

Doch auch in Europa wird die wachsende Bedeutung des Frauenfußballs immer sichtbarer. In England entfachte eine spannende Diskussion: Nach dem Rücktritt von Gareth Southgate als Trainer der Männernationalmannschaft schlugen Medien Sarina Wiegman, Trainerin des englischen Frauenteams, als mögliche Nachfolgerin vor. Hier in Hamburg fragt sich Aschentrup, weshalb ein Wechsel zum Männerfußball immer noch als Aufstieg gesehen wird.

Frauen spielen fairer als Männer

Die Spiele der ersten Frauenmannschaft von St. Pauli stehen vor allem für einen respektvollen Umgang auf dem Platz. Wie Carlotta Kuhnert, ehemalige Kapitänin des Teams, erklärt, tragen die Spieler*innen selbst viel dazu bei, dass Fairness und Miteinander im Vordergrund stehen. Die Spielerinnen diskutieren seltener mit Schiedsrichter*innen und begehen auch seltener grobe Fouls.

Im Vergleich: In der Bundesliga-Saison 2023/24 erhielten die Frauen insgesamt 413 gelbe Karten (12 Teams), wohingegen bei den Männern 1218 (18 Teams) verteilt wurden. Ein faires Miteinander wird auch neuen Spieler*innen vermittelt: „Das ist fast schon unser Motto“, sagt Kuhnert. Es geht auch darum, sich bewusst von den oft stattfindenden Provokationen im Männerfußball abzugrenzen und ein Beispiel zu setzen. Das Spiel fühle sich so einfach fairer an.

„Bei uns findet langsam ein Umbruch statt. Momentan haben wir noch zu wenig Förderung“

Die Qualität im Frauenfußball nimmt weltweit stetig zu, die Förderung von Frauen und jungen Mädchen wird als immer wertvoller anerkannt. So sind diese Themen auch beim FC St. Pauli ein wichtiges, leider aber noch ausbaufähiges Anliegen. Aktuell ist die Frauenabteilung lediglich im Breitensport verankert, dabei wünschen sich viele Spieler*innen zusätzlich einen Fokus auf Leistungssport. Auch Kuhnert und Aschentrup wünschen sich, dass der FC St. Pauli stärker in ihre Förderung investiert, um jungen Mädchen langfristig bessere Perspektiven zu bieten und den Frauenfußball nachhaltig zu stärken.

Equal Pay im Fußball

Im Vergleich zu anderen Sportarten, wie Tennis, Handball oder Ski, hängt der Fußball im Thema Equal Pay noch hinterher. Da die Gehälter nicht ausreichen, müssen viele Spieler*innen noch einer Nebentätigkeit nachgehen. In wenigen Ländern, unter anderem Dänemark, verdienen Fußballspielerinnen genauso viel wie ihre männlichen Kollegen.

Carlotta Kuhnert beim einem Fußballspiel auf dem Platz. Foto: Eddy-@eddyphotogr
Carlotta Kuhnert. Foto: Eddy-@eddyphotogr

Auch Kuhnert spricht sich für eine gerechte Bezahlung aus, betont aber, dass sie kein Interesse an den oft absurden Millionengehältern der Männer habe: „Das sind Summen, die man nicht braucht.“ Stattdessen wünsche sie sich eine Angleichung auf mittlerem Niveau, die finanzielle Sicherheit und Wertschätzung garantiert.

Fangesänge beim Frauenfußball

Zurück in Farmsen sind die Gesänge von stolzen Fans des Kiezvereins weiterhin laut zu hören.  Auch wenn die Lieder den Fangesängen der Herren sehr ähneln, gibt es einen bedeutenden Unterschied: Die Fans passen die Texte an. Statt „Hier gewinnt nur einer, St. Pauli und sonst keiner“ schallt es bei den Frauen: „Hier gewinnt nur eine, St. Pauli und sonst keine.“

Für Kuhnert, die selbst auf dem Platz steht, macht das einen entscheidenden Unterschied. Auch innerhalb des Teams wird sensibel mit Sprache umgegangen. Sie benutzt bewusst das Wort „Team” anstatt „Mannschaft” und das Spiel der männlichen Kollegen wird statt „Fußball“, „Männerfußball“ genannt.

„Das hier ist kein Ort für Hass, Negativität und Aggression“

Bei Fußballspielen von Frauen fühlen sich Kuhnert und Aschentrup generell wohl. Die Atmosphäre ist offener, entspannter und weniger aggressiv. „Das hier ist kein Ort für Hass, Negativität und Aggression“ – Kuhnert schätzt die Stimmung auf und neben dem Platz in ihrer Abteilung sehr.

Bei einem Frauenfußballspiel habe sich Aschentrup noch nie unwohl, unerwünscht oder sexualisiert gefühlt – zu Spielen von Männern gehe sie außerhalb ihres Vereins mittlerweile nicht mehr. Negative Energie wird im Stadion beim Männerfußball oft raus gelassen – Fangruppen feinden sich an, es kommt zu schweren Auseinandersetzungen. Bei den Frauen gibt es kaum Fans, die sich derartig äußern oder verhalten. Falls dies doch mal der Fall sein sollte, weisen in der Regel andere Fans oder Mitarbeiter*innen darauf hin, dass dies nicht der Ort dafür sei. Der Frauenfußball legt viel Wert darauf, ein sichere Umfeld zu wahren.

Abpfiff

Kurz vor 22 Uhr ertönt der Schlusspfiff und die Fans feiern ausgelassen – ein klarer 1:4 Sieg bringt die FC St. Pauli Frauen in die nächste Runde. Auch bei diesem Spiel wurde wieder klar: Frauenfußball ist weit mehr als nur Sport – er steht für Fairness, Respekt und Gemeinschaft. Ein gesellschaftlicher Anpfiff, bei dem am Ende alle gewinnen können.

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