Zwei junge Frauen sitzen an einem Tisch

Eine Person von 1,8 Millionen: In einer Großstadt kann man sich schnell einsam fühlen. Auch junge Menschen leiden unter Anonymität. Social Clubs bieten die Chance neue Freundschaften zu schließen. Ein Abend am Tisch mit Fremden.

Sie ist eine von vielen auf dem Bürgersteig, eine junge Frau mit langen blonden Haaren. Sie fällt erst auf, als sie unter einem Torbogen stehen bleibt. Über ihrem Kopf schwebt eine Taube. Sie ist Teil des Logos des israelischen Restaurants Mirou Atelier. Die junge Frau zieht ihre großen Noise-Cancelling Kopfhörer von den Ohren. Es wirkt wie ein Zeichen: Nun ist sie bereit für ihre Umgebung, für Kontakt. Und die Geste scheint zu funktionieren. Es kommen immer mehr junge Frauen dazu.

Zwei von ihnen halten laminierte Schilder in den Händen. „Monamie – a social club for girls” steht darauf geschrieben. Sie haken Name auf einer Teilnahmeliste ab. Bald ist die Gruppe vollzählig. Hinter der Eingangstür des Restaurants empfängt die Teilnehmerinnen warmes Licht und leise Musik. Das Lachen der anderen Gäste erfüllt den Raum.

Elisabeth Wagner setzt sich mit den anderen an eine lange Holztafel. Die 26-jährige Ärztin hat früher Feierabend gemacht, um hier sein zu können. Ihr wird ein Stift und ein Etikett gereicht. „Liesi” schreibt sie darauf und klebt es auf ihr blaues Shirt. Gegenüber sitzt Anne Effenberger. Die 28-jährige Architektin hat ihr blondes Haar hochgesteckt, trägt große silberne Ohrringe und ein weißes Hemd. Bei Monamie ist sie heute zum dritten Mal dabei.

Eine junge blonde Frau schaut zur Seite und lächelt
Elisabeth Wagner bei ihrem zweiten Social Club Event. Foto: Pauline Böwing

Krisen und Kriege: Junge Menschen fühlen sich einsam

Die Freundinnen Melina Rohrbach, Klaudia Wolff und Yasmin Agan gründeten den Social Club und schufen damit ein Angebot für Frauen, die Gesellschaft suchen. Seit Dezember bieten sie jeden Monat unterschiedliche Formate an: Alster Walks, Coffee Parties oder ein Girl Dinner. Sonntagabends um 18 Uhr werden die Tickets online freigeschaltet. Der Andrang ist groß. „Uns geht es allen besser, wenn wir unter Menschen sind. Das brauchen wir“, sagt Yasmin Agan. Sie ist 34 und hat Gesundheits­wissenschaften studiert.

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. In der Psychologie wird das Verlangen nach sozialer Verbundenheit als menschliches Grundbedürfnis angesehen. Bisher wurde in der Wissechenschaft vor allem zu Einsamkeit im Alter geforscht. Seid einiger Zeit stehen auch junge Menschen im Fokus: Nach Angaben des Einsamkeitsbarometers 2024 – einer wiederkehrenden Erhebung und Veröffentlichung des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend – fühlt sich im Durchschnitt jede sechste Person in Deutschland einsam. Bei den 18 bis 29-Jährigen ist es sogar jede vierte Person.

Drei junge Frauen nebeneinander
Die Gründerinnen von Monamie: Klaudia Wolff, Yasmin Agan und Melina Rohrbach. Foto: Pauline Böwing

Die Zahlen zur Einsamkeit von jungen Menschen sind je nach Erhebung mal mehr und mal weniger drastisch. Die Bertelsmann-Stiftung spricht von 46 Prozent der 16-30-Jährigen, die sich einsam fühlen. Das Statistische Bundesamt von 23,6 Prozent bei den 18 bis 29-Jährigen. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen sozialer Einsamkeit, bei der Menschen sich nicht in ihr Umfeld integriert fühlen und emotionaler Einsamkeit, wie aus einem Paper des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zur Einsamkeit im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter hervorgeht. Dabei kann sich eine Person, obwohl sie viele Freund*innen hat, einsam fühlen, wenn diese Freundschaften nur oberflächlich sind.

“Uns geht es allen besser, wenn wir unter Menschen sind. Das brauchen wir”

Durch die Pandemie stiegen die Einsamkeitswerte bei jungen Menschen in den letzten fünf Jahren sprunghaft an. Während sich von 2005 bis 2017 laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 14 bis 17 Prozent der jungen Erwachsenen einsam fühlten, stieg der Wert im Jahr auf 41 Prozent. Eine Verbesserung blieb auch nach Ende der Ausgangsbeschränkungen aus. „Die starken Einschränkungen 2020 und 2021 waren sehr problematisch, aber dann wurde sie durch andere große Krisen abgelöst“, sagt Dr. André Hajek, Professor für Interdisziplinäre Versorgungsepidemiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und meint etwa Kriegs- und Klimaangst. Sie hätten heute einen starken Einfluss auf die mentale Gesundheit junger Menschen.

Alster Walk oder Girl Dinner – Hauptsache zusammen

Im Restaurant werden die Speisekarten verteilt. Über dem Tisch hängen drei große Korblampen, an den Wänden Makramee-Wandbehänge. Ein Hauptgericht kostet 18,50 Euro. Anne Effenberger und Elisabeth Wagner bestellen Limonade, Blumenkohl mit Rote Bete und Aubergine mit Humus. Beide Frauen sind berufstätig. Der Preis spielt für sie heute keine Rolle. Andere Events von Monamie, zum Beispiel der Spaziergang an der Alster, sind kostenlos und immer zuerst ausgebucht. Gerade Menschen mit niedrigem ökonomischen Status fühlen sich häufig einsam. Laut der Publikation “Allein unter vielen oder zusammen ausgeschlossen: Einsamkeit und wahrgenommene soziale Exklusion in der zweiten Lebenshälfte” ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich von Armut betroffene Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, dreimal höher als bei Menschen ohne finanzielle Schwierigkeiten.

Zurück im Restaurant: Auf dem Tisch liegen Kärtchen. Darauf stehen Fragen wie: „Wenn du eine Fähigkeit oder Superkraft wählen könntest, welche wäre das?“ Die Gruppe braucht diese Eisbrecher heute Abend nicht, das Gespräch läuft. Effenberger erzählt, wie sie vor zweieinhalb Jahren nach Hamburg gezogen ist und Monamie auf Instagram entdeckte. Den großen Vorteil sieht die 28-Jährige darin, dass man sich anders als bei anderen Angeboten nicht nur mit einer Person trifft. „Das ist hier natürlich ein bisschen entspannter, wenn man in so großer Runde ist und einfach ein bisschen reden kann“, sagt sie.

Eine junge, blonde Frau lächelt
Anne Effenberger beim Girl Dinner. Foto: Pauline Böwing

Irgendwann geht es am Tisch darum, ob sich die Frauen auch mal einsam fühlen. Die Teilnehmerinnen zögern. „Einsam würde ich nicht sagen“, antwortet Wagner. „Wenn man neu in eine Großstadt kommt, ist es ja auch immer ein bisschen schwierig, Menschen kennenzulernen“, sagt Effenberger und lacht. Yasmin Agan sagt: „Wir sagen nicht, du bist einsam, dann komm zu uns, sondern uns geht es eigentlich allen so.“

Schuld und Scham – das negative Stigma der Einsamkeit

Freiwillig ist niemand einsam. Die, die es betrifft, schämen sich meist dafür.  Die Autor*innen der Studie „Revisiting the social stigma of loneliness“ der James Madison University kamen zu dem Ergebnis, dass einsame Menschen an ihrer sozialen Kompetenz und Willensstärke zweifeln. Sie würden sich selbst die Schuld geben. Diese Stigmatisierung kann dazu führen, dass sie sich nur noch weiter aus dem sozialen Umfeld zurückziehen. Empirische Forschung zur Stigmatisierung von Einsamkeit gibt es bisher kaum.

Wenn sich Menschen einsam fühlen, erhöht das zunächst ihre Motivation, den Kontakt zu anderen zu suchen. Wenn das nicht funktioniert, kann eine Negativspirale ausgelöst werden. Das führt eine Veröffentlichung zur demokratischen Relevanz von Einsamkeitserfahrungen des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum aus. Die körperliche und mentale Gesundheit leide darunter. Betroffene hätten ein höheres Sterblichkeitsrisiko. Professor Dr. Hajek nennt Stress, Entzündungsreaktionen im Körper, Mental Health und den Lebensstil als Ursachen für diesen Effekt.

„Wir sagen nicht, du bist einsam, dann komm zu uns, sondern uns geht es eigentlich allen so.“

Und es geht noch weiter: Einsamkeit macht unzufrieden und eine politische Radikalisierung wahrscheinlicher. Laut Bertelsmann Stiftung glauben einsame Menschen eher an Verschwörungstheorien und vertreten eher extremere Meinungen. Einsamkeit kann so zur Gefahr für die Demokratie werden. Professor Dr. Hajek sieht die Aufgabe, etwas gegen das Problem zu tun, auch bei den Individuen. „Letzten Endes liegt es natürlich auch an uns, rauszugehen“, sagt er.

Der mögliche Beginn einer Freundschaft

Die Teller werden abgeräumt. Getränke nachbestellt. Ein paar Strähnen haben sich aus Wagners halb hochgesteckten Haar gelöst. Sie erzählt, dass sie erst seit zwei Monaten in Hamburg wohnt. Mit Monamie konnte die 26-Jährige sich schon einen kleinen Freundeskreis aufbauen. „Ich habe das angefangen, um andere Leute kennenzulernen, als man sonst so kennenlernen würde“, sagt sie. Anne Effenberger berichtet, wie sie über ein Gewinnspiel günstig Tickets für das “Harry Potter”-Musical in Hamburg bekommen hat. In der Hand hält sie ihr halb volles Glas Limonade.

Getränke und Essen auf einem Tisch
Getränke und Essen beim Monamie Event. Foto: Pauline Böwing

Es entstehen längere Pausen. Anne Effenberger ist schließlich die Erste, die aufbricht. Elisabeth Wagner schließt sich ihr an. Beide haben vor, noch einmal an einem Event teilzunehmen. Draußen ist es dunkel geworden. Unter dem Schild mit der Friedenstaube bleiben alle kurz stehen. Kontaktdaten werden ausgetauscht, Busverbindungen rausgesucht. In kleineren Gruppen verabschieden sich die Frauen und machen sich gemeinsam auf den Weg.

Eine junge Frau mit dunklen Haaren und gestreiftem Tshirt

Pauline Böwing, Jahrgang 2003, lässt sich nicht von Telepromptern aus der Ruhe bringen und war sogar trotz Bombendrohung live auf Sendung beim Bayerischen Rundfunk. Die gebürtige Stuttgarterin hat schon in fünf Städten gewohnt, spricht vier Sprachen und war aus Versehen Komparsin bei “Willi wills wissen”. Sie studierte Kommunikationswissenschaft und im Nebenfach Jura in München, schrieb für die “Abendzeitung” und arbeitete beim ZDF. Ihr Auslandssemester hat sie in Leicester absolviert. Sport liebt sie, nur Fußball nicht. Trotzdem ist sie St. Pauli-Fan. Spitzname halt: Pauli. Kürzel: pau

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