„Unterröcke an Bord, das bringt Unglück“, lautet ein alter Seemannsspruch. Auch 2025 sind Frauen am Steuer von Schiffen noch eine Seltenheit. Drei von ihnen erzählen, wie sie durch raues Fahrwasser manövrieren.

Titelbild: Illustration von Kim-Melina Bertram

Die Morgensonne funkelt auf der Elbe, Möwen kreischen und an der Hafenmeile drängen sich Schaulustige. Es ist Hafengeburtstag in Hamburg. Alle Augen sind auf die Cap San Diego gerichtet, sie ist bereit zum Ablegen. „Ruder liegt Steuer 20!“, hallt es über die Brücke ebendieses Schiffes. Die dazugehörige Stimme ist weiblich. Am Steuer steht Cynthia Wolter, 32 Jahre alt und angehende Kapitänin. Sie manövriert das größte fahrtüchtige Museumsschiff der Welt. Ihre Sonnenbrille sitzt tief im Gesicht, der Blick ist fokussiert. Als Besuchende auf die Brücke kommen, wird es eng. Wer sich in ihr Sichtfeld stellt, wird zur Seite geschickt. Stimmengewirr, Kameras, Geraschel – Wolter bleibt konzentriert.

Das Schiff entfernt sich vom Hafen. Die Containerterminals gleiten vorbei, Blankenese ist schon in Sicht – Wolter gibt das Steuer ab.

Cynthia auf dem Deck der Cap San Diego. Sie trägt ein rotes Oberteil, steht mit den Armen in der Hüfte auf dem Schiff und guckt in die Kamera.
Cynthia auf der Cap San Diego. Foto: Clara Gödecke

Die Cap San Diego fährt Cynthia Wolter ehrenamtlich. Eigentlich arbeitet sie als Dritte Offizierin auf Schiffen, die Windkraftanlagen im Meer aufbauen. „Es gibt Männer, die sich völlig verschließen und dieses Mantra in sich tragen: Eine Frau kann das nicht“, sagt sie. Gerade zu Beginn ihrer Zeit als Offizierin sei ihr wenig gezeigt und beigebracht worden – dabei ist sie überzeugt, dass man nur durchs Tun lernt.

Wenig Platz auf Brücke – und in der Geschichte

Bis 1915 war es in deutschen Werften tabu, Frauen überhaupt einzustellen. Erst 1955 wurde mit Anneliese Teetz die erste deutsche Kapitänin registriert – sie musste sich als Jugendliche noch als Junge verkleiden, um überhaupt mitfahren zu dürfen. Seither gab es Fortschritte – wenn auch langsam. Laut Zahlen der Knappschaft-Bahn-See fuhren 21 Kapitäninnen im Jahr 2024 auf deutschen Schiffen – bei insgesamt 948 Kapitänsposten. Der Anteil wächst, bleibt jedoch gering: 2019 waren es noch 16 Frauen. Auffällig ist: Je jünger die Beschäftigten sind, desto höher der Frauenanteil.

Grafik: Bordpersonal auf deutschen Schiffen. Zwei Prozent aller Kapitän*innen sind Frauen. Etwa sieben Prozent der Nautischen Offizier*innen sind Frauen. Etwa ein Prozent der technischen Offizier*innen sind Frauen. Stand 2024. Wie steht es um Frauen im Hamburger Hafen?

Seit 2022 erinnert der Internationale Tag der Frauen in der Schifffahrt am 18. Mai an strukturelle Barrieren im maritimen Sektor. Frauen in Führungspositionen leiden an Bord unter tief verankerten Rollenbildern. Eine Studie der All Aboard Alliance von 2023 zeigt: Frauen werden oft als weniger kompetent wahrgenommen und müssen sich häufiger beweisen.

Der Kapitän ist eine Frau

Lea Brakemeier steht auf der Brücke eines Küstenmotorschiffes. Sie blickt in die Ferne. Im Hintergrund sieht man das Meer.
Lea Brakemeier auf der Brücke eines Küstenmotorschiffes. Foto: Lea Brakemeier

Das weiß auch Lea Brakemeier, die gerade über die Ostsee schippert. Sie ist 28 Jahre alt und Kapitänin eines Küstenmotorschiffes. „Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass das Bild des Kapitäns in den meisten Köpfen immer noch ein alter, erfahrener Mann ist, so ganz klischeehaft mit Bart, mit Mütze vielleicht noch mit der Pfeife im Mund. Und dann komm ich, recht jung, nicht männlich, ohne Bart“, sagt sie.

Brakemeier erzählt, dass Lotsen oft ihren ersten Offizier für den Kapitän halten – und sie für die Praktikantin. Mit einem Grinsen sagt sie: „Wenn mir das nochmal passiert, gehe ich kurz raus, wieder rein und stelle mich nochmal als Kapitän vor“, so Brakemeier. Sie betont, dass Frauen an Bord mehr leisten müssen, um ernst genommen zu werden. „Die Frauen, die es geschafft haben, sich zu etablieren, mussten fast immer 110 Prozent geben“, sagt sie.

Zwischen Barkassen und Barrieren

Magdalene Mintrop, heute 67 Jahre alt, stieg erst spät in die Schifffahrt ein: Mit 51 Jahren machte sie ihr Hafenpatent und stand am Steuer von Barkassen im Hamburger Hafen. Während ihrer praktischen Prüfung hing neben dem Steuer eine Postkarte: „Frauen fahren besser – mit öffentlichen Verkehrsmitteln“. Mittlerweile ist sie in Rente und steuert nur noch ihre eigene Barkasse. Doch bei ihr Zuhause erinnern kleine Schiffsmodelle, Fotos und maritimes Sammelgut an ihre Zeit auf dem Wasser. Ihr Zimmer gleicht einer Koje – eng, gemütlich, voller Geschichten. Hier lebt jemand, der viel unterwegs war.

Magdalene Mintrop sitzt in der Sonne und blättert auf einem Balkon durch ein Fotobuch mit Bildern aus ihrer Zeit am Hamburger Hafen. Sie ist umgeben von Pflanzen, trägt eine Brille und ein olivfarbenes Oberteil. FINK.HAMBURG spricht mit ihr über: Frauen im Hamburger Hafen
Magdalene Mintrop blättert durch ein Fotobuch mit Bilder aus ihrer Zeit am Hamburger Hafen. Foto: Clara Gödecke

„Ich bin lange Taxi gefahren und habe schon häufiger Berufe gemacht, in denen es Frauen nicht leicht haben. Aber das war das Härteste“, so Mintrop. Immer wieder wurde sie mit sexistischen Kommentaren und abfälligen Witzen konfrontiert. Irgendwann entschied sie sich, nicht mehr zu reagieren. „Ich arbeite mich an diesen Sexisten nicht ab“, sagt sie nüchtern.

Kapitänin Brakemeier tut das auch nicht. Sie habe sich ein dickes Fell zugelegt, an dem dumme Sprüche abprallen. Sie wisse aber auch, dass sie als Kapitänin das letzte Wort hat – unabhängig vom Geschlecht. „Wenn Männer nicht in der Lage sind, teamfähig zu arbeiten und Befehle auszuführen, dann gehören die einfach nicht auf ein Schiff“, sagt sie. Kurz darauf kommen zwei Crewmitglieder auf die Brücke und bitten sie um Erlaubnis, Fahrräder mit an Land zu nehmen. Es wird deutlich: Sie hat das Sagen.

Frauen am Steuer manövrieren zwischen Rollenbildern

Die Cap San Diego dreht bei Glückstadt. Die Flut kommt von der Nordsee herein, das Schiff nimmt Fahrt auf.

Berufsverband Frauen zur See e.V.:

Seit 1998 können sich zur See fahrende Frauen hier untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen. Der Verband bietet zudem Workshops und regelmäßige Treffen an, um den Austausch zwischen Frauen zu fördern und Frauen in der Schifffahrt sichtbar zu machen.

Frauen am Steuer navigieren nach wie vor zwischen Fortschritt und festgefahrenen Rollenbildern. Lea Brakemeier und Cynthia Wolter arbeiten beide in international ausgerichteten Unternehmen mit viel Rückhalt – dennoch spüren sie Gegenwind. „Da muss an der Wurzel, an der kompletten Weltanschauung angefasst werden“, sagt Brakemeier. Mehr Frauen an Bord könnten helfen, das Bild vom Kapitän zu verändern – und Frauen in dem Beruf sichtbarer zu machen.

Cynthia Wolter steht wieder am Steuer, die Cap San Diego ist kurz vor Hamburg. Die Elbphilharmonie kommt in Sicht. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. “Für mich ist das der schönste Moment”, sagt sie. Doch im Hafen herrscht dichter Verkehr. Das Schlepperballett läuft – Schiffe tanzen zu Musik auf der Elbe. Zwischen Fähren und kleinen Motorbooten bleibt für die Cap San Diego kaum Raum. Das übliche Wenden hinter der Elbphilharmonie ist aus zeittechnischen Gründen nicht möglich – ein spontanes Drehmanöver ist nötig. Wolter steuert konzentriert. „So bin ich auch noch nie reingefahren“, sagt sie. „Sieht auch sehr knapp aus“, kommentiert ein Kollege. Wolter bleibt ruhig.

Wenige Minuten später liegt das Schiff sicher an seinem Platz. „17:07, Schiff in den Schlössern“, tönt es von Deck.

cla

Im Dschungel, auf 3000 Metern Höhe oder auf dem Motorrad – Clara Gödecke, Jahrgang 2000, entdeckt gern Neues. 27 Länder hat sie schon erkundet, am meisten faszinierte sie Nepal. Für ein Media-Systems Studium an der HAW zog Clara 2020 von Köln nach Hamburg. Sonne gab es wieder im Auslandssemester in LA, wo sie auch einen Kurzfilm drehte - er handelt von einer Person in einem Raum ohne Ausweg. So abenteuerlich wie ihre Reiseziele sind auch ihre Jobs. Für die NDR Talk Show betreut sie Gäste, bei der Serie “Bergretter” arbeitet sie als Setaufnahmeleiter-Assistentin, und als Türsteherin warf sie gelegentlich Betrunkene aus einer Bar. Kürzel: cla

2 KOMMENTARE

  1. Hi Clara,
    schöne Reportage, unterhaltsame Lektüre zum Frühstück 🥐☕️ beim Lesen entstehen richtig Bilder im Kopf und man meint einen Sprechertext zum imaginären Film zu hören – hast mich kurz auf‘s Schiff mitgenommen. Besten Dank dafür!
    tom

  2. …und es ist natürlich ein plakativer Angang für dein eigentliches Thema im Untertitel „Frauen am Steuer, also deine These, was Männer tradiert Frauen nicht zutrauen und die Frage „warum eigentlich?!“

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