Was als Geste am Steuer begann, wurde zum Internetphänomen: Busfahrer Michel Schwartz erreicht mit seinem „415er“-Gruß Millionen – und zeigt, wie soziale Medien das Berufsbild der oder des Busfahrer*in verändern können.
Einige Menschen stehen auf dem asphaltierten Abfahrtsbereich A des Busbahnhofs Hamburg-Bergedorf. Es ist Sonntag, die Sonne scheint, und es ist nicht viel los. Die Wartenden schauen auf ihre Smartphones, bis sich der Bus der Linie 32 nähert, stoppt und die Türen öffnet.
Am Steuer sitzt Michel Schwartz, 45 Jahre alt. Mit einem Lächeln begrüßt der Busfahrer seine Fahrgäste. Er wirkt ruhig und gelassen – als sei das Steuern eines 18 Meter langen Busses ein Spaziergang. Seine Fahrerkabine schmückt er vor jeder Fahrt: Ein Foto seiner Frau, ein Foto seiner Tochter, ein Faultier-Stofftier mit blauem Kapuzenpullover – und ein Namensschild, das er gut sichtbar an die Windschutzscheibe hängt.
Michel Schwartz ist einer von Tausenden Busfahrer*innen, die täglich Hamburger durch die Stadt bewegen. Doch anders als die meisten seiner Kolleg*innen kennen Millionen, vor allem junge Menschen, sein Gesicht. Denn Michel ist auf Social Media mit einer ungewöhnlichen Geste bekannt geworden: Dem „415er“-Gruß. Seine Videos auf TikTok und Instagram erreichen regelmäßig Millionen Menschen – Spitzenwerte von über 16 Millionen Aufrufen inklusive. Der Gruß ist mittlerweile sein Markenzeichen. Mit seinen Inhalten will er das Image von Busfahrer*innen verbessern. „In meinem Bekanntenkreis können dir die Leute mindestens zwei, drei oder vier negative Geschichten über Busfahrer erzählen. Und das finde ich halt schade“ sagt er.
Der „415er“: Eine Geste wird zum Symbol
Seinen Handgruß hat Michel sich während eines Roadtrips in Kanada angewöhnt. Erst vier Finger ohne Daumen nach vorne gestreckt, dann den Zeigefinger in Richtung der zu grüßenden Person und abschließend die ganze Hand. Die vier steht für seine Lieblingszahl, die Eins bedeutet „Kollege, ich sehe dich“ und die Fünf – „einfach quasi, wie so ein High Five“, erklärt er.
Seit 2020 postet Michel regelmäßig Inhalte auf Social-Media. Inspiriert hat ihn die Busspotter*innen-Szene: Menschen, die aus Leidenschaft Busse fotografieren – oft an Ausfahrten von Depots oder entlang der Strecken. Auch Michel wurde bei der Arbeit als Busfahrer immer wieder fotografiert. Irgendwann begann er, selbst Busse zu fotografieren, vor allem im Urlaub – etwa in der Türkei oder in Kanada. Später kamen Videos dazu, in denen er Fahrgäste und Kolleg*innen mit dem „415er“ grüßt.
„Ich wollte nie berühmt werden“, sagt er. „Mir war immer bewusst, dass das ein vorübergehender Trend ist und in zwei, drei Wochen oder einem Monat vorbei sein kann“. Statt Ruhm verfolgt er ein anderes Ziel: Er will seine Arbeit sichtbarer machen. Das Image von Busfahrer*innen liegt ihm am Herzen und der Wunsch, den seiner Meinung nach oft schlechten Ruf verbessern.
„in meinem Bekanntenkreis können dir die Leute mindestens zwei, drei oder vier negative Geschichten über Busfahrer erzählen.“ – Michel Schwartz
Tatsächlich zeigt eine Studie der Hochschule Fresenius aus dem Jahr 2018, dass Busfahrer*innen häufig mit hohen Erwartungen konfrontiert werden – und Frust über Verspätungen, Ticketpreise oder Fahrpläne oft an ihnen ausgelassen wird. Michel will mit seiner Präsenz im Netz genau da ansetzen: Ein realistischeres, menschlicheres Bild seines Berufs Busfahrer vermitteln.

Für Busfahrerinnen kommt oft noch ein doofer Spruch dazu
Auch Lena Lünsmann kennt solche Erfahrungen. Sie ist Busfahrerin bei den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH). „Ich bekomme gerne mal Beschwerden, wenn der Bus zu spät kommt. Und tatsächlich, auch wenn er zu früh kommt“. Als Frau bekommt sie jedoch oft noch zusätzliche Kommentare. „Es sagen tatsächlich schon sehr viele: ‚Oh Gott, eine Frau am Steuer und dann auch noch im Bus‘. Das ist dann immer nicht so toll.“.
Trotzdem liebt sie ihren Job. Sie erzählt, dass viele sie auch für das Fahren eines großen Fahrzeugs bewundern und sie fragen, wie sie das schaffte. Für sie sei der Beruf richtig toll und könne gerne die nächsten 40 bis 50 Jahre so weiter gehen.
Die Videos und Posts von Michel Schwartz kennt sie gut. Sie folgte ihm schon lange bevor sie selbst angefangen hat Bus zu fahren und ist der Meinung, dass Michel mit seinen Inhalten für frischen Wind sorgt – und zusätzlich einen coolen Blick hinter die Kulissen gibt. Seitdem er mit seinen Grüßen viral gegangen ist, bekommt sie sogar auch ab und zu ein „415er“ von Fahrgästen. „Er bringt andere ein bisschen näher an den Beruf heran“, sagt sie.
„Er bringt andere ein bisschen näher an den Beruf heran.“ – Lena Lünsmann
Verkehrsbetriebe zwischen Imagepflege und Realität
Während Michel Schwartz und Lena Lünsmann durch ihr persönliches Engagement das Berufsbild mitprägen, verfolgen die beiden Hamburger Verkehrsunternehmen eigene Strategien. Die Hochbahn sieht kein Imageproblem: „Der Job ist durch den Verkehr herausfordernder geworden, aber unsere Einstellungszahlen liegen aktuell bei über 30 pro Monat – da braucht es keine Sonderprogramme“, heißt es aus dem Unternehmen. Kritik von Fahrgästen richte sich selten pauschal gegen den Berufsstand, sondern beziehe sich auf individuelle Situationen, bemerkt der Pressesprecher der Hochbahn, Christoph Kreienbaum.
Die VHH sieht das differenzierter: „Es gibt viel Anerkennung, aber auch Frust über Staus oder Verspätungen, die unsere Fahrer*innen ausbaden“, sagt ein Sprecher. Um gegenzusteuern, setzt das Unternehmen auf Kampagnen wie den Wettbewerb „Lieblingsbusfahrer*in“, um das Berufsbild positiver aufzuladen. Auch Social Media nutzt das Unternehmen – wenn auch, mit durchschnittlich 300 Likes bei Posts auf Instagram, mit gemischtem Erfolg. Die Popularität von Michel Schwartz etwa habe „keinen messbaren Effekt auf Bewerbungen“ gehabt, so die VHH.
Michel Schwartz bleibt Busfahrer
Ob viraler Gruß oder klassischer Service: Am Ende prägt jede einzelne Person am Steuer das Bild des Berufes mit. Michel Schwartz fährt mittlerweile für die Stadtreinigung Hamburg Müllwagen, um seinen Beruf besser mit seiner Familie vereinbaren zu können. Das Busfahren kann er aber nicht ganz lassen und fährt nebenberuflich noch ab und zu Bus.
Je größer das Universum, desto spannender. Was so astrophysikalisch klingt, ist in Wirklichkeit das Motto des Popkultur-Enthusiasten Paul Sieben. Wenn Paul, Jahrgang 1996, über seine liebsten fiktiven Welten redet, leuchten seine Augen: Netzkultur, Storytelling, Nerdkram. Paul hat der Sozialarbeit den Rücken gekehrt und Medien- und Kommunikationswissenschaften in seiner Heimatstadt Hamburg studiert. Volleyball schaut er gern. Weil er bei jedem Spiel war, ist er sogar vom Fan zum inoffiziellen Manager aufgestiegen. In einem ganz bekannten Steinzeitmuseum hat er Hausverbot. Wie es dazu kam? Das sind die Mysterien von Pauls eigenem Universum. Kürzel: psi