Vier Personen sitzen in einem Stuhlreis und lächeln.
Alltagsgespräche, Witze und Spiele bestimmen die Gespräche. Foto: Hasset Tefera Alemu

Im SprachcaEimsbüttel kann man nicht nur deutsche Grammatik lernen, sondern auch gemeinsam Sprechen üben. Zweimal die Woche treffen sich hier Geflüchtete aus Hamburg. Ein Ortsbesuch.

Svetlana M. ist spät dran. Um 16.58 öffnet die 45-Jährige die Kellertür der Kreuzkirche in Eimsbüttel. Sie trägt ein weißes T-Shirt und eine Jeansjacke. Erst legt sie ihren Rucksack ab. Dann nimmt sie sich einen Stuhl und stellt ihn zum Stuhlkreis dazu. Sie winkt einmal in die siebenköpfige Gruppe, begrüßt bekannte Gesichter. Alle Teilnehmende sind mittleren Alters.

„Es ist ein Lebewesen, es ist braun, es ist an Land, es fliegt nicht”, sagt eine Ehrenämtlerin. Svetlana runzelt die Stirn und überlegt, um was sich das Gespräch gerade dreht. Sie rückt ihren Stuhl näher heran. „Ist es ein Spiel?”, fragt sie. „Ja, genau”, ruft jemand aus der Gruppe. Reihum raten alle einmal, um welches Tier es sich wohl handeln könnte. Svetlana nickt immer wieder und überlegt. Sie rückt ihren Stuhl noch näher ran. Nach ein paar Sekunden ist sie an der Reihe. Ihr erster Versuch: „Ein Hamster?”

Weitere sieben Personen sitzen einige Meter entfernt zusammen. Im Gegensatz zur anderen Gruppe haben sie sich um einen Tisch versammelt. Es sind junge Männer, aber auch Frauen mittleren Alters. „Und jetzt im Perfekt bitte”, hört man einen Ehrenämlter zur Gruppe sagen. Blätter werden raschelnd rumgegeben. Kaffee, Kekse, Tee und Wasser stehen auf einem separaten Tisch bereit. Kugelschreiber und Bleistifte kritzeln auf Papier. Ein Beamer strahlt eine Leinwand an, darauf ist zu lesen: „Er fällt vom Baum.”

Das Präteritum ist unbeliebt

„Er ist vom Baum gefallen”, ruft ein junger Mann und alle nicken. Sie kennen die Antwort in der Perfektform. Es wird von Perfekt zu Präteritum gewechselt. Ein enttäuschtes Raunen und Gelächter ist zu hören. Das Präteritum ist unbeliebt.

Svetlana besucht jeden Donnerstag das Sprachcafé. Foto: Hasset Tefera Alemu

Um 16 Uhr starten jeden Donnerstag in der Kreuzkirche Eimsbüttel die sogenannten Sprachcafés. Der gemeinnützige Verein „Hamburger mit Herz” und die Kreuzkirche in Eimsbüttel richten sie aus. Jede*r ist ohne Anmeldung willkommen. Hier haben Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und vor allem Deutsch zu sprechen. Svetlana ist eine von ihnen. Die 45-Jährige besucht das Sprachcafé seit letztem Dezember. Seitdem kommt sie regelmäßig.

„Normalerweise spreche ich in meinem privaten Leben kein Deutsch, deswegen will ich hier üben”

Svetlana kam aus der Ukraine nach Hamburg – ihre erste Stadt in Deutschland. Heute wohnt sie in Bahrenfeld und braucht 15 Minuten mit dem Fahrrad zum Sprachcafé. „Hamburg ist eine sehr freundliche Stadt”, sagt sie. Ihr seien viele nette Menschen begegnet. Hamburg sei groß und multikulturell. Über eine Freundin hat sie von dem Sprachcafé erfahren. „Normalerweise spreche ich in meinem privaten Leben kein Deutsch, deswegen will ich hier üben”, sagt sie. Ihr ist es wichtig, nicht nur die Sprache zu lernen, sondern vor allem das Erlernte auch anwenden zu können. Ihr fehlen Gesprächspartner*innen im Alltag. Svetlana hat bereits ein Sprachniveau von C1 (siehe Kasten). Das bedeutet, dass sie fortgeschrittene Kenntnisse hat. Aber das reicht ihr nicht. Sie möchte sich verbessern.

Die Sprachniveaus A1 bis C2 wurden vom Europarat im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) festgelegt. Sie beschreiben, wie gut jemand eine Sprache beherrscht: von einfachen Grundlagen (A1) über selbständige Sprachverwendung (B1/B2) bis hin zu muttersprachlicher Kompetenz (C1/C2). Um beispielsweise eine Berufsausbildung in Deutschland beginnen zu können, benötigt man ein Sprachniveau von mindestens B2. Um dieses Sprachniveau nachweisen zu können, muss man einen Sprachkurs mit entsprechendem Zertifikat absolvieren.

Kein Sprachkurs im klassischen Sinne

Allerdings: „Ein Sprachkurs ist das hier nicht”, sagt Sebastian Wagner vor dem Start des Sprachcafés. Es sind noch nicht viele da. Die Ehrenamtlichen haben Kaffee auf den Tisch gestellt. Kekse liegen auch schon bereit. Sebastian ist einer von vier Hauptamtlichen, die bei Hamburger mit Herz arbeiten. Er ist vor allem für administrative Aufgaben und die Organisation im Verein zuständig. Sebastian hat die Tür im Blick. Immer wieder geht sie auf und neue Teilnehmer*innen kommen herein. Er erklärt, dass Geflüchtete zwar beispielsweise vom Jobcenter oft zu ihnen geschickt würden, Teilnehmer*innen sich jedoch klar darüber sein müssen, dass sie am Ende kein Zertifikat ausgestellt bekommen.  

Sebastian bemerkt ein neues Gesicht. Er begrüßt die Teilnehmerin und fragt nach ihren Deutschkenntnissen. „A1 oder A2? Dann gerne einmal hier hin.” Er zeigt auf die Gruppe mit dem Beamer und den Tischen. Die neue Teilnehmerin spricht aber schon ein wenig Deutsch. Sie hat rote, lockige Haare und trägt ein grünes Oberteil und eine grüne Hose. „B2” antwortet sie selbstbewusst. „Ich will vor allem sprechen”, sagt sie. Sebastian nickt und deutet mit der Hand zum Stuhlkreis und sagt: „Dann die Stufen hoch”. Sie bedankt sich und folgt der Richtung.

Kaffee und Kekse werden regelmäßig aufgefüllt. Foto: Hasset Tefera Alemu

Es ist laut. Alle sind bei der Sache. „Nein, auf Deutsch”, ist mehrmals zu hören. Die Teilnehmenden sind streng zueinander, strenger als es die Ehrenamtlichen zu ihnen sind. Egal, wie schwer ein Satz auch scheinen mag, Witze zu machen, traut sich jede*r. „Wenn du nur sagst, ,Es ist ein Tier im Wald’, dann bleiben wir hier bis morgen”, scherzt eine Teilnehmerin. Alle im Kreis lachen. Das gesuchte Tier ist klein, befindet sich im Haus – ist aber kein Haustier. „Ist es ein Insekt?”, fragt ein Teilnehmer. „Kein Insekt, aber du bist nah dran”, kommt als Antwort zurück. „Ah, Schildkröte?”, sagt Svetlana selbstsicher. Aber sie liegt falsch

Spielerisch Deutschland besser verstehen

Eine Teilnehmerin sagt, dass sie „schon drei Jahre” in Deutschland sei und wirklich besser sprechen möchte. Nach einer kleinen Pause ermutigt sie Sophie Forstshoff, eine von den Ehrenämtlern: „Oder auch erst drei Jahre.” Die Masterstudentin in Digitale Transformation und Nachhaltigkeit trägt einen pinkfarbenen Pullover und eine schwarze Brille. Ihre hellbraunen Haare hat sie lässig zu einem Zopf zusammengebunden. Sie sitzt mit im Stuhlkreis. Die Teilnehmer*innen kennen sie. Sophie lächelt und spielt beim Tiere-Raten mit.

Sophie hat über eine Freiwilligenbörse von dem Verein und dem Sprachcafé erfahren. Die 25-Jährige erlebt, dass die Teilnehmenden vor allem über Deutschland viel erfahren wollen. „Was macht man in Deutschland? Was nicht? Wie finde ich einen Job? Oder eine Ausbildung?” Es könne auch mal persönlich werden, sagt Sophie. Aber hauptsächlich möchten die Teilnehmenden Deutsch sprechen. So wie Svetlana.

Vor 15 Jahren entstand der gemeinnützige Verein Hamburger mit Herz. Er hat das Ziel, Menschen mit Migration und Fluchterfahrung zur Seite zu stehen. Dem Verein ist es wichtig, dass Integration auf Augenhöhe geschieht. Die Teilnehmenden sollen selbstbestimmt lernen und in einem offenen Miteinander voneinander profitieren.

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Sophie (links) und die Teilnehmenden kennen sich gut. Foto: Hasset Tefera Alemu

Es ist 18:43. Im Raum ist es viel ruhiger geworden. Der Stuhlkreis ist fast leer. Vereinzelt unterhalten sich noch einige. Die Unterrichtseinheit ist zu Ende für heute. Die Tür geht wieder auf und zu. Viele sind am Gehen. Auch Svetlana. Sie hat sich in der Runde verabschiedet, ihren Rucksack aufgezogen und den Stuhl zurückgebracht. Nächste Woche wird sie wieder da sein, so wie jeden Donnerstag. „Das war das Erste, woran ich gedacht habe”, beteuert sie, nachdem ihr Sitznachbar das Spiel gewonnen hat. Die Auflösung: eine Spinne.

Hasset Tefera Alemu hasst Superlative. Skalen von eins bis zehn haben ihrer Meinung nach nur neun Skalenpunkte, und weil sie so viele Filme liebt, verrät sie ihren Lieblingsfilm nur ungern. Geboren 2001 in Stuttgart hat sie ihren Dialekt mittlerweile abgelegt. Grund dafür sind vermutlich die zehn Jahre ihrer Kindheit, die sie in Hessen verbrachte. Für das Studium der Publizistik und des Strafrechts zog Hasset nach Mainz. Beim Praktikum bei netzpolitik.org lernte sie zu erklären, was Open Source eigentlich bedeutet. In Hamburg hofft Hasset, endlich den einzig relevanten Superlativ zu finden: den besten Kaffee Deutschlands. Kürzel: hta

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