
Wie die Jüdische Gemeinde in Hamburg und das Institut der Geschichte der deutschen Juden versuchen Klischees und Vorurteile über jüdisches Leben mithilfe des Films in Hamburger Arthouse Kinos abzubauen.
Die Jüdischen Filmtage fanden 2025 zum fünften Mal in Hamburg statt. Das Programm des diesjährigen Festivals war facettenreich: Ein Rabbiner, der seine Gemeinde mitten in der amerikanischen Wüste rettet, das literarische Erbe von Max Broth und Kafka, Matchmaking in der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft mitten in Israel, NS-Raubkunst in Frankreich und ein Ring, der Mutter und Kind in Ungarn, während des Holocausts das Leben rettete.
Als Hauptverantwortliche für die Organisation und festes Mitglied des Kuratoriums möchte die Kulturreferentin der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Elisabeth Friedler, mithilfe des Festivals jüdische Lebensrealitäten in Hamburgs Arthouse Kinos bringen. Inzwischen besteht das Kuratorium aus vier Personen: Neben Friedler gehören dazu die neue Direktorin des Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ), Dr. Kim Wünschmann, die Film- und Medienwissenschaftlerin und Kuratorin am Haus des Dokumentarfilms Stuttgart, Dr. Julia Schumacher, sowie der Literaturwissenschaftler Dr. Sebastian Schirrmeister von der Universität Hamburg.
Herzensangelegenheit
Dieses Jahr haben das Event rund 500 Zuschauer*innen besucht, so Friedler. Die erste Ausgabe des Festivals in Hamburg fand vor fünf Jahren statt und war die Idee von Elisabeth Friedler. Sie hatte sich gefragt, warum es keine jüdischen Filmtage in Hamburg gibt, und gründete das Festival kurzerhand selbst. Die Jüdischen Gemeinde und Kooperationspartner wie das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) unterstützen sie dabei.
Auch der Hamburger Senator für Kultur und Medien, Carsten Brosda (SPD), war dieses Jahr bei der Eröffnung wieder anwesend. Er eröffnete und begleitete das Festival bereits zum fünften Mal. Für Brosda sei es „eine Herzensangelegenheit“ bei den jüdischen Filmtagen dabei zu sein. „Gerade jetzt müssen wir uns gemeinsam immer wieder daran erinnern, welches Versprechen unsere Gesellschaft gibt – dass wir alle ohne Angst verschieden sein können. Dieses Versprechen muss für alle gelten, auch für die Jüdinnen und Juden unter uns,“ betont er.
Die Eröffnung des Festivals
Zu Beginn des Festivals vor der ersten Vorstellung stellen Elisabeth Friedler und Dr. Kim Wünschmann alle fünf Filme des Festivals kurz vor. Der erste Film, „Guns & Moses“, wurde inspiriert von dem Anschlag auf die Synagoge Chabad of Poway in Kalifornien im Jahr 2019, bei dem ein Mensch getötet wurde. Der Thriller handelt von einer jüdischen Gemeinde im abgelegenen Wüstenort High Desert, die bei einer Gala durch den Mord eines angesehenen Gemeindemitglieds erschüttert wird.

Der Film steigt direkt mit der Mordszene ein und rüttelt den Zuschauer wach. Im Mittelpunkt steht der Rabbiner der Gemeinde, Mo Zaltzmann. Er zweifelt an den polizeilichen Ermittlungen und an dem antisemitischen Motiv der Tat und beginnt den Vorfall auf eigene Faust zu untersuchen. Der Thriller überrascht mit komödiantischen Elementen. Auffällig ist außerdem, dass die jüdische Hauptfigur nicht als Opfer, sondern als selbstbewusste Persönlichkeit dargestellt wird, die für die Interessen der Gemeinde einsteht. Für die Zuschauenden wird die Unsicherheit in der Gemeinde sehr deutlich.
Die Filmauswahl
Das Kuratorium sucht die Filme gemeinsam aus. Laut Elisabeth Friedler sei der Anspruch des Kuratoriums: „Filme zu zeigen, die jüdische Welten zeigen – ganz verschiedenartig.“ Das Ziel dahinter sei es, Klischees und Vorurteile abzubauen.
Tatsächlich ist die mediale Darstellung von Jüdinnen und Juden nach wie vor nicht frei von Vorurteilen. Jüdisches Leben wird in den deutschen Medien nach Ansicht von Experten und Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland häufig verzerrt und klischeehaft dargestellt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte im Jahr 2021 bei einer Veranstaltung in Berlin, die Liste der Fehler und Klischees sei lang. Ursache sei in der Regel keine böse Absicht, sondern meistens Unwissenheit.
Außerdem betont Elisabeth Friedler, dass es im Dokumentar-Bereich viele Filme gebe, die sich um die Schoah drehen, deshalb versuche das Kuratorium einen Ausgleich zu finden. Dieses Jahr handelte die ausgewählte Dokumentation von Kafka. Der Film behandelt das literarische Erbe von Max Broth und Kafka sowie die Frage: „Wem gehört eigentlich das geistige Eigentum von Künstlern?“. Auch eine Komödie, die Dating innerhalb der jüdisch-orthodoxen Community in Israel behandelt, ist dieses Jahr Teil des Programms.
Die Filme werden in der Originalsprache mit englischen Untertiteln gezeigt. Ein Kritikpunkt, der dem Festival häufig angekreidet werde, berichtet Friedler. Vielen falle es schwer englische Untertitel zulesen. Das Kuratorium hält trotzdem an der Entscheidung fest. Die Originalsprache erzeuge Authentizität, so Friedler. Auch eine Einführung in den Inhalt des Films wird im Vorfeld angeboten. Im Anschluss gibt es des Öfteren die Möglichkeit mit Filmschaffenden ins Gespräch zu kommen. Dem Kuratorium ist der Austausch und die Einführung „sehr wichtig“.
Ein weiteres Kriterium ist die Einzigartigkeit. Die Filme dürfen im Vorfeld nicht in anderen Hamburger Kinos gelaufen sein. Des Weiteren achtet das Kuratorium darauf, dass es internationale Filme sind. Im nächsten Schritt schaut sich das Kuratorium an, was andere jüdische Filmfestivals in ihrem Programm zeigen. Laut Elisabeth Friedler wird dabei schnell deutlich, welche Filme in die engere Auswahl kommen.
Die vierte Vorstellung im Passage Kino
Auch das Passage Kino ist Teil der Jüdischen Filmtage, es zeigt den französische Film “Auction”. Der Film handelt von André Masson, einem Auktionator, der einen Brief von einer Anwältin erhält, in dem behauptet wird, dass ihr Klient, der Arbeiter Martin Keller, ein Gemälde von Egon Schiele besitzt. Gegen alle Erwartungen stellt sich das Gemälde als ein seit 1939 verschollenes Meisterwerk heraus. Nach einer kurzen Untersuchung erkennt er, dass es sich um NS-Raubkunst handelt.
Die Tragikomödie erzählt eine spannende Geschichte, sie behandelt das Thema NS-Raubkunst auf eine sehr nahbare Art und Weise. Die Umsetzung ist allerding etwas langatmig und nicht sehr mitreißend. Die Zerrissenheit von André Masson, wie man mit NS-Raubkunst umgehen sollte, wird in der Handlung deutlich.
Bei NS-Raubkunst handelt es sich um Kunstwerke, die insbesondere Jüdinnen und Juden währen der NS-Zeit zwischen 1933-1945 enteignet wurden. Schätzungsweise 600.000 Kunstwerke wurden zwischen 1933 und 1945 von den Deutschen in ganz Europa gestohlen. Bis heute gilt ein großer Teil davon als verschollen. Experten vermuten, dass sich noch mehr als 100.000 Exemplare unrechtmäßig in fremden Händen befinden.
Der Abschluss der Jüdischen Filmtage
Zum Abschluss der Jüdischen Filmtage wird der Film “The Ring” im Zeise Kino gezeigt – eine ungarisch-hebräische Produktion, die auf einer wahren Geschichte basiert. Der Film erzählt die Reise des gläubigen Arnon, der gemeinsam mit seiner Tochter nach Budapest reist. Sein Ziel ist es, einen Ring zu finden – ein Erbstück seiner Mutter, welches sie und Arnon während des Holocausts vor der Deportation rettete. Der ungarisch Spielfilm arbeitet mit Rückblenden. Damit schafft er den Spagat die unterschiedlichen Perspektiven dreier Generationen einer Familie auf den Holocaust darzustellen. Ungewöhnlich ist dabei, dass es sich nicht um eine Dokumentation handelt, obwohl er den Holocaust thematisiert.
Unter den Zuschauer*innen sitzen am letzten Abend ehemalige jüdische Hamburger*innen, die im Rahmen einer Begegnungswoche des Kulturministeriums nach Jahrzehnten nach Hamburg zurückgekehrt sind. Viele von ihnen haben Angehörige durch den Holocaust verloren oder haben Familienangehörige, die vor der NS-Diktatur aus Deutschland geflohen sind. Auch die anderen Zuschauer*innen sind von der Geschichte des Films ergriffen.

Perspektivwechsel
Die Jüdischen Filmtage überzeugen mit einem vielfältigen Programm, welches jüdische Lebensrealitäten aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Sie zeigen Herausforderungen von Jüdinnen und Juden weltweit und sprechen schwere Themen wie den Holocaust oder NS-Raubkunst an, ohne explizit den Fokus darauf zu haben. Die Darstellung der jüdischen Charaktere in den jeweiligen Filmen ist vielfältig und bedient keine Klischees und eröffnet dem Zuschauer neue Perspektiven auf jüdisches Leben.
Für Elisabeth Friedler haben Filme und vor allem das Kino eine besondere Kraft, die von vielen oftmals unterschätzt werden. Es gibt einen großen Unterschied, ob man einen Film am Rechner oder gemeinschaftlich an einer großen Leinwand schaue. Deshalb steht fest: “Auch im nächsten Jahr sollen die Jüdischen Filmtage in Hamburg stattfinden.”
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Vorträge über jüdisches Leben, Podcast- und Fernsehauftritte in der “Tagesschau” sowie Shakehands mit Robert Habeck – Alltag für Rebecca Vaneeva, Jahrgang 2001. Ihre jüdischen Wurzeln spielen für Rebecca eine große Rolle, daher ist die gebürtige Hamburgerin auch Vorsitzende in einem jüdischen Studierendenverband. Wenn sie mal nicht ehrenamtlich unterwegs ist, liest Rebecca die Thesen von Pierre Bourdieu, singt die Songs ihres Lieblings-„Friends“-Charakters Phoebe oder backt ihre berühmten Hefe-Zöpfe. Nach einem Studium in Sozialökonomie und Erfahrungen vor der Kamera wagt Rebecca jetzt den Blick hinter die Kulissen des Journalismus – die perfekte Gelegenheit, um den Kontakt zu Robert Habeck aufzufrischen.
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