
Nachdem Außenminister Wadephul in Syrien war, diskutieren Politiker*innen wieder schärfer über Migration. Der Außenminister sagte, ein menschenwürdiges Leben sei im Land nicht möglich. Ein Experte vom GIGA-Institut Hamburg ordnet ein.
Ende Oktober war der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) in Syrien. Es war die erste Reise seiner Amtszeit in diese Region. Dabei besuchte er auch Harasta, eine Vorstadt von Damaskus, die während des 13-jährigen Krieges stark zerstört wurde. Seine Bilanz: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Bundeskanzler und Parteikollege Friedrich Merz hingegen sagte in einer Pressekonferenz: „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland, und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen.“
Dr. André Bank vom German Institute for Global and Area Studies, kurz GIGA-Institut für Nahost-Studien in Hamburg, forscht aktuell zum politischen Übergang in Syrien und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Region. Wegen einer Forschungsreise war er zum gleichen Zeitpunkt wie Wadephul in Syrien. In Bezug auf dessen Äußerungen, ein menschenwürdiges Leben sei in Syrien nicht möglich, sagt Bank gegenüber FINK.HAMBURG: „Ich würde Wadephul zustimmen, dass es große Teile Syriens gibt, wo das wirklich so ist.“ In Damaskus fielen darunter Harasta, umliegende Stadtteile im Osten und Süden der Hauptstadt sowie andere Landesgebiete. Ein Ende Assads hieße nicht ein Ende des Kriegs in Syrien, betont Bank. Im Südosten Syriens habe es erst diesen Sommer, im Juli 2025, massive Gewalteskalationen gegeben. Bank stellt klar: „Wenige Leute kehren wieder in diese unsicheren Gebiete zurück, aber es ist lebensgefährlich.“
Der Bürgerkrieg in Syrien beginnt 2011. Proteste gegen das Assad-Regime und für politische Reformen werden brutal niedergeschlagen. Hunderte Menschen sterben. In der Folge stehen sich Oppositionelle, unterstützt von desertierten Soldaten, und die Regierungsarmee in einem bewaffneten Konflikt gegenüber. Russland und Iran unterstützen das Assad-Regime. Über eine halbe Millionen Menschen sterben im Bürgerkrieg, 14 Millionen Syrer*innen fliehen aus ihrem Heimatland. Ende 2024 starten die Rebellen eine Offensive gegen das Regime Assads und stürzen mit Unterstützung der lokalen Bevölkerung überraschend die Diktatur. Assad flieht nach Moskau. Ahmed al-Scharaa wird Anfang 2025 zum Übergangspräsidenten ernannt. Er ist der Anführer der islamistischen Oppositionsmiliz Hayat Tahrir Al-Sham (Komitee für die Befreiung Syriens – HTS). Die HTS gilt als moderater als der IS oder die Taliban. Sie wollen Minderheiten und verschiedene Religionen anerkennen. Die Übergangsregierung wird von den USA und der EU grundsätzlich beim Wiederaufbau Syriens unterstützt.
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Institute for the Study of War and AEI's Critical Threats Project
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Weil Bank sich öffentlich gegen Assad positioniert hatte, konnte er nun zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder ins Land reisen. Auch wenn er Wadephul zustimmt, schränkt er ein: „Es kommt auf den Landesteil an. Und darauf, was man mit ‘Zerstörung’ meint.“ Er erzählt: „In Damaskus gibt es aktuell vier bis sechs Stunden Strom und fließendes Wasser.“ Die ganze Stadt stehe deshalb voll mit Dieselgeneratoren, um die Stromversorgung privat abzusichern. Die Generatoren seien laut, die Luft verpestet. Auch Bildung und Gesundheitsversorgung gebe es nur lückenhaft. Dennoch sei Damaskus in Teilen ein Ort, an den Menschen nach Einschätzung von Bank am ehesten zurückkehren könnten.
Keine Erkundungsreisen für Syrer*innen
„Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ – so steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Momentan ist das noch nicht der Fall. Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) will jedoch noch in diesem Jahr eine Einigung mit Syrien erzielen, um Rückführungen durchführen zu können. Merz setzt allerdings darauf, dass ein großer Teil der geflüchteten Menschen von sich aus nach Syrien zurückkehren wird, um das Land wieder aufzubauen. Auch Jens Spahn (CDU) appellierte an die Syrer*innen in Deutschland, ihre Heimat wiederaufzubauen, und bezeichnete dies als ihre „patriotische Pflicht“.
Um Menschen bei der Entscheidung über eine mögliche Rückkehr zu unterstützen, hält Bank Reisen, auf denen Syrer*innen sich ein Bild von der Lage vor Ort machen können, für sinnvoll. Sie könnten mit ehemaligen Nachbar*innen sprechen und erfahren, wie es mit Schulen und Krankenhäusern in der Umgebung aussieht. Aktuell verlieren allerdings syrische Geflüchtete, die nach Syrien reisen, ihren Schutzanspruch in Deutschland. Die Ampelregierung hatte solche Erkundungsreisen einführen wollen.
Widersprüchliche politische Signale
Zu Beginn der Legislatur hatte sich die Regierung geeinigt, Syrien „bei der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes zu unterstützen“ – so steht es im Koalitionsvertrag.
Durch massenhafte Abschiebungen, wie sie die Union fordere, würde man die Lage vor Ort nur noch instabiler machen, so Bank. Zum einen seien die sicheren Gebiete, etwa in Idlib, der früheren Rebellenhochburg, und die sicheren Teile von Damaskus überbevölkert. Platz für Rückkehrer*innen gebe es vermutlich nicht. Auch abgeschobene Straftäter*innen könnten ein überlastetes Justizsystem destabilisieren. Die freiwillige Rückkehr sei zudem schwierig, weil es in Syrien kaum Arbeitsplätze gebe.
Auch laut des Auswärtigen Amts ist Syrien alles andere als sicher. Es gilt eine Reisewarnung für das Land. Das Amt schreibt auf seiner Website, die Waffenstillstände hätten noch zu keiner nachhaltigen Beruhigung der Lage geführt. Die persönliche Sicherheit könne in ganz Syrien, einschließlich Damaskus und seiner Vororte, weiterhin nicht gewährleistet werden.
Ein Neuanfang für Syrien
Der Außenminister soll nach seiner Äußerung, ein menschenwürdiges Leben sei in Syrien nicht möglich, noch in einer Sitzung der Unionsfraktion gesagt haben, Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945. Das berichteten Teilnehmer*innen der Nachrichtenagentur dpa. Bank hält diesen Vergleich für unpassend. Die Syrer*innen hätten es geschafft, sich selbst von der Diktatur zu befreien, die Deutschen 1945 nicht. Außerdem habe es nach dem Zweiten Weltkrieg für Deutschland den Marshallplan gegeben. Etwas Vergleichbares gebe es für Syrien nicht.
Seit dem Sturz von Assad ist in Syrien eine Übergangsregierung an der Macht. Daher sei internationale Hilfe nötig. Die Bundesregierung möchte Syrien beim Wiederaufbau des Landes unterstützen. Nach 13 Jahren hat im März die deutsche Botschaft in Damaskus wieder geöffnet und die Sanktionen, die während des Krieges gegen Syrien verhängt wurden, hat die EU im Mai 2025 aufgehoben. Deutschland hatte sich dafür eingesetzt, damit die Wirtschaft in Syrien sich erholen kann. Sanktionen gegen das Chemiewaffenprogramm und das ehemalige Assad-Netzwerk bleiben bestehen. Weitere Unterstützung möchte Bundesaußenminister Wadephul an Konditionen knüpfen. Das hält auch Bank für sinnvoll, der die Übergangsregierung als autoritär und teilweise korrupt, aber auch als schwach einschätzt. Daher sollte Deutschland zwar umfangreiche Hilfe leisten, diese aber an klare Bedingungen knüpfen. Man könne beispielsweise mehr Unterstützung zusagen, sobald ein Stadtteil erfolgreich aufgebaut sei.
Dann könnte das Land irgendwann nach 13 Jahren Krieg tatsächlich wieder Frieden finden.






