Auf TikTok zeigt Tahsim Durgun den Alltag seiner deutsch-kurdischen Familie. Der Autor von „Mama, bitte lern Deutsch“ trat gerade in Hamburg auf und gilt als Stimme junger Menschen mit Migrationshintergrund. Warum ist das so?

Foto: Mirza Odabaşi

Ex-Bundeskanzlerin Merkel, der US-Rapper Tupac und der kurdische Sänger Ahmet Kaya sitzen für ein Picknick zusammen. Eine Frau schenkt ihnen Tee ein. Was für ein ungewöhnliches Motiv für ein Gemälde, dass auf dem Boden der Bühne im Schauspielhaus Hamburg steht. Und auch das restliche Bühnenbild ist bizar: Auf einem orientalischen Teppich in Rottönen stehen Mehlpackungen, viele Mehlpackungen. An der Rückwand hängt eine Leinwand. „Mama, bitte lern Deutsch“ steht darauf geschrieben. Spätestens jetzt wird klar, wer hier gleich auf die Bühne tritt. Zumindest allen, die bei TikTok aktiv sind und sich für interkulturelles Leben interessieren. 

Tahsim Durgun spricht über seine „Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft“. Und das vor ausverkauftem Saal. Seine rote Jacke und beigefarbene Hose passen zur Deko im Saal. 

Bühnenbild von Tahsim Durgun. Eine Leinwand mit dem Titel des Buches und dem Bühnenbild.
Die Bühne am Abend der Lesung. Foto: Seray Ünsal

Vom Content-Creator zum Bestseller-Autor

Durgun ist bei TikTok viral gegangen. Er zeigt auf der Plattform seinen Alltag in einer deutsch-kurdischen Familie. Aktuell hat er rund 630.000 Follower*innen auf Instagram. Besonders seine Mutter spielt eine große Rolle in den Videos – obwohl sie dort nur zu hören ist. Sie spricht nicht fließend Deutsch, wie Tahsim und seine Geschwister es tun. „Doltemscher-Kind Tahsim filmt humorvolle Gespräche mit seiner Mutter.

Bevor der Oldenburger am Abend der Lesung im Schauspielhaus zu sehen ist, wird auf der großen Leinwand ein Video abgespielt, das mit dem Satz endet: Meine Geschichte ist keine besondere, aber eine unerzählte“. 

Das Buchcover von Tashim Durgun
Tahsim Durgun wurde mit seinem Debüt SPIEGEL-Bestseller-Autor. Foto: Seray Ünsal

Nicht nur Sprache, auch Gefühle übersetzen

Durgun baut im Laufe des Abends immer wieder kurze Videos ein. Gleichzeitig sind seine Text bewegend – auch er zeigt sich immer wieder berührt. Etwa wenn es darum geht, einen Brief über eine mögliche Abschiebung für seine Mutter zu übersetzen. Oder in Situationen, in denen sie Rassismus ausgesetzt waren. „Dolmetscher-Kinder müssen nicht nur Sprache, sondern auch Gefühle übersetzen“, sagt er.

Der Saal ist gefüllt mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Wenn er aus seinem Leben erzählt, wird es oft ganz still im Raum. Auch, als er die Sache mit den Mehlpackungen auflöst: Ein Supermarktmitarbeiter hatte seiner Mutter verboten, die Packungen in ihren Einkaufstrolli zu legen, bevor sie bezahlt waren. Er warf ihr Diebstahl vor. „Zurück in euren Kanackenblock“, sagte er und schickte sie aus dem Laden. Durgun war dabei, er war noch ein Kind. Die Stille löste sich, als er sagte: „Heute kann ich mir so viel Mehl kaufen, wie ich will!“ und sein Team die Packungen ans Publikum verteilt.

Eine unerzählte Geschichte von vielen

Der 30-Jährige erzählt, dass ihn viele Nachrichten von jungen Menschen mit Migrationshintergrund erreichen. Sie bedanken sich dafür, dass er ihnen eine Stimme gebe. Das sagt auch eine Zuschauerin am Abend in Hamburg:

Tahsim Durgun erklärt gegenüber FINK.HAMBURG, warum er glaubt, dass er ein Sprachrohr für Menschen mit Migrationshintergrund ist:

Durgun geht es nicht nur um die Bewältigung der Vergangenheit, er greift auch den aktuellen Rechtsruck in Deutschland auf – sarkastisch bis humorvoll. Wir haben Durgun gefragt, was er Menschen mit Migrationshintergrund in diesen Zeiten mitgeben möchte:

Türkische Volkslieder bis Rap

Der Abend endet mit Musik. Der Hamburger Chor „Born 2 Sing Choir“ kommt auf die Bühne. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, darunter BIPoC und Mitglieder der LGBTQ*-Community, singen gemeinsam – von türkischen Volksliedern bis zu Rap-Songs.

Seray Ünsal liefert ab. Mal 200 Rosen aus dem Blumenladen ihrer Familie, vor allem aber klare Botschaften: „Ich will der Boss sein, um Frauen zum Boss zu machen.“ Mit diesem Satz hing sie bereits auf Plakaten der Körber-Stiftung in ihrer Heimatstadt Hamburg. Das Motto zieht sich weiterhin durch Serays Leben. Geboren 2002, studierte sie Politikwissenschaften und arbeitete unter anderem beim NDR im Community Management sowie bei Radio Energy. Ihr Herzensthema: Frauenrechte, insbesondere die Aufklärung über Femizide. Die Energie dafür zieht sie aus einem jährlichen Gossip-Girl-Marathon und Pfingstrosen, ihren Lieblingsblumen.

Kürzel: say

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