Das Internet der Dinge soll unser Leben einfacher machen. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter der Technologie? Ein Gespräch mit HAW-Professor Dr. Thomas Schmidt über kommunizierende Geräte und menschliche Ängste.
FINK.HAMBURG: Die offensichtlichste Frage zuerst: Was ist das Internet der Dinge?
Prof. Schmidt: Die Idee dahinter ist, Objekte der realen Welt über vernetzte Sensoren und Aktoren virtuell abzubilden. Der Effekt ist, dass Geräte über das Internet miteinander kommunizieren können.
Wo können wir diese Technologie in unserem Alltag finden?
Das fängt bei Küchengeräten und Waschmaschinen an und hört bei großen Industrieanlagen auf. Aktuell geht es darum, Kommunikationsstandards zu entwickeln, damit die Geräte dieselbe Sprache sprechen. Nur so ist es möglich, herstellerübergreifend und ortsungebunden auf sie zugreifen zu können.
Welche Rolle spielen bekannte Systeme wie Google Home oder Amazon Echo bei dieser Entwicklung?
Diese Systeme sind letztlich nur Nutzer-Schnittstellen zwischen Geräten und Menschen. Beim Internet der Dinge geht es eigentlich um die Kommunikation zwischen Maschinen und zunächst weniger um die Interaktion mit dem Nutzer.
Bestellt mein Kühlschrank mir bald automatisch Milch?
Das ist ein Mythos, der seit 20 Jahren kursiert. Mir ist nicht bekannt, dass solche Geräte tatsächlich entwickelt werden. Tatsächlich sind aber neue Kühlschränke und Waschmaschinen mit dem Internet verbunden. Über Apps kann der Mensch mit ihnen kommunizieren und Informationen abrufen. Typischerweise setzen die meisten Hersteller dabei noch auf eigene herstellerspezifische Lösungen. Genau davon möchte das Internet der Dinge weg. Wenn Sie 40 oder 50 Heimgeräte haben, die sich alle in geschlossenen Systemen befinden und nicht miteinander sprechen können, ist das relativ nutzlos. Die Idee ist, einen Datenaustausch zwischen den Geräten zu ermöglichen und Prozesse intelligent steuern zu können – angefangen bei der Organisation des Haushalts bis hin zur effizienten Energienutzung. Dafür brauchen wir offene Standards.
“RIOT ist das Linux im Internet der Dinge”
Das Internet der Dinge ist keine so neue Entwicklung. In Kooperation mit der Freien Universität Berlin und der französischen Forschungseinrichtung INRIA haben Sie bereits 2008 mit der Entwicklung eines Betriebssystems begonnen.
Das war zunächst ein reines Projekt der FU Berlin. Dabei ging es um die intelligente Überwachung von Brandstellen. Da es damals schlicht noch keine geeignete Software zur Steuerung der Feuerwehrgeräte gab, wurde dafür ein Micro-Kernel entwickelt. Nachdem das gut funktioniert hat, ist 2009 eine Kooperation zwischen uns, der FU Berlin und dem INRIA entstanden und der Micro-Kernel wurde zu einem vollwertigen Betriebssystem weiterentwickelt. Als das Projekt 2013 vorzeigbar war, haben wir es RIOT genannt.
Was unterscheidet RIOT von Produkten großer Anbieter, wie zum Beispiel Windows 10 IoT oder Android Things?
Es ist ein Open-Source-System, das mit wenigen Kilobytes Arbeitsspeicher und Prozessoren mit Kilohertz-Taktung lauffähig ist. Vom Lizenz- und Community-Ansatz her kann RIOT mit Linux verglichen werden und wird sogar häufig das Linux im Internet der Dinge genannt. RIOT ist vollständig offen und frei nutzbar.
Wie interagiert der Nutzer mit RIOT?
Im Normalfall findet die Interaktion nur indirekt, also über das Heimnetzwerk, statt. Die meisten Geräte, auf denen RIOT läuft, verfügen über keine Nutzer-Schnittstelle, wie einen Bildschirm oder eine Sprachsteuerung. Man kann aber bereits bestehende Elemente als User-Schnittstelle verwenden: Im Rahmen eines studentischen Projekts an der HAW wurden beispielsweise Pflanzen mit Sensoren ausgestattet, die dann über Twitter ihren Bewässerungszustand melden konnten.
Speichert RIOT meine Daten?
Das Betriebssystem selbst speichert keine Daten, sehr wohl aber die Geräte, auf denen es läuft. Anders würde das Internet der Dinge auch nicht funktionieren. Sensoren nehmen nun einmal Daten auf. Wir stellen Mechanismen zur offenen Datenhandhabung bereit. Unserer Auffassung nach sollte für den Nutzer transparent sein, welche Daten erhoben und ob diese weitergegeben werden. Wenn das der Fall ist, sollte er auch die Wahl haben, ob er das möchte – und welche Vorteile er durch die Erhebung hätte. Wir können die Industrie aber natürlich nicht dazu zwingen.
“Die Sicherheitsstandards heutiger Produkte sind miserabel”
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Eines Tages sind alle Geräte über das Internet der Dinge miteinander vernetzt. Wie ist sichergestellt, dass nicht eine fremde Person die Kontrolle über meine Wohnung übernimmt?
Da gilt ein sensibler Umgang. Abzuraten wäre aktuell beispielsweise von einem vernetzten Türschloss. Es könnte unerwünscht geöffnet oder für den Eigentümer gesperrt werden. Das Problem ist, dass bei vielen Herstellern aufgrund der begrenzten Größe der Geräte häufig noch auf uralte Software zurückgegriffen wird und die Sicherheitsstandards dort miserabel sind. Deshalb versuchen wir RIOT so sicher wie möglich zu machen, vor allem über das Open-Auditing. Alles, was wir entwickeln, wird öffentlich in unser Community besprochen.
Das Internet der Dinge ist heute also noch nicht besonders sicher.
Wenn sie heute in einen Laden gehen und irgendein IoT-Device kaufen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass dort schlechte Software installiert ist, die mitunter schon seit zehn Jahren nicht mehr aktualisiert werden. Dementsprechend unsicher sind diese Geräte dann auch. Leider liegt der Fokus der Industrie gerade darauf, möglichst viele billige Lösungen auf den Markt bringen, die sich schnell und mit viel Gewinn verkaufen lassen.
Wird es denn irgendwann zu einem Umdenken kommen?
Das wird sicherlich passieren. Seriöse Firmen können nicht mit dem Makel leben, dass ihre Systeme unsicher sind. Die Aufmerksamkeit für den Markt wird in der Gesellschaft auch immer größer.
“Unsere Handlungskomplexität wird immer größer”
Glauben Sie, dass unsere vernetzten Geräte uns bald alles abnehmen?
Ich glaube nicht, dass man nichts mehr selbst machen muss. Ein solches Leben wäre auch nicht besonders lebenswert. Ich glaube eher, dass die Handlungskomplexität größer wird. Ein Beispiel: Ganz früher hat man seine Wäsche mit der Hand gewaschen. Dann gab es Maschinen zum Kurbeln. Anschließend die ersten elektronischen Geräte, die mit ein paar einfachen Knöpfen zu bedienen waren. Und in der Zukunft stoßen Menschen bestimmte Prozesse an, die dann automatisiert mehrere intelligent verknüpfte Handlungen auslösen. Natürlich macht das vielen Menschen auch Angst. Wenn Technik immer komplexer wird, verstehen nur noch wenige, was konkret passiert, wenn sie auf einen Knopf drücken.
Wie lange wird es noch dauern, bis unsere Häuser wie in Science-Fiction-Filmen funktionieren?
Das ist schwer zu sagen. Es wird einige Bereiche geben, in denen eine Vernetzung relativ schnell und auch unbemerkt passiert, wie zum Beispiel bei Heizungen, die sich automatisiert miteinander abstimmen. Dass unser Smartphone mit unserem Auto kommunizieren kann, kennen wir schon länger. Andere Dinge werden aber vermutlich noch sehr lange dauern, weil viele Geräte doch sehr langlebig sind und selten ausrangiert werden – wie beispielsweise ein Kühlschrank. Der ökonomische Druck ist auf jeden Fall sehr hoch, da an Daten und Lösungen im Internet der Dinge hohe Profiterwartungen geknüpft sind.