Karl Marx hat in “Das Kapital” den Kapitalismus analysiert, um ihn abzuschaffen. Das Museum der Arbeit hat um Werk und Person eine multimediale Ausstellung für Anfänger konzipiert – das funktioniert nicht immer. Bis zum 5. Mai ist die Schau zu sehen.
Vor 150 Jahren war er am Jungfernstieg: Karl Marx. Sein berühmtestes Werk, “Das Kapital”, ließ er dort erstverlegen. Aus diesem Anlass zeigt das Museum der Arbeit noch bis zum 5. Mai eine Ausstellung über das Buch, seinen Inhalt und seine Geschichte.
Die Schau wurde einmal verlängert, da bis zum ersten Abschlusstermin über 37.000 Besucher gekommen waren. Laut Kurator Mario Bäumer ein sehr gutes Ergebnis.
Gegenüber “Zeit Online” sagte er: “Wir machen eine Ausstellung für die, die ‘Das Kapital’ nie gelesen haben”. Mit einer multimedialen Aufbereitung und einem WhatsApp-Ausstellungsguide versuchen die Initiatoren auch jüngere Menschen zu erreichen. Die Ausstellung ist sehr sehenswert, aber insgesamt etwas überladen.
Das sieht man im Detail:
1.000 weiße Konservendosen stehen aufgereiht im ersten Raum. Sie sind mit Aufschriften wie “Brot”, “Liebe” oder “Zeit” versehen. Daneben hängt eine Einführungstafel. Der erste Satz des zugrunde liegenden Buches ist zu lesen: “Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‘ungeheure Warensammlung’, die einzelne Ware als seine Elementarform”. Niemand hat Lust so viele Dosen zu lesen, die Tafel aber schon. Am 5. Mai, der gleichzeitig Marx 200ster Geburtstag ist, sollen die Dosen versteigert werden – immerhin haben sie so einen neuen Nutzen.
“Das Kapital” als Bibel
Geschichtliche Daten der letzten 150 Jahre hängen im daran anschließenden Gang an der Wand: Es geht um die Einführung des Euro 2002 über die Russische Revolution 1917 bis zur Weltwirtschaftskrise von 1857. Etwas mehr Licht hätte ihre Lektüre vereinfacht. Am Ende des Ganges liegt eine aufgeschlagene Erstausgabe von “Das Kapital”. Das Arrangement aus dunklem Gang und beleuchtetem Buch erinnert an einen Kirchenaltar, auf dem eine Bibel liegt. Marx hätte diese religiöse Deutung nicht gemocht.
Briefe, Fotos und Dokumente des Kapitalismuskritikers, seiner Familie und Freunde sind im nächsten Raum ausgehängt – daneben Informationen zu seinem Leben. Auch ein originalgetreuer Miniaturnachbau seines Londoner Wohnhauses ist aufgestellt. Die vielen bildhaften Stücke liefern reichlich Input zu Marx’ Leben, lassen die Besucher aber auch überreizt über sie hinwegschweifen, nachdem sie versucht haben die zerstückelten Daten zu verknüpfen.
150 Jahre alte Karten und Fotos, die die Stadt Hamburg zeigen, hängen im folgenden Raum neben Originalausgaben von Büchern des Hamburger Verlags Otto Meissner. Auch der “bekannteste Reiseführer für Hamburg” aus dem 19. Jahrhundert ist dabei. Da “Das Kapital” bei Meissner erstverlegt wurde, hat sich das Museum an dieser Stelle für ein starkes Lokalkolorit entschieden. Dargestellt werden zudem Orte, an denen bekannte Persönlichkeiten – in diesem Falle Marx – ihren Fuß auf die Erde gesetzt haben. Zusammen wirkt das etwas konstruiert.
Den Wert von Arbeit abwiegen
Eine lange Reihe von Holzkisten steht im nächsten Abschnitt. Darauf: Die Kernbegriffe des Buches knapp erläutert. Dazu: Erklärvideos zu Begriffen wie “Ware”, “Fetisch”, “Ausbeutung” und “Krise”. In einer Installation wird der Kampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten durch eine Waage dargestellt, an dessen Messskala “Höherer Lohn” und “Niedrigerer Lohn” steht.
Dieser Teil der Ausstellung ist der stärkste. Marx umstrittene Mehrwert- und Klassenkampftheorie wurde anfassbar herausgearbeitet. Damit wird zum ersten Mal deutlich, warum Marx’ Werke so viele Diskussionen ausgelöst haben: Er teilt die Menschen in zwei Klassen ein: die kapitalistischen Ausbeuter und die ausgebeuteten Arbeiter. Er sagt, dass diese gegeneinander um ihren Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Produkt kämpfen und die Arbeiter die Ausbeuter notwendig in einer Revolution stürzen müssen.
Teilweise klingt in den Erklärvideos durch, Marx hätte sich vermutlich deshalb so intensiv mit Geld beschäftigt, weil er daran scheiterte, sich selbst damit ausreichend zu versorgen. Diese Färbung ist vor dem Hintergrund zu kritisieren, dass Marx klare Argumente für die Abschaffung des Geldes liefert: Er begriff es als Unterdrückungsinstrument, mit dem Menschen sich die Lebenszeit anderer Menschen kaufen.
Eine Wand mit Texten und Fotos in den Farben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz hängt im nächsten Teil der Ausstellung. Darauf sind alle Denkrichtungen skizziert, die sich auf Marx beziehen – vom Anarchismus bis zum Marxismus-Leninismus. Die bunte Collage enthält leider keine Autorennamen und genaue historische Daten. Zentrale Personen können so nicht nachgeschlagen werden.
Offene Fragen zum Finale
Weiße Zettel kleben auf jedem freien Millimeter im letzten Raum – darüber die Überschriften: “Ware”, “Arbeit”, “Verteilung” und “Alternativen”. Dazwischen stehen Fragen wie “Wozu sollte jeder Mensch Zugang haben?” oder “Was kannst du tun?”. Sätze wie “In Deutschland sind 2,7 Millionen Kinder arm” oder “Die Zahl der Menschen, die trotz Arbeit arm sind, hat sich von 2004 bis 2014 verdoppelt” illustrieren die Kategorien.
Hier sind die tausenden Besucher angeregt worden ihre Meinung zu äußern. Die Klebezettel werden von der Mitarbeiterin Jenni Schlegel im Rahmen ihres freiwilligen sozialen Jahres auf einem Online-Blog hochgeladen. Das Konzept funktioniert hervorragend. Die Kombination aus sozialen Fakten und teilweise philosophischen Fragen, angereichert mit dem Wissen aus der Ausstellung, haben hier gezündet und ein verallgemeinerbares Beispiel zur Modernisierung der gesamten Ausstellungskultur geschaffen.
Wer sich von der anfänglichen Reizüberflutung nicht abschrecken lässt – oder gerade das sucht – wird seine Freude an der guten Darstellung der Inhalte im mittleren Teil der Ausstellung sowie an der Interaktion im letzten Raum haben. Ein Besuch lohnt sich. Bis Samstag ist noch Zeit.
“Das Kapital” bis 5.5.2018, Museum der Arbeit (Bahnhof Barmbek), Wiesendamm 1,
Fr–Sa 10.00–17.00, Sa bis 22 Uhr
Eintritt: 8,50 Euro, ermäßigt: 5 Euro, am 5. Mai 16–22 Uhr ist der Eintritt frei