Mehr als 20.000 Besucher, rund 50 Konzerte: Das Elbjazz Festival 2023 ist vorbei. Dieses Jahr erklang nicht nur Jazz, sondern auch Rock, Funk und Soul. Das ist gut gemeint, aber auch eine Gefahr, findet Jákob Somorjai.

Foto der Band Meute: Christoph Eisenmenger

Das Elbjazz Festival 2023 war ein Erfolg. So sehen es zumindest die Veranstalter*innen und die Zahlen geben ihnen auch recht. 20.000 Besucher*innen kamen über das Wochenende zusammen, um Livemusik aller Art zu genießen. Das sind zwar etwa 4000 Besucher*innen weniger als im Vorjahr. Dennoch kann man damit zufrieden sein.

Schon bei der Eröffnung durch das Horst Hansen Trio wurde klar, dass das Elbjazz Festival keine Genre-Grenzen setzt. Von Swing über Rock bis hin zu Hip-Hop präsentierten die Künstler*innen eine bunte Mischung. Was schon bei der Eröffnung klar wird: Es fehlt der traditionelle Jazz, den man eigentlich von einem Festival mit diesem Namen erwarten würde.

Und so ging es auch weiter: Psychedelic Rock von Unknown Mortal Orchestra, Soul-Klänge von José James und Marching-Band-Techno von Meute schallten von den Bühnen. Ein breites Spektrum internationaler Stars, das zweifellos beeindruckend ist – aber sich immer weiter von den Wurzeln des Jazz entfernt.

So verändert sich auch das Publikum: Viele Menschen mit entsprechenden Merch-Shirts feierten lautstark ihre Meute. Allerdings erklang nur vereinzeltes Klatschen, als JD Beck vom Duo Domi & JD Beck das Publikum fragte, wer Wayne Shorter kennt – den legendären US-amerikanischen Jazz-Saxophonisten, der im März 2023 verstarb. „I thought this was a Jazz Festival. You guys should all leave“, sagte JD Beck im halbernsten Ton.

Cowboy Boots zum Bass-Solo

Das Line-up des Elbjazz Festivals erinnert an das Sortiment eines Feinkostmarkts: Das Angebot ist hochkarätig, aber auch sehr breit gefächert. Während in der Elbphilharmonie ruhigere Klänge dominierten, wurde auf dem Werftgelände von Blohm+Voss ausgelassen im Takt gewippt zu afro-karibischen Rhythmen und Funk. 

Zweifellos hat das Festival an Popularität außerhalb der Jazzgemeinde gewonnen und spricht mit Indiebands wie Dope Lemon ein breiteres und auch jüngeres Publikum an. Aber hat es den treuen Jazz-Liebhaber*innen noch genug zu bieten. Oder werden sie, ohne inhaltliche Begleitung, doch eher verprellt? Bei Dope Lemon war ebendies zu sehen: Die Musik war laut, die Band trug  Cowboyboots, das Publikum suchte das Weite.

Wie dehnbar ist der Begriff Jazz?

Wer das miterlebt hat, fragt sich unweigerlich: Wie viel Jazz, braucht ein Jazzfestival, um noch Jazzfestival zu sein? Und wie viele Acts abseits des Genres verträgt das Publikum? ARTE Concert live streamte das gesamte Event und geht bei der Beschreibung der Veranstaltung auf Nummer sicher durch maximale Dehnung des Begriffs: Jazz werde nicht als spezifische Genrezugehörigkeit verstanden, sondern als Frage der Einstellung.

Die Verleihung des Jazzpreises ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Auch könnte man unterschiedliche Bühnenthemen einführen, die für Transparenz sorgen, was einen hier erwarten könnte. Ein Festival hat das Potenzial, ein Ort des Lernens und Entdeckens zu sein. Auch hier könnte das Elbjazz seinen Namen gerecht werden und ein neues Publikum anziehen, ohne auf Headliner mit Genresprengkraft verzichten zu müssen. Durch die Vermittlung von Jazzgeschichte, Improvisationstechniken und anderen Aspekten des Genres könnten die Besucher*innen eine tiefere Verbindung zum Jazz aufbauen und seine Einzigartigkeit schätzen lernen.

Was sagte der US-amerikanische Jazzmusiker Arthur Blythe so passend über die Verbindung von neu und alt: „Was immer ich spiele, in meinem Kopf höre ich auch unaufhörlich die Tradition mitsummen.“

Jákob Zsolt Somorjai, Jahrgang 1998, hat schon einmal zehn Tage am Stück geschwiegen, in einem buddhistischen Kloster im Norden Thailands. Dabei fand er Antworten auf Fragen, die er sich noch nie zuvor gestellt hatte. Seine Familie hielt ihn danach vorübergehend für verschollen, dabei bereiste er nur Kambodscha. An der HAW Hamburg studierte er Medien und Information, arbeitete parallel beim Film- und Theaterfundus und später bei den Online Marketing Rockstars. Nach jeder Reise kehrt er immer wieder zurück zu seiner Perle – er schämt sich nicht mal für den HSV. Jákob glaubt ohnehin, dass Erwartungen nur zu Enttäuschungen führen. (Kürzel: som)