Der gebürtige Hamburger Michèl von Wussow verarbeitet in seinen Songs große Themen wie Mental Health, Klimawandel und toxische Beziehungen. Was ihn „nachhaltig weggehauen” hat, erzählt er FINK.HAMBURG im Interview.
Mit seiner Performance von „Narbenherz” in der Fernsehsendung „Inas Nacht” wurde Michèl von Wussow einem größeren Publikum bekannt. Als Supportact von Silbermond und Johannes Oerding hat er seitdem schon auf den größten Konzertbühnen des Landes gespielt. Im November 2023 ist er dann mit seinem Debütalbum „Angst gegen Vertrauen” auf die erste eigene Tour gegangen. Was ihn auf seinem Weg besonders geprägt hat: Der Popkurs an der Hamburger Musikhochschule, der Optimismus seiner Mutter, die Abwesenheit seines Vaters und die Panikattacke einer Freundin. Im Interview mit FINK.HAMBURG spricht der Musiker über diese Meilensteine.
Bevor deine ersten Songs auf deutsch herauskamen, hast du lange auf englisch geschrieben. Wie kam es dazu, dass du die Sprache gewechselt hast?
Ich habe den Popkurs an der Musikhochschule in Hamburg absolviert. Da war ich mit 50 anderen Kreativen für sechs Wochen und habe die ganze Zeit Songs geschrieben. Man kann verschiedene Kurse belegen: Instrumentalunterricht oder Kurse zu allen möglichen Themen aus dem Musikbusiness. Das ist sehr toll. Man trifft einfach unfassbar viele Leute und lernt ganz viel über sich, die eigene Kreativität und darüber, was man eigentlich machen will.
So war es bei mir auch. Ich kam mit englischen Songs hin und habe dann gemerkt: Ich würde es gerne mal auf Deutsch probieren. Dadurch bin ich ganz anders mit mir und der Sprache und der Musik in Verbindung. Es ist einfach meine Muttersprache. Daraus ist dann der feste Entschluss entstanden: Ich mache das jetzt auf Deutsch und nicht mehr auf Englisch.
War es für dich ein Risiko, deine ersten Songs in der Coronazeit zu veröffentlichen? Du konntest ja nicht wirklich Konzerte spielen und dadurch Geld verdienen.
Ich glaube, ich bin von Grund auf sehr optimistisch. Ich habe diese Einstellung ganz stark in mir und sage dann in solchen Situationen: Okay, wir kriegen das schon irgendwie hin. Außerdem mache ich schon Musik, seitdem ich 14 bin. Ich bin jetzt 28 und auf dem Weg sind mir schon viele Widerstände begegnet. Das ist einfach so, wenn man Musik macht. Zum Beispiel gibt es Leute, die sagen: Kannst du denn davon leben und hast du dir das gut überlegt? Diese finanziellen Unsicherheiten gibt es natürlich. Aber ich glaube so sehr an meine Songs und mich erfüllt die Musik so krass, dass ich trotzdem diese Jetzt-Erst-Recht-Einstellung hatte.
Hast du diesen Optimismus von deiner Mutter? In deinem Song „Narbenherz” klingt es so, als würdest du ihre Zuversicht sehr bewundern.
Auf jeden Fall. Meine Mutter hat in ihrem Leben gefühlt schon vier Leben gelebt und viel durchgemacht und ist dabei einfach krass optimistisch. Das hat mich nachhaltig geprägt. Daraus ist dann auch der Song „Narbenherz” entstanden, weil sie mich mit ihrer Stärke immer wieder beeindruckt.
„es wird immer einen optimistischen Michèl von Wussow geben.”
Dein Debütalbum heißt „Angst gegen Vertrauen”. In deinem Song „Keine Angst vor der Zukunft” bewunderst du eine Person, die angstfrei in die Zukunft blicken kann. Auch wenn du dich als optimistisch beschreibst, singst du immer wieder von deinen Ängsten. Werden wir jemals einen angstfreien Michèl von Wussow erleben?
Einen angstfreien Michèl von Wussow vielleicht nicht. Dafür ist einfach zu viel los gerade. Ich kann da auf keinen Fall irgendwie auf heile Welt tun oder darum herumreden. Aber es wird immer einen optimistischen Michèl von Wussow geben, der versucht, mit diesen Themen klarzukommen und Verständnis dafür hat, wie schwierig das ist. Ich will zeigen, dass man damit auf keinen Fall allein ist.
Allein gelassen hast du dich scheinbar von deinem Vater gefühlt, von dem der Song „Berg” handelt.
„Berg” ist entstanden, als ich für ein Wochenende in Schottland war. Ich bin mit dem Bus in ein Naturschutzgebiet gefahren, aber der Bus ist nicht zurückgefahren. Und dann stand ich da in der schönen Pampa und bin drei Stunden zur nächsten Busstation gelatscht. Da hat mich dann einfach die Umgebung krass inspiriert, die Weite, Berge, Felder, Schafe und Kühe. Ich kam auf den Gedanken, dass jeder Mensch einen Berg in seinem Leben hat. Ich habe auch einen und das ist mein Vater, zu dem ich keinen Kontakt habe. Daraus ist dann dieser Song entstanden. In dem Prozess habe ich gemerkt: Das ist vor allem ein sehr wichtiger Song für mich und meine Heilung.
„Mein Anspruch ist es, auch wenn es anstrengend ist, jeden Abend 120 Prozent aus mir rauszuholen.”
Du studierst Gesang in Hannover. Inwiefern hat dir das auf deiner ersten Tour geholfen?
Das ist mir das total zugute gekommen. Ich hatte insgesamt zehn Jahre lang Gesangsunterricht. Der war total wichtig, um acht Konzerte in neun Tagen mit der Stimme auszuhalten und durchzuhalten. Das sind Extremsituationen für den Körper, deswegen sind ein paar Sachen sehr wichtig: Präventive Stimmhygiene, also dass man sich einsingt und die Stimme pflegt. Super essentiell ist auch, wenn man Schlaf kriegt, den dann auch wirklich zu nutzen. Ich persönlich würde raten, auf Tour nicht so viel Alkohol zu trinken. Das macht die Stimme müde. Bei den Konzerten fit zu sein, ist mir wichtig. Mein Anspruch ist es, auch wenn es anstrengend ist, jeden Abend 120 Prozent aus mir rauszuholen. Wenn sich so viele tolle Leute eine Karte für das Konzert geholt haben, fühlt sich das einfach auch nach einer Verantwortung an. Deshalb finde es ich total richtig und wichtig, dass man auf sich aufpasst, damit man genau das abrufen kann.
Hat dich auf der Tour etwas überrascht?
Was mich nachhaltig weggehauen hat, ist, dass in jeder Stadt alle Leute alles vom Album mitgesungen haben. Das verstehe ich immer noch nicht so ganz. Das zeigt ja auch, dass sich die Leute, die sich ein Ticket gekauft haben, nachhaltig mit diesem Album beschäftigt und es wirklich viel gehört haben. Das ist einfach ein unglaubliches Gefühl. Ich bin einfach nur ganz doll dankbar und happy. Das motiviert mich natürlich.
Inwiefern haben sich deine Songs live – im Vergleich zur Studioaufnahme – nochmal weiterentwickelt?
Bis zu einem gewissen Grad sind Studioaufnahmen Momentaufnahmen und man weiß nicht, was passiert, wenn man Songs dann zum ersten Mal auf Konzerten spielt. Das finde ich super spannend: Manche Songs haben ein Eigenleben entwickelt, das ich vorher einfach nicht erwartet hätte, als ich sie im stillen Kämmerlein geschrieben und aufgenommen habe. Ein Beispiel, das mir da einfällt, ist „Atmen“. Das war auf dieser Tour unglaublich. Da kam so viel Liebe, Feedback, Freude und auch offene Emotion in Form von Traurigkeit zurück. Damit hätte ich nicht gerechnet. Leute haben mir erzählt, dass sie den Song jeden Tag hören und er sie durch ihr Jahr gebracht hat, oder dass sie „Atmen” in Therapiesessions spielen. Das war natürlich berührend. Vor allem, weil der Song irgendwie so nah an mir dran ist.
Wie ist „Atmen” denn entstanden?
Eine sehr gute Freundin von mir hatte eine Panikattacke in meiner Küche und ich war derjenige, der versucht hat, sie da rauszuholen, wieder zurückzuholen. Am nächsten Tag war dann eine Songwriting-Session angesetzt und mir ging es sehr, sehr schlecht an dem Tag. Ich bin morgens aufgewacht und habe mir halt einfach Sorgen gemacht und war so: Oh Gott, wie soll ich denn jetzt heute irgendwie kreativ werden? Fühl ich ja gar nicht. Zu viele Sorgen im Kopf. Ich bin dann in diese Session gegangen und wir haben erstmal vier Stunden lang über das Thema gesprochen, über die Situation und die eigene mentale Gesundheit. Danach war dann innerhalb von einer Stunde dieser Song da. Manchmal gehe ich in solche Sessions und habe schon einen Refrain, eine Strophe, Akkorde oder ein Thema im Kopf. Das war an dem Tag halt gar nicht so. Dass aus diesen Gesprächen dann dieser Song entstanden ist, war richtig, richtig schön.
War die Freundin, die den Song inspiriert hat, auch bei einem Konzert auf deiner Tour?
Ja. Beim Konzert in Hannover hatten wir den Tourabschluss und da war dann die besagte Freundin auch anwesend. Ihr geht es heute wieder gut. Ich habe dann, bevor wir „Atmen” gespielt haben, erzählt, dass sie im Publikum ist und dann hat einfach dieser Club für sie und mich gesungen. Und zwar so richtig, richtig laut und aus vollem Herzen. Das war ein ganz krasser Moment auf dieser Tour, den ich auf jeden Fall nicht vergessen werde.
Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute ihre persönliche Geschichte mit deinen Songs verbinden. Hat dich ein Feedback besonders berührt?
Als ich in Hamburg bei einem Silbermond-Konzert als Supportact gespielt habe, war dort eine Mutter mit ihrem Trans-Sohn. Dem ging es gar nicht gut zu der Zeit und er hat dann mit seiner Mutter „Atmen” gehört. Das hat ihn wohl ganz doll berührt und ihn durch diese schwierige Zeit begleitet. Sie haben mir auch eine ganz besondere, emotionale Nachricht dazu geschrieben und die ganze Geschichte erzählt. Wir haben die beiden dann zum Konzert in Hamburg eingeladen. Die waren dann schon zum Soundcheck da und das war richtig schön. Dann haben sie die ganze Band und die ganze Crew kennengelernt. Wir haben ihnen alles mal so ein bisschen gezeigt und der Sohn hatte sich auch ein Armband gemacht, auf dem „Atmen” geschrieben stand. Das war sehr berührend.
„Viele Künstler denken, dass man das alles alleine machen muss. Das glaube ich nicht.”
Beim Songwriting arbeitest du mit anderen Songwriter*innen zusammen. Wie schaffst du es, so persönliche Songs wie „Atmen” oder „Narbenherz” mit ihnen zu schreiben?
Du brauchst auf jeden Fall die richtigen Leute um dich herum, die dich emotional verstehen, gut kennen und auf deine Bedürfnisse eingehen. In meinem Fall sind das vor allem mein Produzent Helge Preuß, den ich beim Popkurs kennengelernt habe, und Nina Müller, eine ganz tolle Texterin aus Hamburg. Ich komme immer mit sehr persönlichen Themen zu ihnen, weil ich bei meinen Songs die Emotionalität und den persönlichen Bezug brauche. Ich liebe es, in einer Dreierkonstellation zu schreiben, weil man sich so die kreative Energie gegenseitig zuschießt.
Kannst du mir dafür ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel, wenn jemand ein Wort sagt, das einen auf einen neuen Gedanken bringt, den man vorher noch nicht hatte und vielleicht alleine auch nicht gehabt hätte. Trotzdem ist es so: Ich bringe die Geschichte als Input mit und bin auch der, der nachher auf der Bühne steht und sie erzählt. Viele Künstler denken, dass man das alles alleine machen muss. Das glaube ich nicht. Ich finde, es ist ein totaler Gewinn, wenn man so ein Team und solche Leute hat.
Luca Bradley, Jahrgang 1998, hätte fast Louis geheißen, weil sein Vater Louis Armstrong so liebt, doch seine Mutter legte ihr Veto ein. Luca stammt aus Dormagen, aber mindestens eine Hälfte seines Herzens schlägt für das Geburtsland seines Vaters, England. Er liebt eigentlich jede Art von Musik, außer Schlager und Metal. Luca spielt zwar nicht Trompete wie Louis Armstrong (und nur miserabel Horn), singt aber in einer Big Band und auf Hochzeiten, spielt Gitarre und Klavier. In Düsseldorf studierte er Sozialwissenschaften und startete währenddessen seinen eigenen Musik-Podcast – natürlich über alles außer Metal und Schlager. (Kürzel: luc)