Immobilienmanager und gleichzeitig Fußballprofi sein? Im Männerfußball ist das unvorstellbar, bei den Frauen aber normal. Victoria Schulz, Stürmerin der HSV-Frauen, zeigt, was diese Doppelbelastung bedeutet.
Eine Reportage von Tineke Ruchel und Vivien Seidl
Die Anspannung steigt. Aufgereiht in ihren blau-weißen Trikots warten sie darauf, ins Stadion einlaufen zu dürfen. Ein Trommeln von Fangesängen liefert den Soundtrack für den Start der Partie HSV gegen Leverkusen. Es ist ein besonderes Spiel. Ein Spiel, das niemand so schnell vergessen wird. Zweite Liga gegen erste Liga. Es geht um den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals. Jede Spielerin des Hamburger Sportvereins will sich beweisen und zeigen, dass sie gegen einen Erstligisten mithalten kann. Beweisen – das gehört schließlich auch zu ihrem Alltag als weiblicher Fußballprofi dazu.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.
1.400 Fans sind nach Eimsbüttel gekommen, um die Erste Mannschaft der HSV-Frauen zu unterstützen. „Sie peitschen dich nach vorne“, erzählt Victoria Schulz, die seit 2007 beim HSV spielt. Selbstverständlich sind solche Zuschauerzahlen im Frauenfußball nicht. Trotzdem schafft es die Mannschaft immer wieder, ihre Tribünen zu füllen.
So kam es zum Rekordspiel vor 20.000 Menschen im Millerntor-Stadion in Hamburg oder dem Auswärtsspiel in Baden-Württemberg, bei dem mehr HSV-Fans als Heimfans im Stadion waren. „Das ist für uns überhaupt nicht selbstverständlich”, so Schulz. Auch das Spiel im Millerntor-Stadion gegen St. Pauli im September habe sich angefühlt wie ein Heimspiel. Die Stimmung sei großartig gewesen – und das Ergebnis erst: In der zweiten Runde des DFB-Pokals gewann der HSV 7:1.
Steigende Aufmerksamkeit für den Frauenfußball
Solche Zuschauerzahlen gehören im Frauenfußball noch zur Seltenheit. Trotzdem dürfen Mannschaften wie der SV Werder Bremen, der 1. FC Köln oder Eintracht Frankfurt immer mal wieder in den großen Stadien ihre Spiele austragen. Das Interesse am Sport steigt: 17,9 Millionen TV-ZuschauerInnen haben sich das Finale der Europameisterschaft der Frauen im Jahr 2022 angeguckt. Das waren mehr als bei der Männer-WM in Katar. Fans, die keine Tickets mehr bekamen, verfolgten die Spiele gemeinsam auf großen Leinwänden.
Es gab auch andere Jahre – vor allem bei der ersten Damenmannschaft des HSV: Im Jahr 2012, dem bisher erfolgreichsten Jahr ihrer Vereinsgeschichte, entschied der damalige Vorsitzende Carl Jarchow, die Mannschaft aus Kostengründen abzumelden. Ein herber Rückschlag. Mit dem vierten Platz in der Bundesliga waren die Frauen 2011 erfolgreicher als die Männer, die auf Platz acht landeten. Zehn Jahre hat es nun gedauert, sich nach oben zurückzukämpfen. Sie haben den Aufstieg in die Zweite Liga geschafft und stehen aktuell auf dem ersten Platz (vor Veröffentlichung überprüfen). Das Ziel ist klar: Sie wollen wieder in die Erste Bundesliga aufsteigen.
Die Doppelbelastung einer Fußballspielerin
Anders als bei den Männern reicht das Geld, das Victoria Schulz mit dem Fußballspielen verdient, nicht zum Leben aus. „Da ich noch einen Hauptjob habe, ist Fußball aktuell eher mein Nebenjob“, erzählt die 26-Jährige nach dem Pokalspiel gegen Leverkusen. Sie hat sich gerade erst von einer Erkältung erholt. Frauen können meistens vom Fußballspielen allein nicht leben. Die Spielerinnen der Nationalmannschaft, von denen man erwartet, dass sie mit am meisten verdienen, haben ein Durchschnittsgehalt von 43.670 Euro im Jahr. Sie verdienen damit weniger als ein Durchschnittsbürger in Deutschland. Die Bundesligaspieler der Männer verdienen im Vergleich dazu durchschnittlich zwei Millionen Euro im Jahr.
Mittlerweile erhält Victoria eine „Entlohnung“. Vor drei Jahren sah das noch anders aus. Geld zu verdienen, sei aber nicht ihr Antrieb. Stattdessen sind ihr die strukturellen Entwicklungen innerhalb des Vereins wichtiger. Neben Aufenthaltsräumen und Individualtraining, gibt es jetzt auch eigene Physiotherapeuten und Sportpsychologen.
Steht Victoria nicht mit dem Ball auf dem Platz, ist sie als Immobilienmanagerin tätig – und das 40 Stunden die Woche. „Momentan ist es noch das erste Standbein, der normale Job.” Eine Belastung, die die Männer nicht haben. Sie beschreibt ihren Alltag so: Ihr Wecker klingelt um 6:30 Uhr. Mit der Fußballtasche in der Hand fährt sie zur Arbeit. Nach dem Feierabend geht es dann direkt zum Training. Viel Zeit zum Durchschnaufen bleibt ihr hierbei nicht. Erst gegen 22 Uhr kommt sie vom Fußballtraining nach Hause.
Essen, regenerieren, schlafen. Für mehr ist keine Zeit. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker wieder um 6:30 Uhr. Der Fußball macht selbst am Wochenende keine Pause. Sie sagt, dass es viel Disziplin braucht, diesen Tagesablauf einzuhalten. „Solange es Spaß macht, geht das sehr, sehr gut.“
Ein wichtiger Halt sind ihre Fans
Zurück auf dem Platz im Sportpark Eimsbüttel, wo es um den Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale geht. Der Anpfiff ertönt und der Ball rollt. Der HSV hat viele Chancen in der ersten Halbzeit, es gibt gelbe Karten für Leverkusen und ein Tor auf der Seite der Gäste. Mit dem 0:1 im Rücken kommt die Mannschaft um Trainer Robert de Pauw selbstbewusst aus der Kabine zurück. Schnell wird deutlich, wer hier der eigentliche Favorit ist. Die nächsten 45 Minuten finden größtenteils in der Hälfte der Hamburgerinnen statt. Am Ende muss sich der HSV mit einem 0:4 geschlagen geben.
Mittlerweile ist es dunkel und die Stadionlichter an. Trotz der Kälte und dem zum Abpfiff eintreten-den Hagel, wird die Mannschaft von ihren Fans bejubelt. Ob Niederlage oder Sieg. Ob Sportpark Eimsbüttel oder Volksparkstadion. Sie stehen immer hinter ihnen.