Der Hamburger Großmarkt ist der größte Umschlagplatz für Obst, Gemüse und Blumen Norddeutschlands. Jede Nacht arbeiten rund 3000 Menschen dafür, dass morgens frische Ware in Restaurants oder auf Wochenmärkten liegt. Fast ausschließlich Männer. Aber warum?

In der kühlen Betonhalle quietschen Reifen von Gabelstaplern; es knallt, wenn eine Palette auf den Boden fällt. Ab 22 Uhr ist es wuselig, jetzt um sechs Uhr morgens deutlich ruhiger. Es riecht nach Äpfeln, Bananen und Orangen. Die Luft ist kalt, die Halle wird nicht geheizt. Unter der Betondecke: Stände aus Metallgittern, Holz und Planen. Sie sind inzwischen fast leer. All die Birnen, Tomaten und Rosen sind schon auf dem Weg zu Wochenmärkten, in Restaurants und Hofläden. In spätestens drei Stunden ist hier Schluss.

Hanna Bösch-Colla hat kurze, blonde Haare, trägt eine rot gerahmte Brille und glitzernde Ohrringe. Sie ist geschminkt und würde im Büro einer Versicherung nicht auffallen. Über ihrem gestreiften Shirt eine Weste. Dazu Jeans. Sie trägt keine Arbeitskleidung, ihr Mitarbeiter schon. Wie war die Nacht? „Sehr gut – ein bisschen furchtbar“, sagt Bösch-Colla. Sie ist Obsthändlerin in Hamburg. Im Frühjahr verkauft sie auch Spargel. Es wird wärmer draußen. Sie hatte letzte Nacht zu wenig Spargel, die Nachfrage war höher als sonst. Deshalb ein bisschen furchtbar.

Vergrößern

Hanna Bösch-Colla Foto: Antonia Fiedler
Hanna Bösch-Colla vor ihrem Kabuff.

Seit über 40 Jahren arbeitet Bösch-Colla auf dem Großmarkt. Aufhören will sie damit erstmal nicht: „Solange wir Geld verdienen, machen wir das.“ Ihr Stand besteht aus blauen Stahlträgern und Gittern, der Boden ist aus Beton. Der Großmarkt ist praktisch, nicht schön. Der Tresen, an dem Bösch-Colla sitzt, ist klein. Ein Rechner, ein Drucker und die Kasse. Mehr muss am Tresen erstmal keinen Platz finden. Hinter dem Tresen ist ein kleines Kabuff für Bürokram und die Kaffeemaschine. Zwei Stühle für Kunden oder zum Pause machen. Abends kommen frische Waren, nachts werden sie weiterverkauft, morgens ist der Stand wieder leer. Kaum eine Ware bleibt länger als 24 Stunden auf dem Hamburger Großmarkt.

Männerdomäne Markthalle

Der Arbeitstag beginnt auf dem Großmarkt, wenn die Sonne untergeht. Seit 1962 steht der Hamburger Großmarkt mit dem wellenförmigen Dach in Hammerbrook. Bis in die frühen Morgenstunden rasen Gabelstapler durch die Gänge, schichten palettenweise Gemüse- und Obstkisten um, entladen Lkws und beladen Sprinter. Hier wird wie wild gehupt, gerufen, telefoniert, geplant und abgefertigt. Der Ton zwischen den Leuten ist rau, kaum einer sagt „Bitte“. Es muss schnell gehen. Hunderte Männer tun hunderte Dinge parallel. Nur eins findet man wenig auf dem Obst- und Gemüsegroßmarkt in Hamburg: Frauen.

Momentan ist Bösch-Colla die einzige Händlerin auf dem Großmarkt in Hamburg – unter 300 Händlern. Es gab mal mehr Frauen, die Zeiten sind seit Jahrzehnten vorbei. Marktfrauen in Schürzen, Frauen aus der Landwirtschaft. Oftmals arbeiteten sie gemeinsam mit ihren Männern auf den Feldern, die Frauen gingen zusätzlich zum Markt und verkauften die eigene Ware. Einige Erzeugerinnen tun dies immer noch. In Hamburg sind es zwei, um genau zu sein. Die beiden Frauen verkaufen selbst angebaute Ware aus den Familienbetrieben. Die Frauenquote in Handelsberufen in Deutschland liegt sonst bei knapp 40 Prozent, nur hier nicht. Immerhin ist die Geschäftsführung weiblich: Eliane Steinmeyer leitet den Großmarkt in Hamburg seit 2015.

Frauen sind Mangelware auf dem Großmarkt

Als Standinhaberin arbeitet keine mehr auf dem Hamburger Großmarkt ­– außer Hanna Bösch-Colla. „Frauen waren immer Mangelware, das ist jetzt noch so“, sagt sie. Seit 1979 arbeitet Bösch-Colla hier. Ihre Familie betreibt seit Generationen Obsthandel. „Mein Opa ist hier noch hergeschebt (Anm. d. Red. „her geschippert“, Hamburgisch).  Also an die Kasematten dahinten.“ Ihr Vater handelte auch mit Obst, allerdings nicht auf dem Hamburger Großmarkt. Dorthin nahm sie ihr Onkel als sie noch klein war. Bösch-Colla gefiel die Atmosphäre. Deshalb begann sie Ende der 1970er Jahre auf dem Großmarkt eine Lehre als Groß- und Außenhandelskauffrau; heute ist sie selbstständig.

Niemand ist hier daran gewöhnt, viele Frauen zu sehen. Einige wenige arbeiten im Verkauf oder in den Büros der Händler. Auf den Gabelstaplern sitzen nur Männer. Kommissionierer, Verkäufer, Händler. Über 3000 Menschen arbeiten hier auf dem Gelände. Vereinzelt Frauen. „Es hat mir nie gefehlt, ehrlich gesagt. Wir sind alle grün miteinander“, so Bösch-Colla. Alle duzen sich. Die Menschen hier sind wie eine große Familie, sagt Bösch-Colla. Sie sind vertraut miteinander und reden über das Geschäft und über Privates. Hanna Bösch-Colla kennt ihre Kunden teilweise seit Jahrzehnten, hat deren Kinder aufwachsen sehen. Gerade bezahlt ein Kunde sein Obst, sie erinnert sich an seinen Sohn schon als Baby. Heute ist der Sohn 25 Jahre alt.

Vergrößern

Großmarkt Halle Hamburg
Der Hamburger Großmarkt von außen. Foto: Antonia Fiedler

Nachts wird nicht geschlafen

Bösch-Collas Mitarbeiter arbeiten ab 22 Uhr, gegen 24 Uhr fängt Hanna Bösch-Colla an. Nach Hause gehen sie, wenn die Arbeit getan ist. Mal um sieben, mal um halb acht, teilweise später. Im Sommer ist mehr zu tun als im Winter. Der Großmarkt sei nach wie vor eine Männerdomäne, sagt die Geschäftsführerin Frau Eliane Steinmeyer. „Die Frauen sind in der Halle in der Minderheit. Allein wegen der Arbeitszeiten von Mitternacht bis morgens um acht, neun Uhr. Die sind nicht familienfreundlich.“ Ein Grund für die Männerdomäne? Ab und zu, wenn die Nachbarn abends grillen und Bösch-Colla zur Arbeit aufbrechen muss, fragt sie sich „Was tue ich mir hier an?“ Aber sobald sie auf dem Großmarkt ankommt, verschwindet das Gefühl.

Bösch-Colla hat einen erwachsenen Sohn. Heute fragt sie sich manchmal, wie sie das geschafft hat. Nach einer Nachtschicht das Kind aus dem Kindergarten abholen. Der Partner müsse das mitmachen, sonst sei es nicht zu vereinbaren, sagt sie. Unter der Woche abends zu Freunden fahren, ist nicht drin. Ihre Freunde haben sich darauf eingestellt. Bösch-Colla schläft zweimal am Tag. Morgens nach der Schicht zwei, drei Stunden und abends nochmal vor der Arbeit ein paar Stunden. Abends lange feiern ist nicht drin.

„Jeder Arbeitstag ist anders. Die Ware ist anders, wann das Obst angeliefert wird, ist anders, die Preise sind anders, die Kunden sind auch immer anders drauf – und wir bestimmt auch“, erzählt Bösch-Colla und grinst. Ihr Mitarbeiter fährt den Gabelstapler, er packt Paletten, schichtet Obst von A nach B. Viele Kunden bestellen vor, so kann die Arbeit erledigt werden, bevor die Ware abgeholt wird. Hanna Bösch-Colla hatte noch nie eine weibliche Angestellte. „Es gab einfach keine Möglichkeiten, eine Frau anzustellen“, sagt sie. Es habe sich noch nie eine Frau bei ihr beworben. Während sie erzählt, druckt sie Rechnungen, stempelt, unterschreibt, zählt Geld, spricht mit ihren Kunden und weist ihre Mitarbeiter an. Alles gleichzeitig. Die Arbeit auf dem Großmarkt fordert viel Multitasking und Flexibilität.

Morgens um acht Uhr ist der Stand leer. Das Obst ist verkauft, die Paletten leer. Wenn der Papierkram erledigt ist, neue Bestellungen raus sind, ist Feierabend. Hanna Bösch-Colla und ihr Mitarbeiter gehen nach Hause. Ein paar Stunden schlafen.

Infokasten Großmarkt

Der Großmarkt Hamburg ist die zentrale Anlaufstelle der Stadt für Obst, Gemüse und Blumen. Hier treffen Produkte aus aller Welt ein: Von lokalen Erzeugnissen der umliegenden Bauern über Bananen aus Südamerika bis hin zu Kiwis aus Neuseeland. Die Händlerinnen und Händler erwerben diese Waren, um sie dann an Einzelhändlerinnen und Einzelhändler, Wochenmärkte, Gastronomiebetriebe, Cateringunternehmen und Großküchen weiterzuverkaufen.

Als Unternehmen der Freien und Hansestadt Hamburg ist der Großmarkt Obst, Gemüse und Blumen Hamburg der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWI) zugeordnet.

Egal, was im Kühlschrank steckt: Antonia Luca Fiedler, geboren 1999 in Winsen an der Luhe, verwandelt es in ein köstliches Menü. Kreativ sein liegt ihr, beim Bauer Verlag hat sie Grafikerin gelernt. Außerdem arbeitete sie für Hörfunk und Fernsehen: Sie schmierte vor der Kamera Brote für einen Margarine-Test beim ZDF Berlin, moderierte fürs Hitradio Namibia und sammelte O-Töne für Rock Antenne Hamburg. Für Antonia gilt: Einfach mal machen - auch bei der Jugendarbeit im Schützenverein oder im Eine-Welt-Laden. Studiert hat Antonia Medienwirtschaft und Journalismus in Wilhelmshaven. Kürzel: alf