Was beschäftigt Menschen unter 30? Wir haben in unserer Community nachgefragt. Ein großes Thema: Fernfreundschaft. FINK.HAMBURG-Redakteurin Luna Baumann Dominguez weiß, wie herausfordernd eine Fernfreundschaft sein kann.
Titelbild: Illustration von Alina Uhrich, Icon: Illustration von Elizaveta Schefler
Lange Sommerabende am Kanal mit Gejubel, weil tatsächlich jemand einen 1er-Kniffel gewürfelt hat. Aus der Musikbox ertönen heitere Klänge: der Song “Easy Mobeasy” von Erobique. Ein Umzug nach Hamburg fiel mir wegen Momenten wie diesen nicht leicht. Einen Ort zu verlassen, der sich nach Zuhause anfühlt, kann traurig und schmerzhaft sein. Dabei ist ein Zuhause viel mehr als vier Wände – es sind vor allem die Freund*innen, die einen Ort zu einem Zuhause machen.
Wenn sich die Entfernung zwischen Freund*innen von weniger als fünf auf 280 Kilometer ausweitet, bedeutet das vor allem Arbeit. Fernfreundschaften erfordern neue Wege der Verbindung, aber sie sind die Mühe wert. Persönliche Treffen erfordern von nun an viel Vorbereitung. Die Kommunikation? Findet online statt: Urlaubsorganisation über Videocall, spontane Treffen weichen geplanten Telefonaten, gemeinsames Lachen wird durch einsames Lachen über Katzen-Memes auf Instagram ersetzt.
Die Psychologieprofessorin Jenny Wagner forscht zu sozialen Beziehungen an der Universität Hamburg und sagt im Interview, dass Fernfreundschaften gerade am Anfang belastend sein können, da das soziale Netz aus der alten Stadt, mit den gewohnten Menschen, fehle. Das Zugehörigkeitsgefühl in der neuen Stadt sei noch nicht gegeben, woraus Sehnsucht zum alten Freundeskreis entstehe.
Serie „Aus den 20ern”
FINK.HAMBURG hat Personen unter dreißig befragt, welche Themen sie grade beschäftigen. Diesen Themen wurde jeweils eine Folge der Serie gewidmet – um sie zu diskutieren, Lösungsansätze zu bieten und einen Raum zu kreieren. Mascha (20) hat gesagt: „Ich finde Freundschaft auf die Ferne super interessant. Es ist oft schwer, den Kontakt zu halten, aber wenn man sich dann sieht, ist alles wie früher.” Die Serie erscheint jeden Donnerstag hier auf FINK.HAMBURG.
Online-Kommunikation als wichtiges Verbindungsstück
Als ich nach Hamburg umgezogen bin, um hier zu studieren, habe ich in den Tagen davor viel geweint. Ich war traurig. Und ich hatte Angst. „Wie erhalte ich die Freundschaften, die sonst aus mehreren Treffen die Woche bestehen?” Wir sind elf enge Freund*innen in meiner Clique. Vier von uns wohnen mittlerweile in Hamburg. Trotzdem vermisse ich die anderen sehr.
Meine Sorgen lassen sich durch aktuelle Forschung erklären, so Jenny Wagner: „Das Wohlbefinden von Menschen ist substanziell höher, wenn sie ihre Freunde face-to-face sehen, also Zeit mit Freunden wirklich persönlich verbringen”.
Es war noch nie leicht, über Urlaube, Gruppengeschenke oder Ausflüge abzustimmen. Trotzdem lief das deutlich besser, als wir alle in Münster gewohnt haben. Mittlerweile ist es ein Jonglieren zwischen gelegentlichen Telefonaten und 303 neuen Mitteilungen im Gruppenchat. Dann kommt der Gruppen-Videocall. Die Planungsprozesse sind eine Choreografie geworden.
„Mittlerweile ist es ein Jonglieren zwischen gelegentlichen Telefonaten und 303 neuen Mitteilungen im Gruppenchat.”
Weil wir uns lange nicht gesehen haben, tauschen wir uns bei solchen Gelegenheiten erstmal aus. Bis die Planung beginnt, verstreicht so viel Zeit, dass die erste Person schon wieder los muss: „Muss Schluss machen. Muss morgen in den Knast!“ Gelächter aus allen Kacheln. Für einen Fernsehbeitrag besucht besagter Freund ein Gefängnis. Ein Anderer – gerade auf Reise – schaltet sich ein: „In Japan ist es gerade halb vier morgens, wir gehen jetzt wandern.“ Am Ende mündet die Planung in einem Abstimmungstool.
Im Alltag melden sich manche Freund*innen mehr, manche weniger. Es kann verunsichern, wenn Nachrichten lange unbeantwortet bleiben. Da darf man keinen Vorwurf machen. Online-Kommunikation fällt nicht allen leicht. Es ist gar nicht so wichtig, sich regelmäßig zu melden, aber es ist wichtig, sich zu melden. Sich nicht zu schreiben, kann das Ende der Freundschaft sein. Selbst kleine Gesten, wie ein lustiges Katzen-Meme, lassen uns gemeinsam lachen.
Die Emotionalität in einer Fernfreundschaft
Das erste Treffen nach dem Umzug: Umarmungen und Freudentränen. Alles wirkt wie immer zwischen uns. Die Witze bleiben die gleichen. Alle quatschen gleichzeitig und die Gespräche haben Interviewcharakter: Man hat sich zwei Monate nicht gesehen. Die gemeinsame Zeit vergeht leider schnell.
Eine kurze Umarmung zum Abschied, denn das Klackern der einfahrenden Bahn ist zu hören. Jetzt sind sie wieder weg. Die Traurigkeit ist wieder da und es schwingt ein Gefühl von Heimweh mit. In meinem Kopf läuft bereits das nächste Treffen wie eine Filmszene ab: Wir sehen uns am Bahnhof, rennen uns lächelnd in die Arme. Im Film würde man eine Zeitlupe darüberlegen. Allein für diesen Moment wirkt die ganze Arbeit an einer Fernfreundschaft ganz easy mobeasy.
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Luna Baumann Dominguez, Jahrgang 1996, hat ein Faible für das deutsche Lachshuhn. Das hat ihr in ihrem Lieblingskartenspiel “Hennen” schon einige Siege beschert. Sie ist in Mönchengladbach geboren, aber schon 13-mal umgezogen. Beim WDR in Köln machte sie ein Praktikum in der Wirtschaftsredaktion. Ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaft begann Luna vor allem, um beim Uni-Radio in Münster zu arbeiten. Dort gründete sie die feministische Sendung “Equals” und interviewte Reggae-Musiker: Bei einem Dub-Inc-Konzert in Paris ließ der Schlagzeuger für sie sogar das französische Fernsehen warten. Die Leute im Ruhrgebiet - große Klappe, herzlich, immer direkt - vermisst sie schon jetzt. Kürzel: lun