Titelbild (Montage): Luca Schafiyha

Seit April dürfen Kiffer*innen bundesweit legal Cannabis anbauen und mit sich führen. Cannabis Social Clubs sind eingetragene Vereine, in denen sich Konsument*innen untereinander organisieren und legal Gras beziehen können. FINK.HAMBURG hat einen CSC bei der Entstehung begleitet. 

Die Reflexion des Osterbekkanals flimmert auf Manuels Gesicht, als er noch einen Zug nimmt. Barfuß steht er an einem mit Efeu überwucherten Steg zwischen ein paar Kanus und blickt auf die Wasseroberfläche. Er trägt ein locker sitzendes Leinenhemd von Ralph Lauren, die Ärmel hochgekrempelt. Tropische Blüten zieren seine Shorts.

Er spricht über Beschwerden und Blockaden, die ihn in der Vergangenheit daran gehindert haben sich zu verwirklichen und Potenziale auszuschöpfen. Cannabis habe ihm dabei geholfen, diese Blockaden zu überwinden, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, wird er hier bald nicht mehr alleine chillen. Denn das Haus, zu dem der Steg gehört, soll bald als Abgabestelle für einen Cannabis Social Club genutzt werden.

Eine Hand hält einen Cannabis-Steckling.
Ein typischer Steckling einer Cannabis-Pflanze.

Manuel ist frisch gewählter Vorstandsvorsitzender des Euphorica Cannabis Social Club Hamburg e.V.. Das ist einer der vielen neu gegründeten Cannabis Social Clubs (CSC) deutschlandweit. Die Gründung des Vereins war seine Idee. Gemeinsam mit seiner Verlobten und ein paar Freunden bildet er den Vorstand. Das erklärte Ziel: Eine sichere und vor allem legale Umgebung für den nicht-kommerziellen Anbau und die Weitergabe von Cannabis zu erschaffen.

Mitglied werden kann jede volljährige Person mit Wohnsitz in Deutschland. Bis zu 500 Personen darf ein Social Club aufnehmen. Über 300 Menschen haben sich bereits registriert, um dem Verein beizutreten. Offizielle Vereinsmitglieder werden sie allerdings erst, sobald Manuel ihnen die Aufnahmegebühr in Rechnung stellt. Das möchte er allerdings erst tun, sobald mit dem Anbau begonnen werden kann.

Deutschland, deine Vereine: Eine Lovestory

Vereine sind die kleinste rechtliche Körperschaft. Dennoch wird ihnen ein großer kultureller Stellenwert zugesprochen. Eine Einbürgerung kann bis zu zwei Jahre früher beantragt werden, wenn man sich in einem Verein engagiert. Circa 600.000 eingetragene Vereine existieren hierzulande. In Deutschland herrscht eine sehr ausgeprägte Vereinskultur.

Im größten deutschen Klub, dem ADAC, organisieren sich über 20 Millionen Mitglieder. Besonders beliebt sind Sportvereine: Der FC Bayern München e.V. gilt mit über 360.000 Mitgliedern gar als größter Sportverein der Welt. Kein Wunder also, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Cannabis-Liberalisierung auf das bewährte deutsche Vereinswesen zurückgreift.

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Mit dem am 1. April 2024 in Kraft getretenen Cannabisgesetz (CanG) änderte sich die vormals unter dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) geregelte Situation für die deutsche Judikative schlagartig. So mussten durch die veränderte Gesetzeslage zahlreiche laufende und abgeschlossenen Verfahren neu aufgerollt und überprüft werden. Für Manuels Vorhaben bedeutete diese Gemengelage einen großen juristischen Aufwand. Die Genehmigungsverfahren für Abgabestelle und Anbaufläche ziehen sich wie Kaugummi. Die hiesige Bürokratie ist bekanntermaßen mindestens genauso ausgeprägt wie die Vereinskultur.

Gras-Legalisierung mit rechtlichem Geplänkel

Die zusätzliche Arbeit für Gerichte und Behörden versetzte den Deutschen Richterbund (DRB) derart in Aufruhr, dass dieser sich veranlasst sah, die vorgesehene Amnestieregelung der Bundesregierung sehr öffentlichkeitswirksam zu kritisieren. Dabei war die Rede von mehr als 100.000 zusätzlichen Arbeitsstunden, allein für Staatsanwaltschaften. Unions-Politiker stürzten sich auf die Reformpläne der Ampel-Koalition, versuchten bis zuletzt die Änderung des Gesetzes zu verzögern.

CDU-Chef Friedrich Merz lehnt das CanG nach wie vor ab und erklärte: „Wir sind und bleiben dagegen. Wir halten das für grundfalsch, jetzt Rauschgifte in Deutschland freizugeben.“ Anschließend berichtete er von seiner ersten und letzten Erfahrung von Cannabis-Konsum in der Schulzeit. Sein Fazit: „Es war furchtbar.“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hielt an der Reform fest. Mit Erfolg – am 22. März 2024 wurde das Gesetzt schließlich vom Bundesrat gebilligt. Konsument*innen dürfen nun zu Hause bis zu drei Cannabis-Pflanzen aufziehen und bis zu 25 Gramm Gras mit sich führen.

Bubatz legal – aber wo?

Die beschlossene Legalisierung sollte noch für viele organisatorische Fragezeichen sorgen. Eine zentrale Frage bestand darin, wo der Konsum von Gras im Freien eigentlich erlaubt sei. 

Nicht überall darf man seinen Feierabend-Joint genießen. Bundesweit ist der Genuss von Cannabis in und um Jugendeinrichtungen untersagt. Das schließt vornehmlich Kitas, Schulen und Spielplätze mit ein. Befindet man sich bis beim Kiffen bis zu 100 Meter im Sichtfeld einer solchen Einrichtung, macht man sich strafbar. 

Eine frisch umgetopfte Cannabis-Pflanze.
Hier wird eine Jungpflanze umgetopft.

Die Befürchtung, es könne nirgendwo wirklich konsumiert werden, da gerade in Ballungsräumen mehr oder weniger überall solche Einrichtungen stünden, ist ungerechtfertigt. Sichtfeld bedeutet, wie der Name schon sagt, dass man zu sehen sein muss. Tritt man also einfach aus dem Sichtfeld heraus, tut die genaue Distanz nichts mehr zur Sache. Für die ganz verunsicherten Stoner*innen gibt es eine Karte, auf der man nachschlagen kann, wo öffentlich konsumiert werden darf: die Bubatzkarte.

Nicht auf der Karte verzeichnet, aber ebenfalls tabu für Konsument*innen: Manuels künftige Abgabestelle. Hier darf man sich zwar treffen und das Gras entgegennehmen, doch das Gesetz besagt auch, dass in den Vereinsräumen eines CSCs nicht konsumiert werden darf. Der anliegende Steg jedoch ist ein öffentlicher Raum. Dort ist es lauschig und lädt zum Verweilen ein.

Saatgut, Stecklinge & Sonnenstrahlen

Die Sonne steht mittlerweile tief über dem Meer aus Gewächshäusern. Aus den Lautsprechern ertönt Country-Musik von Mac DeMarco. Nach einem Fahrradfahrer schleicht ein Traktor über die Straße. Ein Hauch von mittlerem Westen   tatsächlich spielt diese Szene in der Hamburger Peripherie.

Drei Gewächshäuser dienen nun dem Anbau von Cannabis für den CSC. Noch wächst hier nichts. Der landwirtschaftliche Cannabis-Anbau ist für Social Clubs erst seit dem 1. Juli 2024 erlaubt. In einigen Monaten soll hier eine satte Plantage mit vielen Cannabis-Stauden existieren, die die Mitglieder*innen des CSC versorgt. 

Geerntet wird zwei Mal im Jahr. Bis zu einem Kilo soll eine Pflanze produzieren. Dass es bei diesen Mengen eines Sicherheitskonzeptes bedarf, weiß auch Manuel. Lagerung, Transport, Einbruchsicherheit. All diese Themen beschäftigten den studierten Betriebswirtschaftler in den letzten Monaten intensiv. „Wir haben strenge Sicherheitsprotokolle für den Anbau und die Lagerung von Cannabis sowie für die verantwortungsvolle Abgabe. Dazu gehört übrigens auch eine regelmäßige Aufklärung.“

„Bis zur Jungpflanze können schon viele Fehler entstehen, gerade bei der Stecklingsproduktion“

Zurück in Manuels Privatwohnung ergibt sich ein erster Einblick, wie das Tagesgeschäft im CSC bald aussehen könnte: Stecklinge, Saatgut, Aufzuchtstationen, UV-Lampen. Und natürlich Buds, die begehrten Cannabis-Blüten. „Bis zur Jungpflanze können schon viele Fehler entstehen, gerade bei der Stecklingsproduktion“, erklärt mir Manuel. Danach fachsimpelt er über die Aufzucht von Cannabis-Pflanzen. Es geht um PH-Werte, die Vermeidung von Schädlingsbefall und spezielle Luftfiltersysteme. Man merkt ihm seine Passion an.

Ein Mann steht vor einem Kanal mit einer Brücke im Hintergrund.
Foto: Luca Schafiyha

Unterstützt wird er nicht nur von seiner Verlobten, die ebenfalls im Vorstand von Euphorica ist, sondern auch von einigen Freunden. Sie alle bringen verschiedene Backgrounds und Erfahrungswerte mit, kommen mitunter aus sehr unterschiedlichen Branchen.

Inspiration aus Spanien

Eine ausgewachsene Cannabis-Pflanze in einer Growing-Station.
Diese Cannabis-Pflanze ist nahezu ausgewachsen.

Stark inspiriert habe Manuel und sein Team die Social-Club-Szene in Spanien. Dort sind die Cannabis-Clubs bereits seit 2017 erlaubt. Beim Reisen mit dem Campervan besuchten die beiden einige etablierte Vereine und schauten ihnen über die Schulter. Abgeguckt haben, will er sich dabei jedoch auch nicht allzu viel: „Wir möchten niemanden kopieren, so waren wir noch nie. Wir brauchen unseren eigenen Touch, unseren eigenen Flow und dann wird es auch geil.“

Einen weiteren Aspekt stellt die Aufklärungs- und Präventionsarbeit im Club dar. Problemen mit Missbrauch oder Suchterkrankungen will Euphorica entgegentreten. „Wir werden regelmäßig Informationsveranstaltungen anbieten, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen und Risiken des Cannabiskonsums auseinandersetzen. Außerdem haben wir ein festes Programm zur Unterstützung von Mitgliedern, die Suchtprobleme haben.“ Weiter arbeitet der Verein mit einem in Hamburg praktizierenden Arzt zusammen. Er ist der Präventionsbeauftrage des CSC.

Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die ersten großen Ernten eingefahren werden können. Manuel ist fest entschlossen, seiner Community mit dem CSC einen Dienst zu erweisen. Darauf angesprochen, was er tun würde, wenn das Limit der Mitgliederzahl von 500 Personen erreicht werden würde, sagt er wie aus der Pistole geschossen: „Na, noch einen CSC gründen. Ist doch klar!“

Als Kind träumte Luca Schafiyha, Jahrgang 1994, davon, Schriftsteller zu werden. Ein ganzer Roman war dem Rheinländer dann aber doch zu viel. Journalist lautete der neue Berufswunsch. Seitdem ist viel passiert: Neben seinem Germanistik- und Politikstudium in Düsseldorf veröffentlichte Luca regelmäßig eine Kolumne in der „Rheinischen Post“. Luca arbeitete beim WDR, für die Redaktionen des „Handelsblatt“, der „Wirtschaftswoche“, „ran.de“ sowie des „Rolling Stone“. Er selbst spielt gerne Bass-Gitarre. In Bologna absolvierte er ein Erasmus-Semester – den täglichen Aperitivo auf der Piazza Maggiore vermisst er bis heute. Kürzel: sha