Eine Jacke im Winter tragen und sie dann im Sommer gegen ein Kleid tauschen? Das geht bei der Kleiderei. Hier kann man Secondhand-Kleidung nicht nur kaufen, sondern auch leihen. Geht so nachhaltige Mode?
Papier reißt, Styropor knirscht und Müllsäcke rascheln. Zwischen Kleiderstangen mit bunten Klamotten wuseln Menschen. Ein Sommerkleid mit blauen Punkten und grünen Blumen wandert aus einem Karton an eine Kleiderstange und wird dort mit heißem Dampf geglättet. Das Gerät dafür gluckert vor sich hin: Das „Psssscht“ des Wasserdampfs mischt sich mit den elektronischen Beats des DJs, der sich schon auf die Feier vorbereitet. Die Schaufenster sind noch abgeklebt, aber die Tür steht offen. „Ich hab hier was für Lojenburg“ – ein Paketbote steht im Eingangsbereich, Leoni Lojenburg (33) eilt zur Tür. Sie leitet die Hamburger Filiale der Kleiderei, ein nachhaltiges Modegeschäft im Stadtteil Eimsbüttel.
Das Paket kommt aus Köln, dort ist die Zentrale der Kleiderei. Auch in Stuttgart, Berlin und Freiburg gibt es Filialen. Klassische Secondhand-Läden gibt es in Hamburgs Schanzenviertel schon einige. Das Konzept der Kleiderei geht aber weiter. Dort kann man die Secondhand-Kleidung nicht nur kaufen, sondern auch leihen.
Wie eine Bibliothek für Kleidung
Die Kleiderei funktioniert fast wie eine Bibliothek: Für einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 29 Euro kann man sich vier Kleidungsstücke gleichzeitig ausleihen. Bei jedem Besuch im Laden darf man sie dann beliebig tauschen.
Das heißt: Ein Mitglied könnte sich schon nach ein paar Tagen vier andere Teile ausleihen. Oder man behält die Kleidung länger. Lojenburg greift nach einem dunkelblauen Jumpsuit: „Das hier zum Beispiel könnte ich den ganzen Sommer lang tragen und dann im Winter wieder zurückbringen“, sagt sie.
Ähnliche Konzepte: Kleidung leihen online
Eine ähnliche Idee verfolgt der WeDress Collective Onlineshop, auch hier kann man Kleidung leihen. Dafür stellen Privatpersonen ihre Kleidungsstücke online, die sie verleihen möchten, und legen einen Preis fest. Die Kund*innen bezahlen dann eine Gebühr pro gehliehenem Kleidungsstück. Wie hoch diese ist, richtet sich auch nach der Leihzeit.
Ein Abendkleid kostet dann zum Beispiel neun Euro pro Tag, 33 Euro für eine Woche und 60 Euro für 28 Tage. Dazu kommt noch Versand, falls das Kleidungsstück nicht selbst abgeholt werden kann. Und eine Reinigungsgebühr, die auch individuell festgelegt wird – hier sieben Euro.
Keine Fehlkäufe mehr
Nachhaltig ist das Modell der Kleiderei, weil so Fehlkäufe verhindert werden sollen. Stattdessen ist das Ziel, dass die Kund*innen die Kleidungsstücke möglichst oft und lange tragen.
Fast Fashion hingegen führt dazu, dass Modetrends sich immer schneller verändern und somit immer mehr Kleidung produziert wird. Ein Statista Overview-Report zum Thema „Fast Fashion“ aus dem Jahr 2023 zeigt: 60 Prozent der Kleidungsstücke landen bereits im ersten Jahr nach ihrer Herstellung im Müll.
„Es geht uns darum, dass man nachhaltig konsumiert und trotzdem der Spaß an Mode erhalten bleibt“
Ein anderer Weg zur Nachhaltigkeit ist es, den Konsum grundsätzlich auf ein Minimum zu reduzieren. „Es gibt Menschen, die minimalistisch leben, auch das ist möglich und eine gute Entscheidung“, sagt Lojenburg. Sie selbst hat Modedesign studiert, Kleidung ist für sie auch eine Art Passion. „Es bereitet mir Freude sich durch Kleidung auszudrücken und etwas zu kreieren“, sagt sie.
Kleiderspenden und Flohmarktschätze
Das Sortiment der Kleiderei besteht hauptsächlich aus Spenden. Privatpersonen können ihre gebrauchte Kleidung im Laden abgeben und erhalten dann einen 20 Prozent Gutschein. Manchmal geht Lojenburg auch auf Flohmärkte und kauft dort Kleidungsstücke ein. Vor der Eröffnung hat sie zusätzlich gebrauchte Kleidung von einer Stylistin gekauft. In ihrem Laden hängen auch glitzernde Zweiteiler aus silbernen Pailletten oder eine knallrote Hose in Lederoptik.
Außerdem arbeitet die Kleiderei mit Modemarken zusammen, die ihre Kleidung fair und nachhaltig produzieren. Diese stellen Kleidung zur Verfügung, die verliehen werden kann. Kaufen kann man sie dann nur bei den Marken selbst.
Ein Gegenentwurf zu Fast Fashion
Dazwischen finden sich trotzdem Hosen von Zara und Blusen von H&M. Die Kleiderei beschreibt sich auf ihrer Website als „ausdrücklicher Gegenentwurf zur Fast-Fashion-Industrie“. Wie das zusammen passt, erklärt Lojenburg so:
„Es gibt einfach super viel Fast Fashion auf dieser Welt und damit das nicht alles auf Mülldeponien landet, versuchen wir die Kleidung, die es schon gibt, weiter zu nutzen“
Sie will damit nicht die Produktion von Fast Fashion unterstützen, sondern die bereits produzierte Kleidung im Kreislauf behalten. In Deutschland gibt es pro Jahr eine Million Tonnen Altkleider, so der Statista Overview-Report.
Kurz vor der Eröffnung um 16 Uhr muss noch das letzte Chaos beseitigt werden. Im Kassenbereich liegen noch eine rote Zange, Kleberollen und durchgestrichene To-Do-Listen. Ein Blumenstrauß steckt in einem leeren Essiggurkenglas anstatt einer Vase. Lojenburgs Helfer*innen wedeln den letzten Staub von den Regalen. Es riecht nach den Reiswaffeln, die sie nebenbei essen. Für eine richtige Mahlzeit bleibt gerade keine Zeit. Die elektronische Musik spielt nicht mehr, jetzt brummt der Staubsauger. Noch eine halbe Stunde!
In den letzten Minuten kehrt dann langsam Ruhe ein. Gemeinsam reißt das Team die Abdeckung von den Schaufenstern und öffnet die Tür, vor der schon ein paar Menschen warten. Umarmungen, Glückwünsche und interessierte Blicke. Die meisten Besucher*innen sind begeistert. Aber nicht alle verstehen das Konzept des Ladens sofort. Einige fragen: „Was passiert, wenn die Kleidung kaputt geht?“ oder „Wer wäscht sie?“ Will man ein Kleidungsstück zurückgeben, muss man es vorher selbst reinigen. Schäden repariert die Kleiderei solang es geht, bezahlen müssen die Kund*innen.
„Kleinere Reparaturen, wie einen Knopf wieder annähen, sind kein Problem. Wenn das Kleidungsstück so kaputt ist, dass wir es nicht mehr retten können, muss das Mitglied den Kaufpreis bezahlen“, sagt Lojenburg. Das gilt auch dann, wenn Kund*innen die geliehene Kleidung verlieren. Jedes Kleidungsstück trägt nämlich auch ein Preisschild – wer keine Mitgliedschaft abschließen will, kann es direkt kaufen.
Auch Mitglieder können die Kleidung kaufen, die sie nicht mehr zurückgeben wollen. „Erfahrungsgemäß kommt circa die Hälfte der Einnahmen aus Mitgliedschaften und die andere aus Verkäufen“, sagt Lojenburg. Nicht alle Kund*innen wollen also direkt eine Mitgliedschaft abschließen. Die Filiale in Berlin hat ungefähr 200 Mitglieder, in Köln sind es circa 300. Auch bei der Eröffnung gehen die Meinungen auseinander.
“Ich möchte Mitglied werden!”
Eine Besucherin schaut sich noch um. „Ich finde den Ansatz zwar ganz gut, aber ein T-Shirt würde ich nicht leihen“, sagt sie. „Für einen besonderen Anlass würde ich das Angebot vielleicht schon eher nutzen“. Wer Mitglied wird, lässt sich zunächst auf drei Monate Laufzeit ein, danach kann monatlich gekündigt werden.
Eine andere Kundin hat sich bereits Teile ausgesucht, die sie leihen möchte: eine gemusterte Bluse, ein beiger Trenchcoat und ein knalliges T-Shirt. „Ich möchte Mitglied werden!“, sagt sie an der Kasse. Hinter ihr stellen sich schon die nächsten Kund*innen an.
Sarah Bayerschmidt, Jahrgang 2001, kommt aus Amberg, ihre bayerische Herkunft verrät ihr Nachname oder die Aussprache des Wortes „furchtbar“. Studiert hat sie Journalistik in Eichstätt. Beim ZDF im Landesstudio Berlin hat sie über Blockadeaktionen der Letzten Generation berichtet und war bei einem Klebetraining dabei. Ein anderes Thema, das ihr wichtig ist: Tattoos. In einer Podcast-Folge für das ZEIT-Wissen Magazin hat Sarah eine Tätowiererin begleitet und mit einem Tattooforscher darüber gesprochen, was die Körperkunst für Menschen bedeutet. Sie selbst trägt unter anderem am Bein einen Zeichentrickhasen (mit Zeitung in der Hand!) und den Spruch „wird schon“.
Kürzel: bay