Rezept für den Weltfrieden? Hummus + spannende Gespräche mit unbekannten Menschen. Unter dem Motto #LeckerStreiten lädt Kulturschaffender Avarahm Rosenblum zum kulinarischen Dialog ein. Eine Reportage über das Begegnungsprojekt, Hummustopia.
8. Juni 2024, STAMP Festival, Hamburg Altona. Die Sonne steht hoch am Himmel und taucht den Platz der Republik in ein warmes, goldenes Licht. Es herrscht ein buntes Treiben. Am Stand von Hummustopia lockt der verführerische Duft von frischem, warmen Pitabrot und Hummus, gemischt mit den Aromen von Knoblauch, Zitrone und Olivenöl. Zehn kleine, weiße Tische stehen in der Mitte des Platzes. Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft stehen neugierig in kleinen Grüppchen. Einige schauen zögerlich, andere interessiert.
„Wer von Euch will lecker streiten?!“
Avraham Rosenblum, ein Mann mit freundlichen Augen und einem einladenden Lächeln, steht am Stand. Er füllt mit geübten Handgriffen großzügige Portionen Hummus auf kleine Teller und reicht sie an die Besuchenden. Er spricht jeden an, sein Lachen ist ansteckend. „Wer von Euch will lecker streiten?!“, ruft er in die Menge. Rosenblum ist Kulturschaffender und lebt in Hamburg. Hier konzipiert und unterstützt er interkulturelle Projekte, die auf die Annäherung und Begegnung zwischen Menschen setzen. Geboren in Haifa, Israel, war er schon früh in der Musik- und Theaterszene zuhause, wo er versuchte, Menschen über politische Grenzen hinweg zusammenzubringen. Mit seinem Projekt Hummustopia will er zeigen, dass auch Essen verbindet. „Die Spielregeln sind dabei wie folgt: Man setzt sich mit einer fremden Person an einen Tisch und diskutiert über ein zugelostes, gesellschaftlich relevantes Thema. Ziel ist es, sich so lange zu unterhalten, bis die Teilnehmenden zumindest eine kleine Gemeinsamkeit in ihren Meinungen gefunden haben. Für ihr Engagement werden die Teilnehmenden mit leckerem Hummus und anderen Köstlichkeiten belohnt.“, erklärt Rosenblum.
„Ist das Aussehen wichtig?”
An einem der kleinen Tische sitzt Felix. Er ist 32 Jahre alt und hat Geografie studiert. Sein schulterlanges, blond-braunes Haar, das im Sonnenlicht leicht schimmert, trägt er offen. Seine blauen Augen strahlen Neugier aus. Felix hat über das Programm auf der Webseite der Altonale von dem Projekt erfahren und war neugierig genug, um vorbeizuschauen. „Ich fand den Gedanken gut, Menschen über ein gemeinsames Essen in den Austausch zu bringen. Besonders aktuell ist es wichtig, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, mit denen man sonst vermutlich niemals reden würde“, sagt er. Auf seinem Teller liegen cremiger Hummus, frisches Pitabrot, knackiges, eingelegtes Gemüse und eine kleine Portion Couscous. In einer Schale auf dem Tisch liegen viele kleine, eingerollte Zettel mit Themen und Fragen zum Diskutieren. Felix zieht einen Zettel und liest vor: „Ist das Aussehen wichtig? Warum glauben Sie, dass das Äußere für manche Menschen so wichtig ist?“ Er tunkt ein Stück des Pitabrots in den Hummus „Schwieriges Thema. Aber dann wollen wir doch mal“ sagt er und beißt hinein. Es scheint ihm zu schmecken, er nickt zufrieden.
Hummustopia: Für ein gemeinsames Miteinander
Die Idee für das Projekt kam Rosenblum 2017. Damals war er schon seit zehn Jahren in Deutschland und die Spaltung in der Gesellschaft machte ihm Sorgen. „Diskussionen und Kommentarspalten auf Twitter und Instagram sind häufig schwarz-weiß und polarisiert. Hummustopia ist ein Projekt, das aus meinem Gefühl der Hilflosigkeit entstanden ist. Überall sah ich Hetze, Populismus und Hass, besonders im Internet. Ich entschied mich, was dagegen zu tun. Der allererste Schritt war für mich, einen niederschwelligen Raum der Begegnung zu schaffen. Denn wenn man eine Person vor sich sitzen hat, ist es ganz anders als vor dem Bildschirm“, sagt Rosenblum.
Fast jede zweite Person wurde schonmal online beleidigt
Das Internet ist der wichtigste öffentliche Debattenraum unserer Zeit. Doch das digitale Miteinander gerät zunehmend unter Druck. Viele ziehen sich aus dem öffentlichen Diskurs im Netz zurück. Der Studie “Lauter Hass leiser Rückzug“ des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz zufolge, wurde fast jede zweite Person (49%) schon mal online beleidigt. Diese wachsende Sorge zeigt, wie sehr das Internet unsere Gesellschaft und das tägliche Miteinander beeinflusst. Mehr als 76 % sind besorgt, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt. Der Großteil von 89 % stimmt zu, dass Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen hat. Hummustopia will dem entgegenwirken und in entspannter Atmosphäre einen Nährboden für konstruktive Gespräche und neue Gedankengänge schaffen. Das funktioniert in den meisten Fällen sehr gut. Falls nicht, steht allen eine konfliktberatende Person zur Seite. „Wir bieten einen Ort an, wo Menschen sich hauptsächlich gedanklich begegnen können. Ein Raum der Begegnung, der Kommunikation, um sich auszutauschen, um Gemeinsamkeiten zu finden und sich zu verständigen“, sagt Rosenblum.
“Oberflächlichkeiten spalten so krass”
Felix kaut auf dem Pitabrot und runzelt die Stirn. Er scheint zu überlegen, was er auf die Frage antworten will. Auch alle Nachbartische sind mittlerweile gefüllt mit weiteren Menschen, die Zettel ziehen, miteinander ins Gespräch kommen und Hummus essen. Es werden Fragen wie „Ab wann wandelt sich Kritik gegenüber bestimmten Gruppen zu Ausgrenzung und Diskriminierung?“ oder „Finden Sie, dass Minderheiten im politischen System ausreichend vertreten sind? Was könnte getan werden, um ihre Repräsentation zu verbessern?“ diskutiert.
„Mich beschäftigt die Frage nach dem Aussehen und Oberflächlichkeiten in unserer Gesellschaft sehr. Eigentlich bedeutet Aussehen nichts. Ich will eigentlich nicht, dass mir das wichtig ist“, sagt Felix schließlich. Er gesteht aber ein, dass er an sich arbeite und seine Einstellung ändern will. „Normalerweise kategorisiere ich Menschen heftig viel. Hab’ das Gefühl, dass das so eine Seite von mir ist, mit der ich noch nicht so richtig klarkomme. Verstehst du, weil ich mag keine Menschen, die so sind. Ergo ich mag mich selbst nicht, weißt du? Das bringt mich gerade stark zum Nachdenken. Oberflächlichkeiten spalten so krass.“
“Wir schwimmen alle in demselben Boot, das gerade mega viele Löcher hat.“
Der Studie, „Zukunft, Demokratie, Miteinander: Was die deutsche Gesellschaft nach einem Jahr Preiskrise umtreibt“ (2023), der gemeinnützigen Organisation More in Common zufolge, empfinden derzeit 60% der Menschen die deutsche Gesellschaft als eher gespalten, und nur zwölf Prozent sehen sie eher geeint. „Gespalten“ ist mittlerweile sogar die Eigenschaft, an die Menschen im Schnitt am häufigsten denken, wenn sie Deutschland in der Befragung beschreiben sollen (54%). Diese Tendenz bemerkt auch Rosenblum in seiner Arbeit für das Projekt. „Ich finde es wichtig, dass Leute einen Schritt zurück machen und sich eine andere Perspektive auf Probleme aneignen, weil schließlich sind wir doch alle in einem Team — Team Mensch. Wir schwimmen alle in demselben Boot, das gerade mega viele Löcher hat.“
Auch die gefühlte gesellschaftliche Vereinzelung nimmt laut der Studie zu. Im Mai 2023 stimmten 79 Prozent der Befragten eher der Aussage zu, dass sich in Deutschland jeder um sich selbst kümmere, der höchste gemessene Wert der Studie. „Ich hoffe, dass dieses Projekt irgendwann überflüssig sein wird. Dass wir das nicht mehr brauchen, um offen und menschlich zu sein. Mithilfe der „Zauberbindungskraft“ des Hummus merken wir vielleicht alle, dass wir uns näher sind als fremd – auch wenn wir unterschiedliche Meinungen oder Einstellungen haben“, sagt Rosenblum.
Eine junge Frau kommt auf Rosenblum zu. ” So ein tolles Konzept! Ich hatte so schöne Gespräche. Werde das definitiv weitererzählen”, sagt sie sichtlich bewegt. Die Botschaft von Hummustopia schmeckt Felix und den Gästen genauso gut wie der Hummus. Vielleicht hat Avraham Rosenblum recht: Durch Essen und ehrliche Gespräche finden Menschen wirklich neue Wege zueinander.
Ayan Balakhanova, Jahrgang 1999, hat schon mehr falsche Aussprachen ihres Namens gehört als Timothée Chalamet, weshalb sie sich beim Journalismusstudium in Magdeburg dazu entschied, eine Präsentation darüber zu halten: Man nehme Fußballer (Michael) Ballack + Hannover nur mit einem a am Ende – und voilà. Ayans Eltern stammen aus Aserbaidschan, sie ist in Düsseldorf aufgewachsen. Dort managte sie beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein Projekte in der Jugendarbeit, und zwar multilingual: Ayan spricht Aseri, Deutsch, Englisch, Hebräisch, Russisch und Türkisch. Kürzel: abk