Wer an Hamburgs Musikszene denkt, hat Tocotronics Diskursrock oder Sprechgesang der Beginner im Ohr. Oder Bass! Fabi und Frezel vom Hibration Soundsystem erzählen von Hamburgs Dub-Szene, wilden Partynächten und politischen Überzeugungen. „Spielen, bis der Wasserwerfer kommt!“

Titelbild: Mikka Dub, Hibration Soundsystem Crew

Was für Menschen gehören zu Hibration Soundsystem?

Wir sind etwa 18 Leute. Es sind unterschiedliche Menschen. Hibration war schon immer eine offene Gruppe, wo Leute teilnehmen, ohne irgendwelche Voraussetzungen zu erfüllen – einfach weil sie Bock haben. Wir sind offen für alle Menschen, die Lust auf Soundsystem haben.

Das besondere im Dub ist ja, dass die eigenen Boxen, also das Soundsystem mitgebracht werden. Wie sieht eure Arbeitsaufteilung aus?

Wir versuchen alles auf die Schultern von allen zu verteilen. Man muss ein Auto klar machen und schauen wer fahren will. Es muss geklärt werden, wer wann zum Aufbauen und Einladen da ist. Das wechselt durch. Oft sind Leute von anderen Soundsystem-Crews dabei, die uns unterstützen. Das Aufbauen des Soundsystems dauert etwa drei Stunden. Manche Leute sind für die Bar verantwortlich. Die Bar organisieren wir oft selber. Einige bringen natürlich gewisse Qualifikationen mit, sie sind zum Beispiel die Techniker*innen.

Party mit Hibration SoundsystemFoto: Kardia
Dub-Party mit Hibration Soundsystem. Foto: Kardia

Könnt ihr schätzen, wie viele Platten ihr insgesamt habt, die ihr auf die Partys mitbringt?

Fabi: Auf die Partys mitbringen, ist die eine Sache. Man muss sich immer vorbereiten. Zu Hause habe ich ein Archiv mit um die 1000 Platten.

Frezel: Ich habe anderthalb Meter LPs, was Reggae angeht. Das sind wahrscheinlich 400. Ich würde sagen zwei Bierkisten voll Singles. Ich rechne immer in Bierkisten. Aber wir haben als Soundcrew nicht einen gemeinsamen Plattenpool.

Das ist ja nur ein Bruchteil der Platten, die euch für eine Party zur Verfügung stehen.

Dub Party mit Hibration Soundsystem Foto: Kardia
Dub-Party mit Hibration Soundsystem. Foto: Kardia

Fabi: Ja, jeder Selekta, jede plattenliebende Person, sammelt und kauft individuell und bringt die mit. Wir haben alle unterschiedliche Sammlungen. Manche Leute neigen eher zu Bass-Musik: das, was aus Dubstep entstanden ist und in Richtung Drum and Bass, Grime und UK Garage geht.

Wie unterscheiden sich die Plattensammlungen noch?

Frezel: Es gibt Leute, die sammeln moderne Musik. Andere sammeln Musik aus bestimmten Regionen, in denen die Musik produziert wird. Zum Beispiel UK Dub oder anderer Dub aus Europa. Dub kann sehr unterschiedlich sein. Ich habe übrigens angefangen digital aufzulegen. Ich kann dir zehn Gründe nennen, warum digital auflegen besser ist als mit Schallplatten.

Dann leg mal los – vielleicht erstmal mit einem.

Frezel: Ein Grund ist die Nachhaltigkeit, wegen des ganzen Plastiks. Es wird Rohöl aus der Erde geholt, damit ich anderthalb Meter Plastik zu Hause im Regal stehen hab. Ich habe den Eindruck, dass es nachhaltiger ist, sich die Musik am Computer zu besorgen. Es wird weniger Energie verbraucht, um die Musik weltweit zu verteilen. Eine Platte muss verschifft oder per Post verschickt werden. Natürlich gibt es aber auch diverse klangliche Gründe, warum ich lieber digital als mit Schallplatte auflege. Die Schallplatten leiden sehr. Bei Outdoor Veranstaltungen landet der ganze Sand auf den Platten. In der Flora landen etwa Nikotin, Asche und Schweiß darauf. Zack ist die Platte mehr oder weniger unhörbar geworden. Ich tue es auch für meine Schallplatten, dass ich lieber digital spiele.

Was ist das Verrückteste, das ihr auf einer Party erlebt habt?

Fabi: Auf dem Schanzenfest zur Dämmerung aufzulegen und irgendwer zündelt auf der Straße und ein paar 100 Meter weiter brennt ein Feuer. Der Wasserwerfer ist schon unterwegs und es beginnt eine Straßenschlacht. Das war noch vor ein paar Jahren ein sinnloses Rumranderlieren. Das Feuer sollte gelöscht werden und dafür haben sie Wasserwerfer und knüppelnde Riot Cops geschickt.

Musik zu spielen, bis der Wasserwerfer in Sichtweite war und wir uns abgesprochen hatten, wir können das nicht riskieren, dass die Boxen nass werden. Ich dachte: Jetzt zu schnell aufhören wäre auch mies. Ich hatte die letzte Platte drauf und habe gesehen noch 30 … noch 20 Meter und habe aufgehört. Weil wir uns gut abgesprochen haben, hatten wir die Anlage innerhalb von einer Minute eingeräumt und alles ist gut gegangen, niemandem ist etwas passiert. Ich betrachte es als abgehakt: Spielen, bis der Wasserwerfer kommt.

Ich gebe zu, das ist ein romantisierendes Bild von Straßenschlachten, was ich da im Kopf habe. Aber es war ein besonderer Moment, den ich nie vergessen werde. Ausgerechnet ich hatte da meine Spielzeit.

Frezel: Für mich ist es ein Moment, nach einer Party in der Flora. Die Party ging bis sechs Uhr morgens. Man baut das Soundsystem ab und steht um 8:30 Uhr vor der Tür, überlegt gerade zu welchem Portugiesen man jetzt frühstücken geht. Dann sitzt da irgendwo im Baum ne Amsel und pfeift die Baseline von “Sleng Teng” nach.

Seit wann gibt es eine Dub-Szene in Hamburg?

Frezel: Die 90er waren eine Hochzeit für Dub in Hamburg. Dub soll auf einer Stufe mit Techno gewesen sein. So wird einem das erzählt. Man hat Quellen wie Ire Hi-Fi, Crucial Vibes oder I Livity, die schon zu der Zeit aktiv waren. Die erzählen Geschichten, wie dass das Dub Café dienstags von 19 bis 23 Uhr jedes Mal voll war, mit 200 Leuten, die richtig feiern. Also in den Neunzigern, das muss eine andere Zeit gewesen sein.

Wofür engagiert ihr euch heute politisch mit Hibration Soundsystem?

Fabi: Antirassismus und eine klare Haltung gegen Mackertum und Sexismus. Rassismus ist für mich eine Krankheit, die geheilt werden sollte, die viel zu verbreitet ist und gegen die man am besten kämpft, indem man darüber aufklärt. Wir haben uns auch mit antisemitischen Denkmustern und modernen und alten antisemitischen Diskriminierungen auseinandergesetzt.

Frezel: Gegen Homophobie, was ja auch ein wichtiges Thema in jeder Form von Reggae ist. Transphobie ist auch weiter verbreitet als man denkt. Selbst in feministischen Kreisen.

Wie setzt ihr das auf den Partys um?

Fabi: Durch den Code of Conduct, der mit der Awareness einhergeht. Das steht auf den meisten Flyern, also was nicht vorkommen darf auf den Partys. Die Message geben wir auch mal am Mikrofon durch.

Frezel: Die Leute, die Türschicht machen, klären die Gäste darüber auf. In letzter Zeit sind wir dazu übergangen, öfter mal was zu spenden. Zum Beispiel für den aktuellen Spendenzweck vom Café Knallhart. Oder beim Hafengeburtstag oder der Veranstaltung 48 Stunden Wilhelmsburg. Wir spenden zum Beispiel an Copwatch.

Wieso macht ihr keine Partys mehr in der Roten Flora?

Frezel: Es ist so, dass Hibration Soundsystem sich schon immer in linken Strukturen zu Hause gefühlt hat. Deswegen ist jetzt unsere Basis im Café Knallhart, was ein besetzter studentischer Raum an der Uni ist. Es ist ein Geben und Nehmen. Wir können da Partys machen, unsere Boxen da unterstellen. Die können unser Soundsystem nutzen, um ihre Partys zu machen. Die Hibration Soundsystem Crew hat sich aus dem Dub Café in der Flora gebildet. Aber die Schanze ist nicht mehr wie früher, als wir das Dub Café gemacht haben. In den Neunzigern war das Viertel ziemlich heruntergekommen. Da waren eine Menge Vokuhilas überall und eine Drogenausgabestelle. Die Mieten waren superbillig, niemand wollte da wohnen. Dementsprechend bestand das Publikum der Flora nicht aus Idioten, die in der Schanze flanieren gehen oder einen draufmachen wollen. Es waren Leute, die durchaus wissen, was die Flora ist.

Wenn du heute die Türen der Flora aufmachst, wird die Party wahrscheinlich sehr voll. Aber du hast komische Leute dabei, die keine Ahnung haben wo sie sich gerade überhaupt befinden. Dementsprechend musst du ziemlich viele Sicherheitsvorkehrungen treffen.

Wenn Geld keine Rolle spielen würde, welches Projekt würdet ihr gerne umsetzen?

Frezel: Den aktuellen Job kündigen und ganz viele Dances und Releases mit korrekten Artists machen, die dann auch davon leben können.

Luna Baumann Dominguez, Jahrgang 1996, hat ein Faible für das deutsche Lachshuhn. Das hat ihr in ihrem Lieblingskartenspiel “Hennen” schon einige Siege beschert. Sie ist in Mönchengladbach geboren, aber schon 13-mal umgezogen. Beim WDR in Köln machte sie ein Praktikum in der Wirtschaftsredaktion. Ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaft begann Luna vor allem, um beim Uni-Radio in Münster zu arbeiten. Dort gründete sie die feministische Sendung “Equals” und interviewte Reggae-Musiker: Bei einem Dub-Inc-Konzert in Paris ließ der Schlagzeuger für sie sogar das französische Fernsehen warten. Die Leute im Ruhrgebiet - große Klappe, herzlich, immer direkt - vermisst sie schon jetzt. Kürzel: lun