Klimagerechtigkeit braucht mehr als Worte – sie erfordert ein neues System. Im Interview sprechen die Aktivistinnen Alicia Amancio und Areej darüber, was sich ändern muss. Und was am Ende eigentlich zählt.
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FINK.HAMBURG: Was ist notwendig, um Klimagerechtigkeit zu erreichen?
Alicia Amancio: Ein anderes System. Es gibt keine Klimagerechtigkeit in diesem kapitalistischen System, in dem Profit über allem und jedem steht.
Es wird keine Klimagerechtigkeit geben, wenn wir keine echten Gespräche über die koloniale Vergangenheit des globalen Nordens führen. Die Länder des globalen Nordens haben noch immer keine Ausgleichszahlungen für die koloniale Verbrechen bezahlt.
Areej Alsayed: Es geht nicht nur um die Verantwortung für die Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart. Es gibt immer noch neokoloniale Strukturen in Entwicklungskooperationen.
Auch die Klimabewegung in Deutschland ist sehr weiß. Als ich mit anderen BIPoCs in Lützerath war, haben wir uns nicht sicher gefühlt und mussten den Platz innerhalb von zwei Stunden verlassen.
„die Situation hier in Deutschland ist Schlecht“
Warum ist die Situation in der deutschen Klimabewegung schwierig?
Alsayed: Es war eine sehr weiße Umgebung, in der die Leute über Klimagerechtigkeit sprachen. Ich hatte einen Workshop zum Thema Klimagerechtigkeit und Kolonialismus, und die deutschen Medien zeigten weiße Klimaaktivist*innen in den Nachrichten. Aber BIPoC Aktivist*innen bekamen keine Aufmerksamkeit. Aufgrund des Rassismus und der Diskriminierung in der Klimabewegung ist die Situation hier in Deutschland schlecht.
Alicia Amancio ist eine Jugendaktivistin aus Brasilien. Sie nahm mit 17 Jahren an ihrer ersten Klimakonferenz teil und stellte fest: Inklusiv ist anders. Deshalb hat sie das Latin American Youth Climate Scholarship gegründet.
Areej Alsayed hat 2024 ihr Abitur gemacht und macht jetzt ein Gap Year bevor sie Medizin studieren möchte. Die Aktivistin ist Teil des Jugendbeirats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Mitglied des Jugendforums YoupaN.
Wir sind gerade auf der Hamburger Nachhaltigkeitskonferenz. Könnt Ihr schätzen, wie viele Klimakonferenzen ihr schon besucht habt?
Amancio: 20 bis 25. Ich war bisher auf acht COPs (Anm. d. Red.: die UN-Klimakonferenz).
Alsayed: Vielleicht zehn Konferenzen? Ich habe noch an keiner COP teilgenommen. Das ist ein Ziel von mir.
Das ist sehr viel für euer Alter! Es gibt eine Menge Kritik an den Klimakonferenzen. Der Klimawissenschaftler Johan Rockström sagte zum Beispiel, dass die Konferenzen „inklusiver, attraktiver und effektiver“ werden müssen. Wie bewertet ihr die Wirkung solcher Konferenzen?
Amancio: Die COPs sind für Parteien und Länder da, um zu verhandeln. Das ist das Hauptziel. In den letzten zehn Jahren hat sich die COP zu einer Veranstaltung entwickelt, an der 60.000 Menschen teilnehmen. Und ich würde sagen 55.000 haben keine Ahnung, was in den Verhandlungen vor sich geht, weil es so viele Nebenveranstaltungen gibt.
Insgesamt brauchen wir eine bessere Vertretung des globalen Südens. Die Finanzierung ist ein großes Thema. Ich unterstütze diese Forderung also voll und ganz. Aber es muss auch nicht jede*r auf der COP sein.
Alsayed: Letztes Jahr habe ich am Global Refugee Forum teilgenommen. Und ich hatte das Gefühl, dass es zwei parallele Welten gab. Eine, in der die Vertreter der Länder waren. Und eine, in der die Menschen mit Fluchthintergrund waren.
Die Vertreter der Länder kommen und halten ähnliche Reden ohne wirkliche Aktionen. Ich möchte Handlungen sehen, aber auch die Zusammenarbeit mit den Menschen, die wirklich vom Klimawandel und allen anderen Themen betroffen sind.
Amancio: Das wäre toll, oder?
Alicia kannst du ein bisschen mehr über das Latin American Youth Climate Scholarship erzählen, das du gegründet hast? Worum geht es dabei?
Amancio: Als ich mit 17 an meiner ersten COP teilnahm, war ich sehr verloren. Ich sprach kein Englisch, konnte mich also nicht wirklich verständigen und verstand die Verhandlungen nicht. Ich habe drei Jahre gebraucht, um zu verstehen, wo ich war und was meine Rolle dabei war. Wenn wir in die Verhandlungssäle gehen, sehen wir keine jungen Leute – zumindest nicht aus Lateinamerika.
Ich habe gesehen, dass jahrelang dieselben Gesichter aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika in allen Gremien sprachen und sagten: „Ich vertrete junge Menschen aus der ganzen Welt“. Sie haben keine Ahnung, wie es ist, im globalen Süden gegen die Klimakrise zu kämpfen. Es war, als ob sie unsere Geschichte klauen würden.
Und wie läuft das Stipendium genau ab?
Amancio: Wir öffnen jedes Jahr Bewerbungen. Wir wählen junge Menschen aus Schwarzen und Indigenen Gemeinschaften aus ganz Lateinamerika aus. Wir helfen ihnen, ihre Pässe zu bekommen und finanzieren ihre Teilnahme an der SB (Anm. d. Red.: Konferenz in Bonn) und der COP.
Und wir bieten ihnen jede Art von Unterstützung und Hilfsmitteln, die sie benötigen. So werden sie darin geschult, die Verhandlungen zu verstehen und für sich selbst einzutreten.
„Wir sind junge Menschen. Das sollte nicht unsere Verantwortung sein“
Oft sind es alte Menschen, die entscheiden. Das Durchschnittsalter im deutschen Parlament liegt bei 47 Jahren. Junge Menschen leiden jedoch stärker unter den Folgen der Klimakrise. Wie kann ihnen mehr zugehört werden?
Amancio: Wir müssen mehr Geld in jugendgeführte Initiativen stecken, damit wir nicht abhängig sind von Strukturen, die sich nicht um uns kümmern.
Alsayed: Die Jugend braucht auch Zugang zu Informationen. Ich habe letztes Jahr an der Bonner Klimakonferenz teilgenommen. Als ich im Verhandlungssaal war, konnte ich nicht verstehen, was um mich herum geschah.
Es reicht nicht aus, dass mehr junge Menschen dabei sind. Die Frage sollte lauten: „Haben sie Zugang zu Informationen?“. Junge Menschen sollten vom Anfang bis zum Ende eines jeden Prozesses eingebunden werden. Auch bei der Umsetzung von Plänen!
Areej, du hast an einer Studie mitgewirkt, die zeigt, dass sich weniger junge Menschen für den Klimaschutz engagieren. Was denkst du, ist der Grund dafür?
Alsayed: Junge Leute sind sehr mit anderen Dingen beschäftigt und mit anderen Krisen, die wir haben – wie Covid und Kriege. Die Frage ist auch: „Tue ich etwas Sinnvolles?“. Das Gefühl, ob das, was ich tue, wirklich etwas verändert. Oder ob ich zu einer Demonstration gehe, aber niemand darüber berichtet. Ich denke also, dass die Medien eine große Rolle spielen.
Auch die Bildung spielt eine große Rolle. In den Schulen sprechen wir immer über ökologische Probleme wie den Klimawandel. Und wir lernen Dinge wie „wir müssen etwas tun, bevor es zu spät ist“. Aber es ist bereits zu spät. Denn einige andere Länder und Menschen leiden bereits unter dem Klimawandel.
Amancio: Es gibt diese Annahme, dass wir es umsonst machen, weil es uns am Herzen liegt. Ich bin gegen freiwillige Arbeit von jungen Menschen. Natürlich tun wir das Beste, was wir können. Aber es gibt noch so viele andere Faktoren – zum Beispiel, wie wir unsere Rechnungen bezahlen können.
Wir sind junge Menschen. Das sollte nicht unsere Verantwortung sein. Das sollte nicht unsere Aufgabe sein. Und wenn doch – weil wir die Lösungen haben – dann bezahlt uns dafür.
„Tu es für dich selbst. Tu es für die Menschen, die du liebst“
Wenn ihr jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten erreichen könntet, was wäre eure Botschaft?
Alsayed: Meine Botschaft an alle: Frieden. Wir brauchen keine Konflikte. Mit weltweitem Frieden können wir schauen, wie wir als globale Gemeinschaft solidarisch vorankommen können. Wie wir die Welt gemeinsam gestalten können.
Amancio: Ich habe das Gefühl, dass wir immer jemanden erwarten, der uns rettet. Es ist, als bräuchten wir eine Organisation oder ein Regierungsprogramm als Inspiration. Tu es für dich selbst. Tu es für die Menschen, die du liebst. Tu es für die Orte, die du liebst, wenn du zum Beispiel wandern gehst. Das ist die Welt. Sie ist so wunderschön. Sei einfach egoistisch und tu es für dich selbst und für die Dinge, die du liebst. Denn das ist, was am Ende zählt.
Jana Rogmann, Jahrgang 2000, aus Kevelaer, ist den Berliner Marathon schon einmal in unter zwei Stunden gelaufen - allerdings auf acht Rollen: im Sportunterricht gab es Inline-Skating als Wahlfach. Nach einem sozialen Jahr an einer Schule in Bolivien war sie sicher, dass sie nicht Lehramt studieren würde. Sie entschied sich für Komparatistik und English Studies in Bonn, arbeitete bei der WDR-Lokalzeit in der Online-Redaktion und moderierte eine Musiksendung beim Uni-Radio. Einzige musikalische Regel: alles außer Schlager. In ihrer Kolumne in der Rheinischen Post schrieb sie mal über “Uni in der Handtasche” in Zeiten der Pandemie, mal über ihr abgeschnittenes Haar. Seit einem Praktikum beim KiKA kann sie perfekt Kinderstimmen imitieren, will aber lieber Journalismus für Erwachsene machen. Kürzel: rog