Eine Frau steht vor einem Werk von Lebefrauu. Auf dem Werk sieht man eine Vulva mit Blumen. Die Person verdeckt den Intimbereich.
Foto: Lebefrauu

Lebefrauu ist Künstlerin, Fotografin, Aktivistin. Mal alleine, mal als Kollektiv. Sie steht für Feminismus und analoge Fotografie aus Hamburg. Mal in Galerien, hauptsächlich auf Instagram. Aber vor allem: unbearbeitet und echt.

FINK.HAMBURG: Wer ist Lebefrauu?

Analoges Foto von Lebefrauu: Eine Frau hält sich die Hand vor das Gesicht, in der anderen Hand hält sie eine Kamera.
Foto: Lebefrauu

Lebefrauu*: Lebefrauu ist eine feministische Künstlerin. In den meisten Fällen eine Fotografin und Aktivistin. In vielen Fällen holt sie sich ein Team dazu und andere Künstler*innen mit verschiedenen Expertisen. Dann tritt Lebefrauu als Kollektiv auf.

FINK.HAMBURG: Lebefrauu gibt es seit 2020, wie bist du dazu gekommen?

Lebefrauu: Ich war umgeben von Fotografen und Künstlern, die Frauen oder weiblich gelesene Personen porträtieren. Den Blick fand ich oft sehr sexualisierend, obwohl das viele Männer gar nicht so empfanden.

Denen erstmal zu erklären, warum das problematisch ist, war ich dann irgendwann auch leid. Und dann dachte ich mir: Hey, ich bin keine ausgebildete Fotografin, aber ich möchte meinen Blick zeigen und habe angefangen, zu fotografieren. 

Tabuthemen salonfähig machen

FINK.HAMBURG: Wie wählst du die Themen deiner Kunst aus?

Lebefrauu: Anfangs habe ich Freundinnen abgelichtet. Die Personen bringen Themen mit, die sie beschäftigen. Es ist egal, ob es Endometriose, Abtreibung, Rassismus oder Gewalt gegen Frauen ist. Sie dürfen sich so zeigen, wie sie wollen – sei es schwach, stark, verletzlich oder empowernd, angezogen, nackt, dunkel, hell. So wie sie sich wohlfühlen. Wir wollen Tabuthemen salonfähig machen. Ich hab versucht, einen weiblichen Blick zu zeigen, und dann entstand auch irgendwann mal der feministische Blick.

FINK.HAMBURG: Du sprichst vom weiblichen und feministischen Blick. Wie unterscheidet sich beides?

Lebefrauu: Der weibliche Blick kann frauenfeindlich und misogyn sein, weil wir so sozialisiert sind und das auch oft gar nicht erkennen. Wenn jemand fragt: „Wie findest du Körperbehaarung?“ und eine Person sagt: „Ich finde das gar nicht schlimm, aber an mir mag ich es nicht so sehr“ dann wird Gelerntes reproduziert. Das ist jetzt per se nichts Schlimmes und nichts Schlechtes, aber doch erwähnenswert. Der feministische Blick versucht andere Blickwinkel mit einzubeziehen und inklusiv zu sein. 

FINK.HAMBURG: Du fotografierst nur analog. Was bedeutet das für die Bilder?

Lebefrauu: Das ist ein Stilmittel, das mit den Werten einhergeht. Es ist volle Vertrauensbasis, ich bearbeite nichts. Wie es aus der Kamera rauskommt, genauso wird das Foto dann auch verwendet. Das ist ehrlich und wahr. Das hat aber auch das Risiko, dass ich es verkacken kann. Entsprechend brauchen wir Vertrauen in meine Einschätzung. Und das sind natürlich auch alte Maschinen, mit denen ich da hantiere. Also es kann einfach sein, dass dann der Film rauskommt und da irgendwo ein Loch war und dann Licht reingekommen ist. Also alles schon passiert.

FINK.HAMBURG: Lebefrauu findet hauptsächlich auf Instagram statt, wo kann man die Kunst noch sehen? 

Lebefrauu: Wir haben das Glück, dass wir auch immer wieder in Galerien stattfinden dürfen. 2023 durften wir bei der Millerntor Gallery ausstellen und hatten ein richtig cooles Konzept: Liberté, Égalité, Menstruaté.

Ich habe ein Foto bereitgestellt, das sehr groß ist. Es ist zwei Meter breit und zeigt eine Vulva, sehr schön ausgeschmückt mit Blumen. Ich habe versucht, es nicht sexualisiert zu zeigen. Es ist extrem nah und hatte den Hintergrund, dass die Vulva im Kontext der Endometriose dargestellt wurde, weil nämlich bei dieser Vulva ein Stück der Vulvalippe fehlt. Das ist durch den Eingriff zur Behandlung der Endometriose passiert.

FINK.HAMBURG: Wie waren die Reaktionen darauf?

Lebefrauu: Das Foto der Vulva wurde kurzzeitig abgehängt, weil sich jemand beschwert hat. Das war ein Vater mit kleinem Kind, der in dem Moment auch die Möglichkeit gehabt hätte, den Weg der Aufklärung zu gehen. Aber glücklicherweise lebt Lebefrauu auf St. Pauli und St. Pauli lebt Lebefrauu vielleicht auch ein bisschen. Und der Vorstand von St. Pauli hat dann gesagt: „Nein, das darf hängen.”

Lebefrauu auch als Buch

Das Buch von Lebefrauu ist 2024 erschienen und hält die Arbeiten der letzten zwei Jahre fest. Das Buch ist in Zusammenarbeit mit Kristine Ringe enstanden, sie ist Texterin und hat an vielen Projekten als Teil von Lebefrauu mitgewirkt. Das Buch ist ein Sammelsurium an Themen, die uns so die ersten zwei bis drei Jahre beschäftigt haben”, sagt Lebefrauu.

Wer ist Europa?

FINK.HAMBURG: Lebefrauu hat für das Projekt „Wer ist Europa?“ mit Sea-Watch zuammengearbeitet. Was steckt dahinter? 

Lebefrauu: Da ging es tatsächlich mehr um das große Ganze, das Politische. Es ging dabei um Migranten, um Flüchtlinge – und darum, andere Bilder zu produzieren als die bekannten. Wir haben Europa personifiziert. Wie gütig ist Europa? Welche Eigenschaften hat sie? Und wir wollten sie mal so darstellen, wie sie sein könnte. Vielleicht sogar queer, menschenfreundlich, nicht so kapitalistisch. Wir durften drei kleine Filme machen und haben in einem positiven Narrativ erzählt. Nicht, wie scheiße Europa immer ist, sondern wie toll sie sein könnte. 

Mehr zur Kampagne „Wer ist Europa?“:

Sea-Watch schreibt auf ihrer Website, dass die Kampagne nicht anecken, schockieren oder provozieren soll. Stattdessen sei eines der Ziele, die Thematik in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Sie schreiben:  „Die von Sea-Watch & Lebefrauu inszenierte Europa überwindet festgefahrene Verbindungen mit repressiven Behörden wie Frontex, stellt humanitäre Werte vor wirtschaftliche und schaut nicht länger weg, während an ihren Außengrenzen Menschen sterben und sterben gelassen werden“.

Die Kampagne sei fast komplett pro bono finalisiert wurde,  „fast pro bono meint hier die Leihgebühren für Kameraequipment und Leihwagen für den Dreh“.

Für was brauchen wir denn Feminismus? Wir sind doch alle woke.

FINK.HAMBURG: Warum brauchen wir feministische Kunst?

Lebefrauu: Viele sagen: Für was brauchen wir denn Feminismus? Wir sind doch alle woke. Wir malen uns die Fingernägel an, also aus männlicher Sicht. Aber die Zahlen und die Statistiken zeigen immer noch was anderes. Femizide steigen im Vergleich zu den letzten Jahren und wenn man sich auch das ganze Geopolitische mal anschaut, dann habe ich nicht das Gefühl, dass Frauenrechte gestärkt werden.

FINK.HAMBURG: Auf der Website steht, Lebefrauu macht Feminismus sexy. Was meinst Du damit?

Lebefrauu: Auch hier reproduzieren wir Klischees. Die Aussage „Ich bin Feministin“, ist oft direkt mit einer Art Vorurteil behaftet. Ich wollte das Thema mit Kunst verbinden und zugänglicher machen als das, was ich bis jetzt von feministischen Plattformen kannte. Bei Lebefrauu ist es oft so, dass man im ersten Schritt vielleicht gar nicht merkt, dass es hier um Feminismus geht. Und erst auf den zweiten Blick ist sichtbar: „Ah okay, das ist ein Frauenthema. Okay, das ist Feminismus“.

*Aus persönlichen Gründen will die Künstlerin hinter Lebefrauu ihren Klarnamen nicht veröffentlichen. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

Sarah Bayerschmidt, Jahrgang 2001, kommt aus Amberg, ihre bayerische Herkunft verrät ihr Nachname oder die Aussprache des Wortes „furchtbar“. Studiert hat sie Journalistik in Eichstätt. Beim ZDF im Landesstudio Berlin hat sie über Blockadeaktionen der Letzten Generation berichtet und war bei einem Klebetraining dabei. Ein anderes Thema, das ihr wichtig ist: Tattoos. In einer Podcast-Folge für das ZEIT-Wissen Magazin hat Sarah eine Tätowiererin begleitet und mit einem Tattooforscher darüber gesprochen, was die Körperkunst für Menschen bedeutet. Sie selbst trägt unter anderem am Bein einen Zeichentrickhasen (mit Zeitung in der Hand!) und den Spruch „wird schon“.

Kürzel: bay

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