Schokolade für Konsum-Maskottchen

Influencer-Kapitalismus

Mittlerweile ist Dubai Schokolade auch für knapp 7 Euro pro Riegel in deutschen Supermärkten zu finden. Foto: Lara Kitzinger
Mittlerweile ist Dubai Schokolade auch für knapp 7 Euro pro Riegel in deutschen Supermärkten zu finden. Foto: Lara Kitzinger

Lange Schlangen in der Innenstadt: In Hamburg verkaufte Schokoladen-Hersteller Lindt die begehrte Dubai-Schokolade. Ein Hype, der viel tiefer geht, meint unsere Autorin, und spricht von Influencer-Kapitalismus. Ein Kommentar.

Um zwei Uhr nachts aufzustehen, ist nur in wenigen Fällen akzeptabel. Zum Beispiel, wenn der Flieger in den Urlaub geht – Ins Warme, Sonnige. Manch anderer stellte sich seinen Wecker auch mal in der Nacht, um sich Technik-Neuheiten zu sichern, das neue iPhone zum Beispiel. Und wieder manch anderer unterbricht seinen Schlaf für Schokolade. Konsum macht wach.

Der Konsum-Wahnsinn hat mit der gehypten Dubai-Schokolade nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Oder eher einen Tiefpunkt? Sie knackt, sie knuspert, sie zerläuft, ein ASMR-Wunder für den Mund. Mit Pistaziencreme gefüllte Vollmilch- oder Zartbitterschokolade mit Kadayif, auch Engelshaar genannt – das ist die süße Neuheit aus Dubai, für die die Menschen nachts aufstehen und stundenlang anstehen. Und ein Vermögen dafür bezahlen. Etwa 80 Euro kostet das Kilo der süßen Neuheit. Schokoladen-Hersteller Lindt hat nun 1000 limitierte Tafeln á 100 Gramm für 14,99 Euro angeboten – in Hamburg verkaufte das Unternehmen 100 Stück davon. Kein schlechter Schachzug. Schlecht wird einem dabei trotzdem, auch wenn die Schokolade vermutlich gut schmeckt.

Bezahlte Warenmaskottchen

Ursprünglich stammt die Schokolade vom Unternehmen Fix Dessert Chocolatier, das die Schokolade seit 2021 in Dubai vertreibt. Dort kostet die grün-braune Nascherei rund 17 Euro. Ihren Aufstieg in Deutschland verursachte die TikTok- und Instagram-Community, darunter Influencerin Maria Vehera, die maßgeblich zum Hype beigetragen hat.

Somit hat der Influencer-Kapitalismus hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Influencer sind die Werbeplakate der Hersteller, bezahlte Warenmaskottchen. In diesem Fall wurde die Werbetrommel für eine Süßigkeit gerührt, und zwar so dermaßen, dass Menschen horrende Preise dafür bezahlen. Einige der verkauften Tafeln wurden kurz nach Erwerb im Internet für mehrere hundert Euro angeboten. Geht’s noch?

Dubai-Schokolade als Luxus-Stellvertreter

Dieser Influencer-Kapitalismus fördert und normalisiert einen Lebensstil, der durch ständiges Einkaufen und Konsum geprägt ist und gaukelt vor, dass Glück käuflich sei – man brauche nur die neuen angesagten Leggings, die angesagte Trinkflasche oder eben die angesagte Schokolade. Creator auf den Sozialen Medien appellieren an ihre Follower*innen zu konsumieren, zu kaufen und damit, wenn auch unbeabsichtigt, ihren Lebensstil anzupassen. Damit reduziert der Influencer-Kapitalismus Individuen auf den Status von Konsumenten.

Diese ständige Jagd nach dem neuesten Trend, um sich gut zu fühlen, macht auf Dauer nur krank. Es geht hier nämlich nicht um Geschmack und hochqualitative Schokolade. Es geht um ein luxuriöses Image, das die Schokolade stellvertretend einnimmt. Menschen sollen das Gefühl haben, etwas Elementares zu verpassen, wenn sie nicht in den Genuss der Dubai-Schokolade kommen. Schokolade als Statussymbol.

Karoline Gebhardt, geboren 1994 in Reinbek, ist Ex-Landesmeisterin im Bogenschießen. Zu dem Hobby kam sie durch den Film „Plötzlich Prinzessin“. Heute schaut sie lieber koreanische Filme mit Untertiteln. Bei Metal-Konzerten crowdsurft sie und landete dabei schon im legendären Club Logo auf der Bühne. Im Bachelor studierte sie Bibliotheks- und Informationsmanagement und recherchierte als Werkstudentin bei der dpa für die Katastrophen-Warn-App Nina. Für „Szene Hamburg“ testete Karo Restaurants und schmiedete für eine Reportage ein Küchenmesser. Karoline ist besessen vom Thema Quiz, ob im Pub oder im TV - sie selbst bezeichnet sich als Günther-Jauch-Ultra. Kürzel: kar