Die Jugendverschuldung in Deutschland steigt. Das zeigen Daten aus dem aktuellen Schuldneratlas. Doch warum ist das so? Eine Schuldnerberaterin erklärt, was Mikrokredite und mangelnde Finanzbildung mit dem Problem zu tun haben.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Verschuldung junger Menschen. Wenn du selbst verschuldet bist und eine professionelle Beratung benötigst, findest du hier verschiedene Angebote. Die Kosten für eine Schuldnerberatung werden bei Menschen mit geringem Einkommen meist von der Stadt übernommen.
Eigentlich könnte man aufatmen beim Überfliegen des letzten Schuldneratlas. Die Studie des Bonitätsdienstleisters Creditreform erfasst einmal jährlich den aktuellen Stand der Individualverschuldung in Deutschland. 2024 ist die Anzahl der Verschuldeten fast in jeder der erhobenen Gruppen rückläufig. Ein gutes Zeichen – könnte man meinen.
Es gibt eine Ausnahme, die besonders alarmierend ist: Immer mehr junge Menschen sind in Deutschland verschuldet. Junge Menschen, das sind hier Personen zwischen 18 und 30 Jahren. Schon das zweite Jahr in Folge verzeichnet diese Gruppe ein Plus in der Verschuldungsquote.
„Buy now, pay later“ – beliebt bei jungen Menschen
Der Anstieg hängt der Studie zufolge auch mit der steigenden Nachfrage nach flexiblen Zahlungsoptionen zusammen. Sogenannte Buy-now-pay-later-Angebote (BNPL) ermöglichen Kund*innen, ihr Produkt sofort zu erhalten, während die Zahlung verschoben, oder in mehrere Raten gestückelt wird. Die zwei größten Online-Zahlungsdienstleister Paypal und Klarna bieten verschiedene Optionen zur flexiblen Zahlung an.
Flexible Kaufmodelle sprechen vor allem junge Menschen an: So gaben bei einer Umfrage des Statistischen Bundesamtes Ende 2022 etwa 45 Prozent der unter 28-Jährigen an, BNPL-Angebote zu nutzen. 21 Prozent sagten sogar, sich ein Leben ohne BNPL nicht vorstellen zu können. Zum Vergleich: In der Gruppe der Babyboomer gaben lediglich 28 Prozent an, BNPL überhaupt zu nutzen. Auf der Social-Media-Plattform Tiktok kursierte zuletzt ein Trend, bei dem junge Menschen unter dem Hashtag #KlarnaSchulden die Höhe ihrer Schulden vergleichen.
Dass BNPL-Angebote auch mit einem erhöhten Verschuldungsrisiko einhergehen, zeigt eine 2024 durchgeführte Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV). Hier wurden etwa 1400 Beratungsstellen gefragt, bei welchen Beratungsthemen die Nachfrage seit dem Vorjahr besonders stark gestiegen ist. Dabei gaben über 60 Prozent der befragten Beratungsstellen an, einen Anstieg von Beratungsfällen im Zusammenhang mit BNPL festgestellt zu haben.
Viel Scham trotz geringer Schulden
Kerstin Föllner ist seit knapp 26 Jahren als Schuldnerberaterin bei der Verbraucherzentrale Hamburg tätig. Gerade in den letzten Jahren habe sie hier auffällig viele junge Menschen beraten, erzählt sie. Aufgrund von gesellschaftlichen Stigmata müsse man zudem von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. „Den meisten ist das total peinlich. Die scheuen sich dann natürlich auch, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Wir haben viele Anrufe mit unterdrückter Rufnummer“, so Föllner.
Die Schuldenhöhe sei in den meisten Fällen eher gering, überwiegend im dreistelligen Bereich. Der Großteil der Beratungsfälle sei daher unkompliziert und schnell lösbar, so Föllner weiter. Komplizierter werde es vor allem dann, wenn Betroffene lange abwarten, bevor sie sich Hilfe suchen. Dann werden aus wenigen Hundert Euro durch Mahn- oder Inkassogebühren schnell vierstellige Beträge.
Aus 20 Euro werden 1000 Euro
Gerade jungen Menschen seien die Konsequenzen eines Ratenkaufs oft nicht hinreichend bewusst, erklärt Föllner. Betroffene würden schnell den Überblick über anstehende Zahlungen und fällige Raten verlieren: „Ich habe mal jemanden in der Beratung gehabt, der selbst zugeben hat, komplett den Überblick verloren zu haben. Wie wir dann nachher festgestellt haben, hatte er über 30 kleine Einkäufe gemacht. Die haben sich dann auch auf knappe Tausend Euro summiert. Das bekommt man gar nicht so mit, wenn man hier mal nur 30 Euro und da mal nur 20 Euro ausgibt“, sagt die Beraterin.
„Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen da einen früheren Cut machen.“
Laut Föllner liegt das auch an der Gestaltung der Anwendungen. Designs wie das von Klarna seien oft „schön bunt“ und „einfach“ aufgemacht. Mit wenigen Klicks könne man sein Wunschprodukt kaufen. Sie könne verstehen, dass der Prozess so einfach wie möglich gestaltet werden soll. Jedoch müssten Unternehmen ihrer Meinung nach schneller auf die Bremse treten, wenn junge Menschen mehrere Finanzierungen gleichzeitig in Anspruch nehmen möchten. „Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen einen früheren Cut machen: Wir haben aktuell 150 Euro offen, du kannst erstmal nicht weiter einkaufen, bis das bezahlt ist. Das würde wahrscheinlich bei vielen eine gute Warnfunktion haben.“
Finanzbildung als Klassenfrage
Ein grundlegendes Problem ist laut Föllner die mangelnde finanzielle Bildung vieler junger Menschen. Mit der Verbraucherzentrale gibt sie regelmäßig Workshops zu Finanzthemen an Schulen. Es sei auffällig, wie schwer es vielen Schüler*innen fällt, grundlegende Konzepte wie etwa den Unterschied zwischen Sollzins und Effektivzins zu verstehen. Gerade im Umgang mit Mikrokrediten wie BNPL ist dieses Verständnis jedoch essenziell, um das volle Ausmaß der finanziellen Belastung einzuschätzen. Anders als der Sollzins gibt der Effektivzins nämlich alle mit einem Kredit verbundenen Kosten an und berücksichtigt so auch potenzielle versteckte Kosten wie Kontoführungsgebühren.
Dass es bei der finanziellen Kompetenz junger Menschen Nachholbedarf gibt, zeigt auch der Jugend-Finanzmonitor 2024 der Schufa. Die jährlich durchgeführte Umfrage betrifft Menschen zwischen 16 und 24 Jahren, die angeben, wie gut sie ihre finanzielle Bildung in Schulnoten einschätzen. Im vergangenen Jahr gaben sich 37 Prozent der Befragten nur eine drei. Weitere 34 Prozent gaben sich sogar die Note vier oder schlechter. Besonders interessant: Gerade bei komplexeren Finanzthemen wie der Aufnahme von Immobilienkrediten lag der Notendurchschnitt nur noch bei 4,6.
Finanzielle Bildung ist dabei oft eine Klassenfrage: Das meiste Finanzwissen bekamen 73 Prozent der Befragten durch das Elternhaus. Nur 39 Prozent gaben an, Wissen über Finanzthemen in der Schule vermittelt bekommen zu haben. Verfügt das Elternhaus selbst nicht über genügend Wissen oder Zeit, wird dieser Mangel oft weitergegeben. Finanzthemen in der Schule sind daher umso wichtiger.
Klassiker: Kassensturz
Das sei in vielen Schulen jedoch nicht der Standard, erklärt Föllner. Unterrichtsinhalte hätten oft zu wenig mit dem realen Leben zu tun. Bereitgestellte Bildungsmaterialien seien zudem nicht selten von Banken oder anderen Unternehmen gesponsert und würden teils fragwürdige Inhalte vermitteln. Workshops wie die, die sie mit der Verbraucherzentrale anbietet, könnten dabei helfen, diese Lücke zu füllen. Die Stadt Hamburg habe vor kurzem zusätzliche Mittel dafür bewilligt. Ausreichen würde dies aber nicht: „Wir können längst nicht in so viele Schulklassen gehen, dass es die Nachfrage decken würde“, so Föllner.
„Wir werten nicht. Wir versuchen nur, die Kuh vom Eis zu bekommen.“
Das Bewusstsein für das Thema Schulden müsse in der gesamten Gesellschaft noch deutlich größer werden, findet Föller. Auch wenn die Nutzung von Mikrokrediten nicht per se schlecht sei, müsse man sich auch bei kleinen Beträgen im Klaren darüber sein, dass es sich um Schulden handelt. Außerdem sei es essenziell, einen Überblick über seine Ausgaben zu behalten: „Es ist wirklich der Klassiker, der hilft: Kassensturz. Egal ob auf dem Papier, über eine Excel-Tabelle oder eine App. Es ist wirklich wichtig zu gucken, was kommt rein, was habe ich an festen Kosten und was bleibt mir dann überhaupt noch über zum Leben.“
Menschen, die bereits in finanzielle Schieflage geraten sind, rät Föller, schnell tätig zu werden und sich, wenn nötig, so früh wie möglich Hilfe zu suchen. Auch wenn die Scham groß ist: „Wir versuchen, einen ganz niedrigschwelligen Zugang zu bieten. Wir fragen nicht: 'Wie konntest du für 300 Euro Parfum kaufen?' Wir werten nicht. Wir versuchen nur, die Kuh vom Eis zu bekommen.“
Simon Laumayer, Jahrgang 1992, ist mit 16 Jahren schon Schulmeister im Bouldern geworden. Seit seinem Bachelorstudium Kulturwissenschaften in Lüneburg verdient er sogar Geld damit - als Routenbauer in der Boulderhalle. Auch im Urlaub klettert der gebürtige Hamburger. In einem selbst ausgebauten Van, einem Gärtnermobil, geht es zu Felsformationen, am liebsten in die Schweiz. Als Pressesprecher hat Simon mehrere Jahre fürs Lüneburger Musik- und Kulturfestival “Lunatic” gearbeitet und für den “Rolling Stone” schon den Indie-Künstler Sam Fender interviewt. Privat dröhnt allerdings Hiphop aus den Boxen seines Vans.
Kürzel: sil