Autoverkehr und Parkplätze in der Waitzstraße in Hamburg Othmarschen
Foto: Braun / Dübbelde

Die Waitzstraße in Hamburg Othmarschen ist über zwei Jahrzehnte zum ungewöhnlichen Unfallhotspot geworden. Welche Ursachen stecken dahinter und was wird getan, um Abhilfe zu schaffen?

Text von Jeremy Braun und Olivia Dübbelde

Die Waitzstraße in Othmarschen im Dezember. Eine Straße, die an diesem Tag ruhig und gemütlich wirkt – Weihnachtsbeleuchtung, Kunden schlendern vorbei an Boutiquen und Cafés, ein kleiner Weihnachtsmarkt in der Nähe. Es war nicht immer so idyllisch hier: Bis vor wenigen Monaten war die Waitzstraße ein Brennpunkt für Verkehrsunfälle in Hamburg. „Man wusste nie genau, wann wieder was passiert. Aber dass es irgendwann wieder dazu kommt, war absehbar“, berichtet ein Anwohner.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.

„Das war ein Unfall in der Bank. Gott sei Dank war an dem Tag keiner der Angestellten im vorderen Teil tätig.“ Gunnar Gellersen zeigt auf ein Foto. Darauf zu sehen, die völlig zerstörte Front einer Sparkassen-Filiale, wie auch die Ursache der Zerstörung: ein PKW, der mitten im Geschäft steht. Gellersen lehnt sich über den Tisch in seinem Büro am Altonaer Fischmarkt. Der Projektentwickler und Experte für Verkehrssicherheit beschäftigt sich als freier Berater schon seit einiger Zeit mit den Verkehrsproblemen in der Waitzstraße. Er zeigt auf weitere Bilder und blickt gedankenverloren aus dem Fenster auf die Elbe: „Das ist ja schon eine sehr heiße Geschichte.“

Es fehlt an Einsicht

Das Unfallproblem in der Waitzstraße ist nicht neu. Seit den 1990ern kommt es immer wieder vor, dass Autofahrer*innen beim Ein- oder Ausparken die Kontrolle verlieren und von den diagonal angeordneten Parkplätzen in die Schaufenster fahren.

Gellersen hat eine Vermutung für die Ursachen und Häufigkeit der Unfälle: „Stress spielt eine wesentliche Rolle. Koordination und schnelle Reaktionen fallen vor allem den älteren Verkehrsteilnehmern schwer.“ Eine seiner vielen Tabellen zeigt: Das Durchschnittsalter der Unfallverursachenden liegt bei 75 Jahren. Neben gesundheitlichen Einschränkungen spielen laut Gellersen auch Medikamenteneinfluss und Orientierungsschwierigkeiten eine Rolle.

Ein weiterer Faktor sei die hohe Dichte an Arztpraxen: „Wir haben hier 65 niedergelassene Arztpraxen auf 330 Metern Länge. Diese Dichte ist, soweit ich weiß, ein europäischer Rekord“, sagt Gellersen. Viele der Unfallverursachenden seien auf dem Weg zu oder von diesen Praxen gewesen.

Im Jahr 2015 wird, unter der Leitung des neu ins Leben gerufenen Business Improvement Districts (BID), ein Konzept entwickelt, um die Straße sicherer und ansprechender zu gestalten. Gellersen, Mitglied des Lenkungsausschusses des BID, erinnert sich: „Dann hat auch die Politik festgestellt, dass Handlungsbedarf besteht.“

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Querparkplatz in der Waitzstraße
Querpackplatz in der Waitzstraße in Othmarschen

Dübbelde / Braun

Er faltet eine Broschüre auf. Adrett arrangierte Fotos der baulichen Maßnahmen. „Bei der Ideenfindung waren damals Architekten für Städtebau, Stadtentwicklung aber auch Gartenlandschaftsbau beteiligt.“ Die Kernmaßnahmen umfassten zum einen den Austausch der Schrägparkplätze auf der rechten Straßenseite durch Längsparkplätze, um das Unfallrisiko beim Ein- und Ausparken zu minimieren, als auch das Aufstellen einer Leitplanke in Form von Straßenmobiliar. Diese sollen als Anfahrschutz dienen.

Die Maßnahmen aus dem Jahr 2015 bringen jedoch nicht den erhofften Erfolg. Gellersen holt ein weiteres Bild von 2019 aus seinem Ordner und erklärt: „Wie wir nach einer Weile feststellen mussten, war das Straßenmobiliar ein Anfahrschutz, aber kein Überfahrschutz.“ So prallte ein Auto gegen einen der 200 Kilogramm schweren Granitblöcke, schob ihn in eine Schaufensterfront und demolierte diese trotz aller Maßnahmen erneut. Nur durch Glück wurde niemand verletzt.

Auch die Längsaufstellung der Parkplätze auf der rechten Straßenseite muss nach irritierten Reaktionen aus der Bevölkerung wieder zurück genommen werden. Heute parken die Autos also wieder diagonal.

Eine Frage der Ansätze

Nach den ersten Rückschlägen beschließen die Verantwortlichen beim BID, die Schutzmaßnahmen aufzurüsten. Die Lösung: 600 Kilogramm schwere Vollstahlpfosten, die 60 Zentimeter tief in der Erde verankert sind und ebenso hoch darüber hinausragen. Diese sollen schwerwiegende Schaufensterkollisionen wirksamer verhindern.

Die Maßnahmen zeigen ersten Erfolg. Zuletzt landet im Sommer 2023 ein SUV in der wiederholt betroffenen Bankfiliale. Seit Abschluss der baulichen Maßnahmen im November 2023 gab es hier keine Unfälle mehr.

Die Grafik zeigt die 15 Unfallstellen auf der Waitzstraße, manche Stellen sind mehrfach betroffen.
Die Waitzstraße: Jedes X markiert eine betroffene Adresse. An einigen davon gab es gleich
mehrereUnfälle. Den Rekord stellt ein Blumengeschäft, welches sechsmal betroffen war.

„Man findet überall Kratzer an den Leitplanken, unseren Pollern und an den Bänken. Das zeigt, dass die Maßnahmen Erfolg haben. Das Verhalten der Fahrer ändert sich nicht.“ Gellersen blickt unglücklich auf eine Abbildung der ursprünglichen Stahlsitze von 2015. Diese wurden seither durch die verschiedenen Schaufensterkollisionen fast komplett vernichtet. „Aber die Sicherheit geht vor.“

Andere Verbesserungsvorschläge des Business Improvement Districts, wie zum Beispiel die Einrichtung von seniorengerechten Shuttleservices in Kooperation mit dem Fahrdienst Moia, scheitern an einem zu hohen Verwaltungsaufwand und Personalmangel.

Das Unternehmen Argus machte im Oktober 2024 als Teil eines Verkehrsgutachtens weitere Verbesserungsvorschläge, wie beispielsweise die Etablierung einer autofreien Zone. Gellersen ist allerdings skeptisch, was deren Umsetzbarkeit betrifft. “Im Grunde sind das ja super Ideen, aber das wird so vorerst keiner wollen. Dass aus der Waitzstraße irgendwann mal eine Fußgängerzone wird, ist schon absehbar. Wann das aber passieren wird? Keine Ahnung.”.

Keine weiteren Umbauarbeiten auf der Waitzstraße

Erste Aussagen von Mitarbeiter*innen eines betroffenen Geschäfts bestätigen Gellersens Verdacht: “Erneute Umbauarbeiten wären für unser Geschäft eine Katastrophe”. Es heißt, weitere, mehrjährige Baustellen könnten Kunden fernhalten und die finanzielle Lage der Geschäfte drastisch verschlechtern.

Manche Gewerbetreibenden üben sich im Zweckoptimus: “Was sonst kommt, das kommt dann eben“. Einen weiteren Vorfall würde es schon nicht geben, so die Hoffnung. Man habe ja jetzt bereits getan, was getan werden kann. Die Zukunft solle zeigen, ob die Maßnahmen gereicht haben. Heute jedoch, in der besinnlichen Weihnachtszeit, zeigt die Waitzstraße ein anderes Gesicht: Sie ist durchzogen mit dem Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein, die Schaufenster sind geschmückt und die Weihnachtsbeleuchtung taucht die Straße in ein warmes Licht.

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