Die Pelican Bar auf St. Pauli darf diesen Sommer ihre Terrasse nicht nutzen. Auch im Schanzenviertel beklagen Anwohner*innen den Lärm der Außengastronomie. Was konkret gefordert wird – und wie verhärtet die Fronten sind.

Der Platz vor der Pelican Bar auf St. Pauli ist leer. In einer Ecke am Zaun stehen bunte Stühle gestapelt, darauf liegt eine leere Bierflasche. Zigarettenstummel zieren den Boden. Gegenüber klirren Gläser, fröhliche Stimmen hallen über die Straße Am Brunnenhof. Sie kommen von der Bar Ginst und ihrer geöffneten Sommerterrasse.

Es ist ein später Nachmittag Ende Mai, die Sonne scheint. Im Pelican halten Betriebsleiter Benjamin Trinh und eine Kollegin die Stellung hinter der Theke. Gegen 18 Uhr betreten zwei Männer das Lokal und fragen, ob sie sich mit einem Getränk nach draußen setzen dürfen. Trinh schüttelt den Kopf. Er gebe sich Mühe, die neuen Auflagen der Stadt Hamburg zu erfüllen – um im nächsten Jahr die 50 Quadratmeter große Außenterrasse wieder öffnen zu dürfen.

Betreiber der Pelican Bar auf St. Pauli Benjamin Trinh.
Benjamin Trinh sorgt sich um die Außenterrasse der Pelican Bar auf St. Pauli. Foto: Sebastian Geschwill

Die nötige Genehmigung hat die Pelican Bar für die Sommersaison 2025 nämlich nicht erhalten. Dabei sollte eine Folgeerlaubnis eigentlich nur Formsache sein. Die Begründung: Das Pelican sei in der Vorsaison zu laut gewesen. Für Trinh kam die Entscheidung des städtischen Fachamts überraschend. „Immer, wenn die Polizei kam, sagten die uns: ‚Ja, ist doch alles cool, ist alles normal.‘“ Gleichzeitig wisse er von zahlreichen Lärmbeschwerden bei Sascha Bartz, dem neuen Nachtbeauftragten des Stadtteils. Diese Stelle wurde 2024 als Beschwerdestelle im Streit um den Lärm auf St. Pauli geschaffen. Bartz soll für Gastronomie, die Nachtkultur-Szene sowie Anwohner*innen ein Ansprechpartner und Vermittler sein. Er kann Beschwerden annehmen und dokumentieren.

Wem gehört St. Pauli bei Nacht?

Der Konflikt zwischen Gastronomie und Anwohner*innen des Viertels ist kein neuer: Schon 2022 versammelten sich St. Paulianer*innen zur Initiative „Pauli wohnt!“, um gegen die Geräuschkulisse der Außengastronomie vorzugehen. Für Lärmbeschwerden habe Trinh generell Verständnis. „Nur nicht hier auf dem Hamburger Kiez, um die Ecke der Reeperbahn.“ Einen runden Tisch mit betroffenen Anwohner*innen und Gastronom*innen habe es zwar mehrfach gegeben – aber keine Lösung. Auch nicht mit dem daraufhin eingesetzten Nachtbeauftragten, findet der Barbetreiber.

Warum an der lebhaften Straßenkreuzung aber gerade der Außenbereich des Pelican zu laut sein soll, kann Trinh nicht nachvollziehen. „Wir haben nichts falsch gemacht“, sagt er gegenüber FINK.HAMBURG und verweist auf die Gesetzeslage: Von Sonntag bis Donnerstag müssen Hamburger Gaststätten um 23 Uhr ihre Außenbereiche schließen. Freitag und Samstag ist eine Stunde mehr drin. An diese Regelung habe sich das Pelican gehalten, so Trinh. Für den Außenbereich habe man sogar einen Türsteher organisiert. Dennoch lasse es sich manchmal nicht vermeiden, dass jemand spät draußen eine Zigarette raucht. Oder sich mit einem Getränk vom Kiosk vor die Bar stellt – während Nachbar*innen im Bett liegen.

Zusammengestellte bunte Stühle
Eigentlich stehen diese Tische und Stühle nicht am Rand, sondern mitten auf der Außenterrasse. Foto: Sebastian Geschwill

Der Lizenzentzug für die Pelican-Außenterrasse ist für Trinh ein klares Signal: „Wir merken, dass der Bezirk Altona und der Senat an uns ein Exempel statuieren wollen.“ Denn nicht nur das Pelican, sondern die gesamte Hamburger Gastronomie werde derzeit „angegriffen“. Er spielt damit auf eine Forderung vom Stadtteilbeirat Standpunkt Schanze an. Dieser fordert, dass die Außengastronomie an allen Wochentagen schon um 22 Uhr komplett ruht. Außerdem beantragten SPD und Grüne zuletzt weitere Maßnahmen zur Lärmreduzierung in der Sternschanze und in Ottensen. Demnach soll hier der Alkoholverkauf im Einzelhandel, an Tankstellen und an Kiosken ab 22 Uhr begrenzt werden. Vorausgegangen war eine schalltechnische Untersuchung der Stadt.

Ende 2024 berechnete ein Ingenieursbüro die Immissionssituation in der Sternschanze und in Ottensen – mit Fokus auf Lärm, der primär von Menschen ausgeht. Die Berechnungen zeigen die Lärmbelastung für Wohnungen im ersten Stock. In vier Varianten wurde berechnet, wie laut es tagsüber maximal wird, sowie die lauteste Stunde in der Nacht. Die Szenarien gehen von einer voll ausgelasteten Sternschanze aus; unterschiedlich ist nur die Annahme, wie viele Personen sich auf einem Quadratmeter befinden. In allen Fällen werden die Lärm-Grenzwerte überschritten. Die Untersuchung beruht auf Annahmen und Hochrechnungen.

Der Antrag von SPD und Grünen stößt bei Trinh auf Unverständnis: „Ich frage mich eigentlich nicht, was die Anwohner denken, sondern, was sich die Stadt dabei denkt. Am Ende haben die das alles mal zugelassen und werben ja auch mit Vielfalt und Kultur.“ Wie der Hamburger Senat mit dem eingebrachten Antrag umgeht, ist offen. Ebenso ist die Forderung von „Standpunkt Schanze“ noch unbeantwortet geblieben. Sorgen macht sich Trinh aber zunächst um die Pelican-Terrasse auf St. Pauli – und um drohende Einbuße. Er rechnet mit einem Umsatzverlust von rund 50 Prozent des Sommergeschäfts.

Anwohner*innen im Schanzenviertel klagen über Lärm

Andere Sorgen hat Michael Bell (Name von der Redaktion geändert). Seit 1998 lebt er im Schanzenviertel, mitten auf dem Schulterblatt. „Voll war es hier schon immer. Der Unterschied ist, dass hier früher fast nur Menschen ausgegangen sind, die hier auch gewohnt und gearbeitet haben. Die haben Rücksicht auf ihr Viertel genommen”, so Bell im Gespräch mit FINK.HAMBURG. Sein Schlafzimmer habe er – wie viele andere Anwohner*innen – mittlerweile in den hinteren Teil der Wohnung verlegt, weg vom Lärm der Außengastronomie. Im Sommer könne man kaum lüften, nur gegen vier Uhr. Bell berichtet von Anwohner*innen, die zu Hochzeiten wohl jede Nacht in ihre Schrebergärten ausweichen. Und von Nachbarskindern, die nur mit Oropax einschlafen können.

„Bei dieser Lautstärke will niemand lange bleiben.“

Warum also nicht einfach wegziehen? „Weil ich an diesem Stadtteil hänge und es die Ursache des Problems nicht löst“, so Bell. Außerdem könne er sich eine vergleichbare Wohnung zu den heutigen Mietpreisen nicht mehr leisten. Schon gar nicht im Schanzenviertel, wo ein Quadratmeter Wohnraum inzwischen durchschnittlich über 15 Euro pro Monat kostet (Stand: März 2025). „Bei dieser Lautstärke will niemand lange bleiben“, erklärt Bell. Dadurch komme es zu einem höheren Mieter*innenwechsel, und Vermieter*innen dürften die Miete immer ein wenig anheben.

Umso erleichterter ist der Hamburger über den Vorstoß der Politik. Zu früh wolle er sich allerdings nicht freuen – zu lange ziehe sich die Debatte um den Lärm im Schanzenviertel schon hin. Zudem ist noch nicht sicher, ob der Antrag von SPD und Grünen angenommen werde. Aus Sicht des Stadtteilbeirats wäre es darüber hinaus nötig, die Außengastronomie jeden Tag um 22 Uhr zu schließen. „Schließlich werde Lärm am Wochenende nicht weniger gesundheitsgefährdend“, heißt es hierzu in einem Sitzungsprotokoll .

Ab wann Lärmpegel als gesundheitsgefährdend gelten, ist nicht genau definiert. In Hamburg wurden bislang Lärmpegel von 70 Dezibel tags und 60 Dezibel nachts als Gefahrenschwelle herangezogen. Beide Werte überschreiten die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar um bis zu 15 Dezibel.

Der Schwellenwert für Verkehrslärm der Europäischen Umweltagentur (EEA) liegt beispielsweise bei 55 Dezibel tagsüber, 50 nachts. Laut der EAA sind diese Werte gesundheitsschädigend und können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Erkrankungen, Diabetes und vorzeitige Todesfälle auslösen. Wie vergleichbar die Lärmwerte bei Verkehrsmessungen mit denen in der Schanze sind, ist schwer zu beurteilen.

Gegenseitige Rücksicht als Kompromiss?

Eigentlich, so Bell, sei „Rumble on the streets, peace in the backyard“ schon immer das Motto in der Schanze gewesen. Früher hätten Gastronom*innen ihre Fenster und Türen in die Hinterhöfe geschlossen gehalten, um die Anwohnenden nachts nicht zu stören. Dies sei heute nicht immer der Fall, was zu schlaflosen Nächten führe. Hinzu kämen laute Reinigungsaktionen am frühen Morgen und Männer, die an seinen Hauseingang urinieren.

Er glaubt, dass den Besucher*innen in der Schanze der eigene Spaß wichtiger sei als Rücksicht auf die Menschen, die hier wohnen. Das sei „eine Facette einer gesamtgesellschaftlich zunehmenden Rücksichtslosigkeit“. Was könne laut Bell in dieser Situation helfen? „Gastronomen, die sich an die Regeln halten und Leute, die betrunken sind, nicht mehr bedienen.“ Und vor allem: endlich wirksame Maßnahmen von der Politik.

Pelican-Betreiber Benjamin Trinh will Klarheit von der Politik. Ihm gehe es hauptsächlich darum, weiter im Wettbewerb zu bleiben. Dass er im Sommer – genau wie andere Bars – dazu seine Außenterrasse braucht, liegt auf der Hand. Trinh sei bereit, sich „an neue wie alte Regeln“ zu halten. Und sollte die Politik nicht handeln, erwägen Bell und Trinh als letzte Möglichkeit eine Klage gegen die Stadt. Bis dahin ist der Sommer auf St. Pauli und im Schanzenviertel wohl aber schon vorbei.

Alles ist politisch. Auch die Frage, ob Bier schmeckt oder nicht. Zumindest wenn es nach Anny Norma Schmidt, Jahrgang 2001, geht. Sie bestellt lieber Sekt. Dafür erntet sie in ihrer Heimat Dithmarschen schiefe Blicke. Vielleicht fiel ihr daher der Abschied 2021 in Richtung Magdeburg leicht, um dort Journalismus zu studieren. Ist sie nicht baden oder joggen, sitzt Anny gerne im Café, entweder in ein Buch oder in eine Diskussion über Feminismus und Nachhaltigkeit vertieft. Anny hat schon diverse Praktika bei Lokalzeitungen hinter sich, weil sie es wichtig findet, im Gespräch zu bleiben - sogar über Bier. Kürzel: ans

Sebastian Geschwill, Jahrgang 2002, machte nach dem Abi ein FSJ an einer Realschule – und merkte schnell: Deutschlehrer wird er nicht. Irgendwas mit Sprache sollte es trotzdem sein. Also zog er von Oftersheim bei Heidelberg fürs Germanistikstudium nach Hamburg. Nach einem Praktikum beim „Hamburger Abendblatt“ und einem Abstecher zu „Computerbild“ schreibt er nun wieder fürs Harburg-Ressort des Abendblatts – etwa über die größte Barbie-Börse im Norden. Privat mag er es tiefgründig: Er dichtet melancholische Texte, wandert durchs Hochgebirge oder fährt Bestzeiten bei den Norddeutschen Wasserrutschmeisterschaften ein. Kürzel: sge

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