Ein Mann tätowiert einen Arm.
Chris tätowiert Kundin Melanie. Foto: Miriam Mair

In Deutschland häufen sich rechtsextremistische Vorfälle, die AfD ist bundesweit zweitstärkste Partei. Wie Hamburger Tattoo-Studios mit Hilfe des Vereins Kein Bock auf Nazis ein Zeichen gegen rechte Hetze setzen.

Routiniert streift Chris Rathjen die schwarzen Gummihandschuhe über, desinfiziert seine Hände und zieht Melanies ausgestreckten Arm vorsichtig ein Stück näher ans Ringlicht. „Ich bin aufgeregt!“, sagt die Frau, die auf der schwarzen Liege vor ihm liegt. Sie hat rote Haare und trägt helle Chucks mit Regenbogen-Schnürsenkel. „Ready?“, fragt Chris. Melanie nickt und Chris setzt die Nadel an ihrem rechten Arm an. Konzentriert streicht er Vaseline auf ihren Arm, bevor er die Nadel in schwarze Farbe taucht und sie wieder an ihrem Unterarm ansetzt.

Es ist Melanies erstes Tattoo nach zwanzig Jahren. Heute lässt sie sich jedoch keinen weiteren Drachen stechen, sondern einen T-Rex, der ein Hakenkreuz frisst. Denn Melanie nimmt an der Aktion „Tattoos gegen rechts“ des Vereins Kein Bock auf Nazis teil. Mit ihrem Tattoo wolle sie ins Gespräch kommen und Menschen zum Nachdenken anregen. Über Instagram hat sie von der Aktion erfahren und spontan einen Termin im Studio Immer & Ewig Tattooing vereinbart.

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Ein T-Rex-Tattoo.
Melanies erstes Tattoo nach zwanzig Jahren: ein hakenkreuzfressender T-Rex Foto: Miriam Mair

Eine Aktion zur Verteidigung der Demokratie

Immer & Ewig Tattooing ist eins von sechs Hamburger Studios, die sich an der bundesweiten Aktion beteiligen. Die Soli-Aktion gibt es zum dritten Mal in Folge, bundesweit nahmen über fünfzig Studios teil. Die Einnahmen spenden die Tätowierenden an den Verein Kein Bock auf Nazis.

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Buntes Tattoo-Motiv FCK NZS
Tattoo-Motiv FCK NZS Foto: Miriam Mair

Joshi vom Verein Kein Bock auf Nazis ist es wichtig, den Leuten Mut zu machen, indem sie durch die Tattoos Verbündete sehen und sich so in ihrem Engagement gegen rechtsextreme Bestrebungen gesehen fühlen. Man müsse Menschenrechte und Demokratie unbedingt verteidigen. Persönlich wolle er auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und seinen Kindern nicht später erzählen müssen, er habe zu Hause gesessen und bei der Sparkasse gearbeitet. „Ich möchte wenigstens alles versucht haben, um den Faschismus zu stoppen.” Auf die Frage, ob ein einzelnes Tattoo etwas bewirken kann, hat Joshi eine klare Antwort: „Ich glaube, jede noch so kleine Sache hilft, um diesem schlimmen Rechtsruck irgendwas entgegenzusetzen.“

Rechtsextremismus in Deutschland und Hamburg

Rechtsextremismus ist sowohl in Hamburg als auch bundesweit ein großes Problem. Laut dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt werden täglich durchschnittlich zwölf Menschen Opfer rechter, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt. Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund stiegen 2024 um knapp 47 Prozent auf 37.835 an, zeigt der Verfassungsschutzbericht. Doch nicht nur die bundesweite Bilanz ist erschreckend, sondern auch die für Hamburg. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Gewalttaten im Bereich Rechtextremismus mit 116 registrierten Fällen mehr als verdoppelt.

Auch die Tätowierenden bei Immer & Ewig Tattooing wollen dem Rechtsruck etwas entgegensetzen. Für Tätowierer Chris und seine Kolleg*innen ist es bereits die zweite Teilnahme an der Aktion. Chris sei es vor allem wichtig, dass sich menschenverachtende Ideologien nicht weiterverbreiten. Seine Kollegin Magda merkt zwar an, dass ein Tattoo nicht die Welt verändere, „es ist aber ein schönes Signal einfach zu merken, dass man nicht alleine ist“.

Doppelt gutes Gefühl

Chris‘ nächster Kunde betritt den kleinen hellen Raum am Ende des Flurs. Marc möchte sich an diesem Tag Ende Mai ein Pikachu-Tattoo stechen lassen. Schon als Kind begeisterte sich Marc für Pokémons und spielte mit seinem älteren Bruder auf dem gemeinsamen Gameboy. Für das Motiv hat er sich nun entschieden, „weil man Pikachu doch als eine Art süßen Kindheitshelden sehen kann, der eigentlich immer gekämpft hat und jetzt sehr symbolisch einen Molotowcocktail in der Hand hält“.

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Marcs Pikachu-Tattoo: Pikatchu mit rotem Tuch vor dem Mund und einem Molotowcocktail in der Hand
Marcs finales Pikachu-Tattoo. Foto: Miriam Mair

Der Student hat das Gefühl, „dass den Leuten nicht bewusst ist, dass man gemeinsam mehr erreichen kann“. Dieses Motto treibt ihn auch an, regelmäßig auf Demos gegen rechts zu gehen. Er ist der Meinung, dass es oft die ziemlich kleinen Gesten seien, die helfen können – so auch sein Tattoo-Motiv gegen rechts. Marc verlässt das Studio mit einem „doppelt guten Gefühl“ – einem neuen Tattoo und einer Spende für einen guten Zweck.

Herzensangelegenheit

Das Studio Immer & Ewig Tattooing ist aber nicht das einzige Tattoostudio, das bei der Aktion mitmacht. Auch Wolpertink von Petty ist dabei. Betritt man das kleine, gemütliche Studio, sieht man eine Fensterfront mit unterschiedlichen Motiven, die Petty selbst gezeichnet hat. Die Motive dienen dabei als Inspiration für ihre Kund*innen und stehen für Pettys Reise als Tätowiererin. Jedes Motiv, was in der Fensterfront hängt, hat sie tätowiert.

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Eine Tätowiererin in ihem Studio.
Tätowiererin Petty in ihrem Studio Wolpertink. Foto: Rebecca Vaneeva

Petty ist 41 Jahre alt und kommt ursprünglich aus München. Im Oktober diesen Jahres wird ihr Studio fünf Jahre alt. Petty nimmt zum ersten Mal an der Aktion teil. Letztes Jahr habe sie es leider verpasst, erzählt sie. Damit der Teilnahme in diesem Jahr nichts im Weg steht, hat sie letztes Jahr am selben Tag gesagt: „Ich mache dieses Jahr mit.“

Das T-Shirt mit dem Aufdruck „Kein Bock auf Nazis” trägt sie an diesem Tag. Für Petty ist die Teilnahme eine Herzensangelegenheit. Neben ihrem Beruf bleibt ihr leider wenig Zeit, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Der Aktionstag ist somit „die ideale Gelegenheit, das Tätowieren und das Engagement gegen Rechtsextremismus zu kombinieren”, sagt sie. Petty tätowiert seit acht Jahren. Ihr Lieblingsspruch: „Ich zeichne schon, seit ich einen Stift halten kann.“ Zum Tätowieren kam sie durch einen befreundeten Tätowierer. Schon beim ersten Versuch entdeckte er Pettys Talent und sagte zu ihr: „Jo, ist gebongt.“ Nach diesem Erfolgserlebnis fasste Petty den Entschluss, sich selbstständig zu machen.

Endlich ist es soweit

Um zwölf Uhr ist es so weit: der erste Kunde ist da. Er heißt Henrik und wartet schon seit letztem Jahr auf den Aktionstag. Privat engagiert er sich gegen Rechtsextremismus auf Demos und Konzerten, dort hat er schon mehrfach die Leute von „Kein Bock auf Nazis“ getroffen, erzählt er. Auf die Aktion ist er übers Internet aufmerksam geworden und hat so das Studio von Petty entdeckt.

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Tattoo Initialen KBAN
Hendriks Tattoo mit den Initialen des Vereins. Foto: Rebecca Vaneeva

Heute lässt er sich am Knöchel ein Motiv tätowieren, was nur im Rahmen des Aktionstages angeboten wird: zwei sich kreuzende Linien mit den Initialen des Vereins Kein Bock auf Nazis. Nachdem Henrik mit der Platzierung einverstanden ist, macht Petty ihre Maschine an und tunkt die Nadel in die Tinte. Schon nach zehn Minuten ist das Tattoo fertig und Henrik geht zufrieden aus dem Studio.

Kleine Geste, große Wirkung?

Melanie, Marc, Henrik und viele weitere haben sich an diesem Tag ein Tattoo mit politischer Aussage stechen lassen, „ein Statement für immer”, wie Joshi es zusammenfasst. Doch ob ein einzelnes Tattoo etwas ändern kann, wer weiß das schon genau. Melanie will sich auf jeden Fall, „wenn es schlimmer wird, einfach noch mehr Tattoos davon stechen lassen“.

Miriam Mair, Jahrgang 2001, reiste durch ganz Schweden, um das beste Zimtschneckenrezept des Landes zu finden. Dabei stolperte sie fast über einen Elch und ging freiwillig bei minus 20 Grad baden. In Passau studierte sie Journalistik und Strategische Kommunikation. Während eines Praktikums beim ZDF machte Miriam verschiedene Straßenumfragen. Auch PR reizte sie, bis sie eine Eiscreme vermarkten sollte, die sie nicht mochte. Da war klar: Sie wird Journalistin. Schon als Kind wollte sie werden wie Karla Kolumna, die rasende Reporterin. Das beste Zimtschneckenrezept kreierte Miriam übrigens schlicht selbst. Kürzel: mai

Vorträge über jüdisches Leben, Podcast- und Fernsehauftritte in der “Tagesschau” sowie Shakehands mit Robert Habeck – Alltag für Rebecca Vaneeva, Jahrgang 2001. Ihre jüdischen Wurzeln spielen für Rebecca eine große Rolle, daher ist die gebürtige Hamburgerin auch Vorsitzende in einem jüdischen Studierendenverband. Wenn sie mal nicht ehrenamtlich unterwegs ist, liest Rebecca die Thesen von Pierre Bourdieu, singt die Songs ihres Lieblings-„Friends“-Charakters Phoebe oder backt ihre berühmten Hefe-Zöpfe. Nach einem Studium in Sozialökonomie und Erfahrungen vor der Kamera wagt Rebecca jetzt den Blick hinter die Kulissen des Journalismus – die perfekte Gelegenheit, um den Kontakt zu Robert Habeck aufzufrischen.
Kürzel: rev

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