Als andere noch nicht wussten, was Bio ist, gründete Anne Faika ihren ersten Öko-Markt. Heute führt sie seit 35 Jahren mehrere Wochenmärkte in Hamburg. Gemüse ist gefragt, aber das Angebot wird immer kleiner.
Immer wieder bricht die Morgensonne durch die Wolkendecke und strahlt den Blankeneser*innen ins Gesicht. Es ist noch frisch, trotzdem liegt schon der Sommer in der Luft. Wer die Bahnhofstraße im Stadtteil an der Elbe in Richtung Marktplatz entlangläuft, kommt bereits an mehreren Erdbeerständen vorbei, die mit süßem Duft Kundschaft anlocken.
Wer seinen Spaziergang fortführt und bis zum Marktplatz in Blankenese läuft, der findet noch mehr frische Lebensmittel. Unterschiedliche Stände, die ökologische und nachhaltige Produkte verkaufen, sind u-förmig angeordnet. Unter der Markise eines Feinkoststandes steht Anne Faika.
Sie trägt eine rosa Regenjacke und lächelt freundlich. Ihren schwarzen Lederrucksack setzt sie nicht ab. Auch nicht, als sie sich auf einem Stuhl am Hochtisch niederlässt.
Durch Tschernobyl-Katastrophe zum Öko-Wochenmarkt
Im Juni 1990 – also vor 35 Jahren – gründete Faika ihren ersten Wochenmarkt. Damals hieß ihr Konzept „Ökowochenmarkt“, denn sie wollte ausschließlich Händler*innen mit ökologisch und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln auf ihrem Markt sehen. Heute betreibt Faika mit ihrem Unternehmen „Food Lovers Market“ elf Wochenmärkte in Hamburg, und das über die ganze Stadt verteilt. Im Gegensatz zu städtischen Märkten, wie etwa dem beliebten Isemarkt in Eppendorf, organisiert Faika ihre Wochenmärkte und Standorte selbst, sie nutzt lediglich die Flächen der Stadt.
Bio- oder Ökosiegel sind heute keine Voraussetzung mehr, um auf einem von Faikas Märkten zu verkaufen. Zwar würden die Händler*innen größtenteils biologisch und nachhaltig erzeugte Lebensmittel verwenden, sagt Faika, sie will aber auch offen für neue Standkonzepte, wie moderne Foodtrends sein. Auf ihrem Food Truck Market in der HafenCity beispielsweise gibt es für Kund*innen dänisches Smørrebrød und australische Burger. Dabei, sagte sie, achte sie bei der Auswahl der Stände weiterhin auf Qualität.
Den ersten Wochenmarkt veranstaltete Faika in Nienstedten, Auslöser war die historische Umweltkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. „Auf diesem Weg bin ich auf die radioaktive Belastung in Lebensmitteln aufmerksam geworden, und dann darüber hinaus auf die Belastung mit Pestiziden und Fungiziden.“ Für ihre Kinder wünschte sie sich damals gesunde und unversehrte Lebensmittel. Zum damaligen Zeitpunkt war die Unternehmerin schwanger mit ihrem Sohn, ihre Tochter war zwei Jahre alt. Sie und ihr Mann sahen Handlungsbedarf. Biolebensmittel waren aber damals noch nicht so weit verbreitet. „Bio ist ja heute zertifiziert und staatlich kontrolliert, das war 1990 nicht der Fall“, sagt Faika.
Bio-Siegel sichern Standards

Mehr Infos zu den Siegeln gibt es hier: EU- und Deutschland, Bioland, Demeter
Während ökologisch erzeugte Lebensmittel in den 1980er-Jahren noch ein Nischenprodukt für besonders engagierte Konsument*innen wie Faika waren, sind Bioprodukte heute verbreiteter. Damals, so Faika, hätten vor allem „Ökos mit Stricksocken und -pullovern und langen Haaren” in kleinen Bioläden eingekauft. Seitdem hat sich der Markt für Biolebensmittel kontinuierlich entwickelt.
So wurde im Jahr 2001 ein staatlich kontrolliertes Bio-Siegel eingeführt. Das Siegel kennzeichnet Produkte, die mindestens den Anforderungen der EU-Öko-Verordnung entsprechen. So muss in der ökologischen Landwirtschaft, sowohl beim Pflanzenanbau als auch in der Tierhaltung, ohne chemische-synthetische Pestizide, Kunstdünger oder Gentechnik gearbeitet werden.
109.083 Produkte sind bisher in der Bio-Siegel-Datenbank registriert, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft betrieben wird. Für Verbraucher*innen soll das Siegel Transparenz und eine verlässliche Orientierungshilfe schaffen. Heute kaufen laut Erhebungen des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft 97 Prozent der deutschen Haushalte “manchmal” Bio-Lebensmittel. Dennoch bleibt der Bio-Anteil am Gesamtumsatz mit Lebensmitteln gering. 2023 lag dieser bei nur etwa 6,3 Prozent.
Auch die Bezeichnungen „Öko“ und „aus kontrolliert biologischem Anbau“ unterliegen europaweit einem gesetzlichen Schutz. Sie dürfen dem Umweltbundesamt zufolge nur verwendet werden, wenn die Produkte den Vorgaben der EG-Öko-Verordnung entsprechen und regelmäßig von unabhängigen Öko-Kontrollstellen zertifiziert werden. Zusätzlich zum staatlichen Bio-Siegel existieren verschiedene private Verbandssiegel wie etwa Bioland oder Demeter, die oft strengere Kriterien an den Anbau und die Verarbeitung stellen als die EU-weiten Mindeststandards.
Im vergangenen Jahr stieg der Um- und Absatz von Bio-Lebensmittel laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erneut um 5,7 Prozent im Vergleich zu 2023. Der Gesamtumsatz lag somit bei rund 17 Milliarden Euro und erreichte eine neue Rekordsumme. Im Vorjahr 2023 waren es mit knapp 16 Milliarden noch eine Milliarde Euro weniger.

Die Qualität hat ihren Preis
Mangels Verfügbarkeit von Bio-Lebensmitteln hat Anne Faika das Thema in den Achtzigern jedoch selbst in die Hand genommen. Gemeinsam mit vier anderen Familien gründete sie noch 1986 eine Einkaufsgemeinschaft – ein umständlicher Weg, sich und die Kinder mit Lebensmitteln zu versorgen. „Einmal in der Woche haben wir für fünf Familien bestellt. Die Bestellungen mussten wir alle per Telefon aufnehmen”, berichtet sie. “Ich habe dann alles handschriftlich aufgeschrieben und immer nachgefragt: Was möchtest du?“ Die Bestellungen der Familien habe sie dann auf einer großen Liste gesammelt. Wenn eine Familie fünf Kilo, eine zwei Kilo und eine drei Kilo Kartoffeln haben wollte, bestellte Faika zehn Kilogramm Kartoffeln bei den Höfen. Diese lieferten die Produkte auch so an, die Familien mussten händisch alle Lebensmittel abwiegen und aufteilen.
„Freitagnachmittag war immer die Bude voll und Kinder wuselten rum, ich wurde fast wahnsinnig“, erinnert sich Ehemann Gerhardt Faika. Diese Art einzukaufen war für die junge Familie damals allerdings schnell nicht mehr tragbar, der Aufwand einfach zu groß. Einige Jahre später, im Juni 1990, verkauften die ersten Höfe ihre ökologischen Lebensmittel auf Faikas erstem Markt in Nienstedten.
Heute richten sich Wochenmärkte wie die von Anne Faika vor allem an Menschen mit höherem Einkommen oder einem besonderen Anspruch an Frische und Regionalität. Laut Erhebungen von Statista kaufen rund 28 Millionen Personen in Deutschland für den eigenen Haushalt Lebensmittel auf Wochen- oder Bauernmärkten ein. Dennoch liegen die Ausgaben der deutschen Haushalte für Lebensmittel mit 14,2 Prozent des Einkommens im europäischen Vergleich am unteren Ende.
Das bemerkt Faika auf ihren Märkten allerdings eher weniger – ihre Kundschaft gehöre nicht zu denjenigen, die unter Krisen wie steigenden Energiepreisen besonders leiden, sagt sie. „Das merken Menschen, die wenig Geld haben, proportional natürlich deutlich stärker.“
Bio-Lebensmittel sind heute weit verbreitet
Bio-Lebensmittel kann man heute in jedem Supermarkt, Discounter oder Drogeriemarkt kaufen. Wer etwa im Discounter einkauft, findet heute ein breites Sortiment an zertifizierten Bio-Produkten zu vergleichsweise günstigen Preisen. Entsprechend hoch ist der Umsatz: Discounter machten 2024 27 Prozent des gesamten Bio-Umsatzes aus. Noch stärker vertreten sind nur die Supermärkte und Drogerieketten, die zusammen knapp 61 Prozent des Marktes bedienen. Dort kaufen breite Bevölkerungsschichten laut Branchenreport des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft regelmäßig ein, auch weil viele Bio-Produkte als Eigenmarken günstiger angeboten werden. Wochenmärkte, Hofläden, Bäckereien oder Reformhäuser machen zusammen nur etwa zwölf Prozent des Bio-Umsatzes aus.
Die Händler*innen auf ihrem Markt kennt Faika gut. Sie überprüft die Stände, bevor sie auf dem Markt ausstellen können. Dafür führt sie lange Gespräche mit den Standleiter*innen und Händler*innen, besucht die Höfe und macht sich ein eigenes Bild vom Betrieb. Die Feinkostverkäuferin, die ihr heute morgen den Kaffee bringt, nennt Faika beim Vornamen.
Gestartet ist Faika mit einem Markt, heute sind es insgesamt elf Wochenmärkte, die sie gemeinsam mit ihrer Familie organisiert und betreibt.
Immer weniger Bio-Gemüsestände auf Wochenmärkten
Die Märkte, die Faika seit nun 35 Jahren betreibt, stehen jedoch unter Druck. Das liege nicht an mangelnder Nachfrage, sagt sie. Diese sei immer noch hoch. Das Problem liege eher bei den Obst- und Gemüsebäuer*innen, die immer seltener auf ihren Wochenmärkten verkaufen wollen. „Wir haben jetzt schon Märkte, in Sankt Georg zum Beispiel, da gibt es kein Gemüse mehr.“
Grund für das Verschwinden vieler Obst- und Gemüsestände auf Wochenmärkten seien Personalprobleme, erklärt Sybille Meyer, Geschäftsführerin des Bauernverbands Hamburg. Gerade der Mindestlohn erschwere den Landwirten die Wirtschaftlichkeit. Und dennoch sei kaum Personal zu finden, das für dieses Geld arbeiten möchte und das zu den Bedingungen. „Jeden Tag be- und entladen, Auf- und Abbau des Marktstandes, und die Wetterbedingungen“, das sei herausfordernd, so Meyer.
Gleichzeitig zeigen die Daten des Branchenreports des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft, ein Verband der Erzeuger*innen, Verarbeiter*innen und Händler*innen ökologischer Lebensmittel in Deutschland, über die letzten Jahre einen klaren Trend. Die gesamte Menge des Bio-Obsts und -Gemüses entwickelt sich rückläufig. Schuld an diesen Einbußen seien wiederholte, unerwartete Veränderungen des Wetters, die zu Ernteverlusten führten.
Auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bestätigt: Ungünstige Witterungsverhältnisse haben zu Ernteausfällen geführt. Zusätzlich stecke der Bio-Anbau in einem anhaltenden Strukturwandel. Gestiegene Kosten für Personal, Betriebsmittel und Energie bei gleichzeitig stagnierenden Preisen machen besonders arbeitsintensive Kulturen wie Spargel und Erdbeeren wirtschaftlich unattraktiv. Besonders auffällig ist dies im direkten Wettbewerb zum konventionellen Gemüsemarkt.
Mittlerweile ist es Vormittag geworden, das Ehepaar Faika spaziert gemütlich über den Food Lovers Market in Blankenese, die Sonne scheint wieder. Anne Faika und ihr Mann sind selbst treue Kund*innen auf ihren Märkten. An einem Stand mit Äpfeln bleiben die beiden stehen. Hier in Blankenese gibt es noch einen Stand, der Obst und Gemüse anbieten. Faika probiert genüsslich einen aufgeschnittenen Apfelschnitz. Mit genau der Qualität, die er und seine Frau sich weiterhin für ihre Märkte wünschen.

Doch wie geht es mit den Food Lovers Märkten weiter? Tochter und Sohn der Faikas sind mittlerweile lange erwachsen, im Familienunternehmen helfen sie häufig aus, berichtet Faika. Als Hauptberuf werde jedoch keiner von beiden die Märkte weiterführen, so Anne Faika. Der Personalmangel und der Rückgang von Ständen mache dem Unternehmen Schwierigkeiten. Sie sagt daher: “Deswegen kann man eigentlich nur die Märkte und Standorte, die da sind, möglichst gut am Leben halten.”