Die Hosenbeine einer Frau in Jeans vor einem Tisch mit einem Banner mit der Aufschrift
Die Initiative „Deutschland, wir müssen reden!" auf dem Dag-Hammerskjöld-Platz in Hamburg. Foto: Benjamin Possin

In Anlehnung an Charlie Kirks Universitätsbesuche veranstalteten rechte Influencer*innen am Samstag eine Debatte vor dem Bahnhof Dammtor in Hamburg. Miteinander ins Gespräch kamen vor allem die Rechten. 

Am 10. September wurde der rechtsextreme Aktivist Charlie Kirk bei einer Veranstaltung an einer Universität in Utah erschossen. Etwa sechs Wochen später lehnt sein Foto auf dem Boden an einem Lautsprecher vor dem S-Bahnhof Dammtor in Hamburg. Es regnet. Neben ihm sitzen die rechten Influencer*innen Michelle Gollan und Feroz Khan. Sie wollen reden. Mit Deutschland. Ihre Initiative hat sich große Ziele gesteckt. Sie wollen dabei helfen, „politische Gräben zu überwinden und geistige Blockaden zu lösen”.

Charlie Kirks Veranstaltungen an Universitäten sind dafür das Vorbild. Vor dem Podium steht ein Camping-Stuhl für ihre spontanen Gesprächspartner*innen. Immer wieder tropft Wasser vom Dach des weißen Zeltes auf den Boden, auf die mitgebrachten Kameras, auf Kirks gerahmtes A3-Portrait. Manche tragen Schirme, andere haben die Kapuzen ins Gesicht gezogen. Der Versuch, ein weiteres Zelt für die Teilnehmenden aufzubauen, wurde von der Polizei unterbunden. Also steht man weiter im Regen. 

Zwei Demos stehen sich gegenüber. Im Hintergrund sieht man ein Banner "Siamo tutti antifascisti". Im Vordergrund sind viele Regenschirme und ein weißes Zelt zu sehen.
Die Versammlungen stehen sich gegenüber. Foto: Benjamin Possin

Studentischer Protest

Etwa 40 Meter entfernt, vor einer Bronzeskulptur, die seit 2015 an die Kindertransporte aus Nazi-Deutschland erinnert, hat sich ein Gegenprotest gebildet. Ein Bündnis aus dem AStA der Uni Hamburg, Grüner Jugend und Jusos hat zur Kundgebung aufgerufen. Von dort schallen Irie Révoltés, Die Ärzte und Ikkimel über den Platz. „Wir wollen, dass diese Veranstaltung nicht störungsfrei ablaufen kann, da viele Leute das nicht auf den ersten Blick erkennen, was für Messages da propagiert werden”, sagt Paul Strothmann, Co-Vorsitzender der Jusos Hamburg. Ein Banner schirmt die Versammlung zu der Gegenseite ab. „Siamo tutti antifascisti”. 

Feroz Khan hat sich einen ganzen Ordner vorbereitet für die Debatten, die er heute führen will. Er sagt, er wolle den Austausch fordern, andere Perspektiven zeigen. Etwa auf Migration oder die „Theorie des menschengemachten Klimawandels”. Sowohl Khan als auch Gollan sind bekannte Gesichter der rechten Medienwelt. Beide produzieren Videocontent für hunderttausende Follower*innen. Zum Stand auf den Dag-Hammerskjöld-Platz haben es etwa 50 Menschen geschafft. Ein Streamer überträgt die ganze Veranstaltung live, vier Kameras und zwei GoPros nehmen jeden Winkel der improvisierten Bühne auf. Die vierstündige Aufzeichnung hat nach 2 Tagen fast 10.000 Aufrufe. Der Titel des Livestreams beschwört trotzdem Großes: „Historisch! TurningPoint von Charlie Kirk jetzt in DE!” 

Erste Kontroverse durch Passanten

Der erste Gesprächspartner ist ein junger Mann. Er habe nichts Kritisches zu sagen, er wolle ihnen seinen Respekt aussprechen. Der Zweite ordnet sich als rechts ein, der dritte ist Mitglied im AfD-Landesverband. „Ihr habt gesagt, ihr wollt eigentlich mit Leuten reden, die anderer Meinung sind, deswegen kann ich eigentlich nicht so viel sagen”, meint der Vierte. So geht es weiter.

Nach einer Stunde der erste größere Dissens: Jan-Olaf Lorenzen ist Mitglied bei den Grünen und denkt nicht, „dass die Ausländer an allem Schuld sind”. Er ist zufällig vorbeigelaufen. „Vieles sehe ich politisch anders, aber das ist ja das Interessante an einer Diskussion”, sagt er später. Das sei für ihn Demokratie. Eine halbe Stunde diskutieren sie über Migration. Feroz Khan bedankt sich bei ihm, es gibt Applaus. „Man müsste aus meiner Sicht noch faktenbasierter diskutieren”, sagt Lorenzen später. „Man kann ja nur mit den Menschen diskutieren, was sie am Ende glauben, das weiß ich nicht.”  

Michelle Gollan vertritt die Meinung, dass Transgeschlechtlichkeit eine psychische Krankheit sei und spricht in ihrem Podcast über einen vermeintlichen Völkermord an den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch Feroz Khan spricht auf X vom deutschen „Schuldkult” und erzählt in einem Podcast, illegale Migration habe dazu geführt, dass „alle psychisch Kranken und Lahmen sich in Deutschland auskurieren auf Kosten der hiesigen Steuerzahler.” In seinem Ordner hat er Beispiele von Straftaten durch Migrant*innen gesammelt. 

Zwei Menschen stehen im Regen mit dem Rücken zur Kamera vor einer Fahne mit dem Aufdruck "Deutschland, wir müssen reden!"
Zwei Zuschauer der Diskussion. Foto: Toni David

Natalie und Charlotte sind beste Freundinnen und gemeinsam gekommen. Charlotte meint, man würde sie hier wohl eher als „links-grün versifft” betiteln, Natalie hat AfD gewählt. Es sei wichtig, tolerant gegenüber anderen Haltungen zu sein, nicht aber bei „Hass und Hetze”, meint Charlotte. „Wenn jemand offensichtlich rechtsextreme Bestrebungen hätte, wäre das nicht meine Veranstaltung”, sagt Natalie. Dies sei offensichtlich nicht der Fall. 

Holocaustleugner zu Besuch

Später setzt sich ein hagerer Mann breitbeinig in den Campingstuhl. „Mein Name ist Nikolai und ich rede auch gerne über Themen, die mich bewegen.” Heute möchte er über Beschneidungen sprechen. Was hier nicht ersichtlich ist: Der Mann mit der charakteristischen Schiebermütze ist Nikolai Nerling, ehemals bekannter Videoblogger, verurteilt wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung. Ob Khan und Gollan ihn erkennen, bleibt unklar. 

Einmal will Michelle Gollan die Linken befragen. Mit Kameramann im Schlepptau geht sie in die Gegendemo. Es kommt zu Rangeleien. Auf dem Rückweg schlägt ihr ein Demonstrant das Mikrofon aus der Hand. Die Polizei greift ein und trennt beide Lager. Später zieht sich die Polizei zurück. Es gibt keine Absperrung mehr, aber beide Kundgebungen bleiben auf ihren zugewiesenen Plätzen. „Machen wir uns nichts vor: Hier wird niemand die Gegenseite durch Argumente überzeugen”, sagt ein Polizist. Ab 17 Uhr zerstreuen sich die beiden Lager, der „historische” Tag ist vorbei.

Benjamin Possin, Jahrgang 2002, erzählt gern Geschichten, das hat ihn zu seinem Lieblingshobby gebracht: Pen & Paper. Mittlerweile hat er um die 300 Würfel angesammelt. Wenn er nicht am Spieltisch sitzt, diskutiert er gerne im Netz oder verliert sich im Digitalisieren von alten Dias. Seine Liebe zu Wikipedia hat den Spiesheimer dazu geführt, dass er bereits einen Artikel vertont hat. An der HAW studierte Benni Medien und Kommunikation und arbeitet aktuell in einem Forschungsprojekt zu Datenvisualisierungen. Bei STRG_F moderierte er während eines Praktikums einen Film zum Thema “Jugendgewalt auf TikTok”. Beruflich sind die Würfel noch nicht gefallen: Datenjournalismus ist aber eine Option. Kürzel: bip

Toni David wurde am letzten Tag des Jahres 1999 in Hannover geboren, ihre Eltern bildeten Clowns aus. Als Vegetarierin an einer Wursttheke zu arbeiten, war für Toni trotzdem kein Witz. Die Stadt „ohne Akzent“ verließ sie 2020 Richtung Hamburg für ihr Politikstudium. Würde sie einen Film produzieren, behandelte dieser die absurden Datingsituationen in einer Großstadt. Nischenthemen sind ihr wichtig: In einem Radioprojekt sprach Toni zum Beispiel über alternative Bestattungen. Nicht lachen kann sie über Mietwucher und Rassismus im Journalismus.

Kürzel: ton

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