
Im Hamburger Artspace M.Bassy kommen Schwarze Künstler*innen zusammen, um Kunst zu schaffen und sich gegenseitig zuzuhören. Mit dem Gesangsworkshop „Mehrstimmm.Ich“ zeigt der Sänger FAYIM wie bestärkend es sein kann, wenn Menschen laut sein dürfen.
Ein schlichtes Namensschild: M.Bassy. Wer hier zum ersten Mal klingelt, könnte meinen, es sei eine Privatwohnung. Doch schon der Name verweist auf mehr: „Embassy“, die Botschaft – ein Schutzraum, ein Ort für Austausch, ein kulturelles Zuhause inmitten der Stadt. Hohe Decken, knarrende Dielen, warmes Kerzenlicht; statt steriler Veranstaltungsästhetik entsteht hier etwas Intimeres. Der Workshopraum ist vorbereitet: ein Stuhlkreis, ein Keyboard, einige kühle Flaschen Wasser auf dem Tisch. Im Hintergrund erklingen erste Stimmübungen. FAYIM bereitet sich auf den heutigen Gesangsworkshop vor.
Ein Raum für Begegnung und Zugehörigkeit
Nach und nach treffen die Teilnehmenden ein. Manche kommen allein, andere in kleinen Gruppen. Einige sind zum ersten Mal hier, andere kennen den Ort bereits. M.Bassy ist mehr als ein Projektraum. Es ist ein Raum für Begegnung und Zugehörigkeit.
Wenig später sitzen zwölf Menschen im Kreis. Alle haben eine Hand auf dem Bauch. Sie atmen langsam und tief ein und wieder aus. Noch wird nicht gesungen, bevor die Stimme ertönt, muss erst der Atem kommen. Die Augen der Teilnehmenden sind geschlossen oder blicken konzentriert ins Leere. Die ersten Töne entstehen im Ausatmen: ein Brummen, ein Summen, ein kehliger Laut. Manche stimmen selbstbewusst ein, andere zögern. Jemand lacht leise, jemand anderes seufzt. Es ist kein gewöhnlicher Gesangsworkshop: hier geht es nicht um Perfektion. Es geht darum, seine Stimme kennenzulernen und zu zeigen.
Im Zentrum des Kreises steht FAYIM. Mit seinen Händen fährt eine Welle durch die Luft und zeigt, wann sich die Stimme hebt und senkt. Nicht alle im Raum haben schon gleich viel Erfahrung mit Gesang. Einige sangen bereits in ihrer Freizeit, andere im Chor, und für einige ist es das erste Mal, dass sie laut Singen.
Musik als Ausdruck von Widerstand und Gemeinschaft
Der Gesangsworkshop war Teil der Ausstellung „Beat the Silence“. Ziel der Ausstellung war es Musik als Ausdruck von Widerstand und Gemeinschaft in den Fokus zu rücken.

Bisrat Negassi, die Leiterin von M.Bassy, sagt, dass Künstler*innen aus afrikanischen Ländern und der Diaspora in Hamburg oft keinen festen, sicheren Raum hätten, um ihre Kunst zu präsentieren. Die etablierten Institutionen seien häufig schwer zugänglich oder nicht auf die Bedürfnisse und Perspektiven von BPOC zugeschnitten. Aus diesem Grund gründete sie im Jahr 2016 M.Bassy als einen Non-Profit-Verein, den sie und ihr Team neben ihren eigentlichen Jobs betreiben. Das Projekt ist stark auf Fördergelder angewiesen – alles, was darüber hinausgeht, wird aus der eigenen Tasche finanziert. Mit dem Verein, will Negassi eine Lücke schließen und einen Ort schaffen an dem sich Künstler*innen und Besucher*innen sicher und willkommen fühlen.
„Ich darf klingen. Ich darf laut sein.“
Diese Idee prägt auch den Workshop „Mehrstimmm.Ich“. „Es geht nicht darum, richtig zu singen“, sagt der Sänger und Gesangscoach FAYIM, der den Workshop leitet. „Es geht darum, sich Raum zu nehmen. Und zu spüren: Ich darf klingen. Ich darf laut sein.“ Viele der Teilnehmenden erleben hier zum ersten Mal einen geschützten Raum, in dem ihre Stimmen nicht bewertet, sondern einfach gehört werden. Solche Räume seien selten, erklärt FAYIM, besonders in einer Kulturlandschaft, in der die Stimmen von BPOC- und queeren Personen nach seiner Wahrnehmung häufig überhört oder unsichtbar gemacht werden.

FAYIM stammt selbst aus Hamburg, lebt heute in Berlin und ist seit über 15 Jahren als Front-, Background- und Studiosänger aktiv. Am 4. Juli 2025 veröffentlichte er seine erste EP „Fokus“, mit der er nach vielen Jahren im Hintergrund nun seine eigene Stimme in den Mittelpunkt stellt.
Als queere, Schwarze Person kennt er Erfahrung, unterrepräsentiert zu sein selbst. Sie war mit ein Grund dafür, dass er vor etwa einem Jahr begann, Gesangsworkshops zu geben „Ich glaube, es ist wichtig, Räume zu schaffen, die verstehen, warum manche Menschen Hemmungen haben, laut zu singen oder sich zu zeigen“, sagt er. Viele hätten gelernt, sich aus Angst, bewertet zu werden zurückzunehmen. Umso bedeutsamer seien Safe Spaces wie dieser, in denen Stimmen wie sie sind Raum finden dürfen.
Das war nur der Anfang

Zum Abschluss des Workshops stehen alle erneut im Kreis. Eine summende Melodie erfüllt den Raum. Einer nach dem anderen tritt aus der Gruppe hervor. Jede Person erhält einen Moment für sich: um zu singen, gehört zu werden und im Mittelpunkt zu stehen. Es gibt keinen festen Text, FAYIM gibt nur eine einfache Anweisung: „Singt, was euch in den Kopf kommt!“ Und so beginnt eine Person nach der anderen zu singen: vom morgendlichen Brotschmieren, vom Film am Vorabend oder davon, wie bestärkend der Workshop für sie war. Die anderen hören zu, stimmen in den Refrain ein und wiederholen die Worte. Es ist ein Moment des Vertrauens. Niemand wird verurteilt, niemand ausgelacht. Stattdessen gibt es Zuspruch, Applaus und ein Gefühl von Verbundenheit.
In der abschließenden Feedbackrunde wird deutlich: Die Idee des Workshops ging auf. Mehrere Teilnehmende erzählen, wie selten sie die Erfahrung machen, in einem Raum singen zu können, in dem sie sich wirklich sicher fühlen. In vielen anderen Kontexten halten sie aus Angst, bewertet zu werden, oder weil sie sich als Schwarze Minderheit nicht repräsentiert sehen ihre Stimmen zurück. Auch finanzielle Barrieren werden thematisiert: Gesangsunterricht sei oft schlicht zu teuer.
Spontan entscheiden sich die Teilnehmenden, eine WhatsApp-Gruppe zu gründen. Sie wollen in Kontakt bleiben und sich wieder treffen. Der Workshop war mehr als eine einmalige Veranstaltung. Er war ein Anfang.

Vivian Maxim Calderon, Jahrgang 1998, wollte als Kind Filmregisseur werden. Seine Ausrüstung damals: eine Spielzeugkamera. Mittlerweile ist er professioneller unterwegs. Er erstellte bereits ein Imagevideo für eine NGO in Kenia, berichtete über den Kult der Santa Muerte in Mexiko und arbeitete als Clubfotograf in Hamburg. Aufgewachsen in Bielefeld, studierte er Ethnologie an der Universität Hamburg. Bei der “Hamburger Morgenpost” schrieb er über steigende Dönerpreise, Mobilität und Cannabis Social Clubs. Sein Fokus liegt aber auf sozio-kulturellen Perspektiven, die gesellschaftlich oft untergehen. Kürzel: viv