Eine Frau mit einer Kappe bedient eine Kaffeemaschine.
Mitarbeiterin Caroline Dähne bedient die Kaffeemaschine im Café. Foto: Miriam Mair

Menschen mit einer Beeinträchtigung werden häufiger aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Wie sich ein Hamburger Café für mehr Inklusion und Sichtbarkeit einsetzt.

„Das Theater öffnet wieder“, scherzt Mitarbeiterin Caroline und zieht um Punkt zehn Uhr die Vorhänge vor der Glastür auseinander. „Willkommen“, ruft Thomas, Mitarbeiter im Café, zu den ersten Kund*innen und schließt die Tür auf. Eine dunkle Holztür mit Glasfenstern trennt den Raum in der Seitenkapelle von der großen Hauptkirche St. Petri. Das Café in der St. Petri Kirche, das auch einfach so heißt, befindet sich nicht nur an einem ungewöhnlichen Ort, es hat auch ein ungewöhnliches Konzept.

Buzzer als Kommunikationsmittel

Das Touchpad einer Kasse wird bedient.
Zusammen mit Astrid bedient Thomas die Kasse. Foto: Miriam Mair

An der Kasse hinter dem Holztresen steht Thomas in Begleitung von Mitarbeiterin Astrid Petter und kassiert für eine Kundin und deren Tochter eine Tüte Gummibärchen ab. Neben der Kasse liegen vier verschiedene Buzzer in grün, gelb, orange und lila. Wenn Thomas den grünen drückt, fragt eine künstliche Stimme, ob die Frau mit Karte oder Bargeld bezahlen möchten. So kann Thomas einfacherer mit anderen kommunizieren. Wörter und Sätze zu bilden, das fällt ihm aufgrund seiner Beeinträchtigung schwer. Im hell gestrichenen Café unter dem Gewölbe der St. Petri Kirche bekommt er die Möglichkeit, einem gewöhnlicheren Arbeitsalltag nachzugehen. Denn das Café ist ein inklusives Café, in dem Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung arbeiten.

Verschiedenfarbige Buzzer liegen neben einer entsprechenden Anleitung.
Thomas nutzt die Buzzer zur Kommunikation. Foto: Miriam Mair

Inklusion im Arbeitsalltag

„Wir wollen den Menschen einen richten Arbeitsplatz geben”, betont Projektkoordinatorin Isa Vogel. Also nicht die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt. Seit der Eröffnungsfeier im März arbeiten in dem Café abwechselnd vier Menschen mit einer Behinderung. Pro Schicht werden sie von zwei Mitarbeiter*innen der Alsterdorf Stiftung unterstützt. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der St. Petri Kirche und der Tagesförderung der Alsterdorf Stiftung.

Schild mit Aufschrift Kaffe und Kuchen.
Kaffee und Kuchen in der St. Petri Kirche. Foto: Miriam Mair

Vogel hebt hervor, dass Menschen mit einer Behinderung „ein Teil der Gesellschaft sind und in ihrem Umfang genauso etwas leisten können.“ Sie dürften aufgrund ihrer Behinderung nicht ausgeschlossen werden.

Integration auf dem Arbeitsmarkt – immer noch ein Problem

In Deutschland leben 7,9 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. Dennoch ist die Integration von Menschen mit einer Behinderung in den Arbeitsalltag noch sehr schwierig: Die Erwerbsquoten von Menschen mit einer Schwerbehinderung im Vergleich zu Menschen ohne Einschränkung weichen laut einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2024 immer noch stark voneinander ab.

Doch woran liegt das?

Die Gründe dafür sind laut Dieter Röh vielfältig. Er ist Professor für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Rehabilitation und Teilhabe und Beauftragter für die Belange behinderter und chronisch kranker Studierender an der HAW Hamburg.

Einige können aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht arbeiten. Ein großer Teil scheitert jedoch oft an baulichen oder organisatorischen Barrieren. Beispielsweise gibt es keine Rampe für den Rollstuhl oder keine flexible Anpassung der Arbeitszeiten. Zudem gebe es auch „psychosoziale Hürden“. Hier gehe es laut Röh um „die Frage nach Anerkennung und Integration ins Team“. Röh ist der Meinung, dass sich in dieser Hinsicht schon viel verändert habe, etwa durch das Angebot von Arbeitsassistenzen, die einzelne Arbeitsvorgänge unterstützen, sofern die Person dazu nicht selbst in Lage ist. Ein Ausschluss von Menschen mit einer Behinderung sei trotzdem weiterhin in der Gesellschaft bemerkbar.

„In der Begegnung mit Menschen mit einer Beeinträchtigung kann vieles erstmal fremd wirken, sodass den Menschen sofort ein Stempel aufdrückt wird“, erklärt Röh.

Menschen mit Behinderung erfahren oft Diskriminierung

Die von Röh beschriebenen Diskriminierungserfahrungen spiegeln sich auch in einer Studie der Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2024 wider. Menschen mit einer Behinderung geben am zweithäufigsten an, Diskriminierung zu erfahren.

Zusätzlich ist die gezahlte Aufwandsentschädigung gering, weshalb seit längerem über die Einführung eines Mindestlohns für Menschen mit einer Beeinträchtigung diskutiert wird. Auch Röh und Vogel würden einen Mindestlohn in Werkstätten befürworten.

Auch im Café sind noch Hürden zu bewältigen

Obwohl das Konzept des Cafés auf Inklusion ausgelegt ist, steht Vogel immer wieder vor Hürden: Normalerweise endet eine Tagesförderung, die ein Angebot zur Tagesstrukturierung und sozialer Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit einer Behinderung ist, um 15 Uhr – das Café hat jedoch bis 18 Uhr geöffnet. Somit können die Arbeitenden nicht vom Fahrdienst mitgenommen werden, sondern müssen in der Lage sein, selbständig nach Hause zu kommen.

Trotz kleiner Katastrophen überwiegt die Freude am Arbeitsplatz

Eine Frau mit Brille sitzt an einem Tisch.
Mitarbeiterin Caroline Dähne im Café. Foto: Miriam Mair

In der Zwischenzeit im Café: Thomas zählt langsam das Wechselgeld ab, ein älterer Mann bestellt bei Caroline einen Cappuccino. Während der Kaffee in die Tasse läuft, gießt Caroline Milch in ein Metallkännchen und beginnt mit dem Aufschäumen. Plötzlich spritzt heißes Wasser und die Milch läuft über. „Warum geht das nicht?“, seufzt Caroline verzweifelt. Mitarbeiterin Justine, von allen nur Juju genannt, eilt herbei. Zusammen räumen sie auf und bereiten den Cappuccino langsam nochmal gemeinsam zu. In Zukunft wollen sie auf die Maschine kleine Zettel kleben, damit Caroline die Abläufe einfacher fallen. Die Filterkaffee-Maschine sei einfacher zu bedienen, „da muss man nur Wasser reinkippen, Pulver einfüllen und dann draufdrücken“, bemerkt Caroline.

Trotz kleiner Missgeschicke findet Caroline ihre Arbeit hier sehr gut. Seit einem Jahr wohnt sie in Hamburg, seit April arbeitet sie im Café. Bei ihrer vorherigen Arbeit langweilte sie sich, denn sie musste jeden Tag Wäsche zusammenlegen. Im Café mag sie, „dass man sich unterhalten kann, weil man sich sonst echt einsam fühlt“.

Positive Rückmeldung von Besuchenden

Nun ist auch der Cappuccino fertig und der ältere Mann setzt sich auf einen der bunten Stühle an einen Glastisch. „Ich finde es toll, dass hier alle miteinbezogen werden“, findet er. Sein Fazit: „Es sollte mehr inklusive Cafés geben.“ Auch eine Familie bleibt nach der Turmbesichtigung auf ein Stück Käsekuchen, der von anderen Tagesförderungen gebacken wird. Ihnen ist zunächst nicht aufgefallen, dass im Café Menschen mit einer Beeinträchtigung arbeiten.

Der Weg ist noch lang

Bunte Stühle stehen im Café.
Die bunten Stühle laden nach der Turmbesichtigung zum Verweilen im Café ein. Foto: Miriam Mair

Dennoch zählen sie zu den wenigen Gästen, die tatsächlich im Café verweilen. Die meisten betreten das Café nur, um den Aussichtsturm zu besichtigen oder um eines der Produkte aus den Regalen zu kaufen. Alle Produkte werden von Menschen mit Beeinträchtigungen in Werkstätten und Tagesförderungen hergestellt.

Röh gibt zu bedenken, dass Angebote wie das Café sich häufig in Nischen befinden: „Man müsste an einem größeren Hebel ansetzen, wo Menschen mit einer Behinderung zum Beispiel auch in größeren Ketten arbeiten, und zwar nicht nur hinten in der Küche, was schon häufiger vorkommt, sondern vorne am Tresen.“ Projektkoordinatorin Vogel ist der Meinung: “Manchmal muss man einfach anfangen, denn wenn man nicht anfängt, wird das nie was!“

Miriam Mair, Jahrgang 2001, reiste durch ganz Schweden, um das beste Zimtschneckenrezept des Landes zu finden. Dabei stolperte sie fast über einen Elch und ging freiwillig bei minus 20 Grad baden. In Passau studierte sie Journalistik und Strategische Kommunikation. Während eines Praktikums beim ZDF machte Miriam verschiedene Straßenumfragen. Auch PR reizte sie, bis sie eine Eiscreme vermarkten sollte, die sie nicht mochte. Da war klar: Sie wird Journalistin. Schon als Kind wollte sie werden wie Karla Kolumna, die rasende Reporterin. Das beste Zimtschneckenrezept kreierte Miriam übrigens schlicht selbst. Kürzel: mai

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