Frauen biegen Stahl, Männer machen Mode: Einen Tag lang haben Schüler Berufe kennengelernt, in denen ihr jeweiliges Geschlecht unterrepräsentiert ist. Die Aktion offenbart große Schwächen im deutschen Schulsystem.
Funken sprühen, ein Lichtbogen erscheint, in der Spitze ist er bis zu 9000 Grad Celsius heiß. Jette (12) zieht den pistolenförmigen Schweißbrenner über eine Metallplatte und zeichnet ein mit Kreide gezeichnetes Herz nach. “Schweißen kenne ich nur von Baustellen. Da setzen die Bauarbeiter immer Rohre zusammen. Aber Herzen zu schweißen, ist viel cooler”, sagt sie und schiebt das Visier wieder herunter. Das schützt ihre Augen vor den UV-Strahlen.
Mädchen für MINT-Fächer begeistern
Jette lernt mit acht anderen Schülerinnen im Alter von 12 bis 13 Jahren am Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik der HAW Hamburg einen Beruf kennen, in dem kaum Frauen arbeiten. Schweißtechnik ist Männersache. Auch 15 Jahre nach der Einführung des Girls Day hat sich daran nicht viel geändert. Der Tag soll mehr Mädchen für sogenannte MINT-Fächer begeistern – also für Mathematik, IT, Naturwissenschaften und Technik. Seit 2011 wird er durch den Boys Day ergänzt – zusammen bilden sie den “Zukunftstag”.
Boys Day an der HAW Hamburg
“Noch 10 Sekunden”, ruft Fynn (11) seinem Laborpartner zu, “dann müssen wir wieder Natriumcarbonat hinzufügen.” Im textilchemischen Labor der HAW Hamburg wird exakt nach Anleitung gearbeitet, es herrscht konzentrierte Stille. Vier Jungs sitzen an Mikroskopen, fünf weitere verknoten T-Shirts mit Paketschnur und färben sie ein. Alle tragen weiße Schutzkittel. “Der passt mir wie angegossen“, sagt Marc (12) überrascht. “Bei uns studieren halt viele Mädels – die sind alle so klein“, erklärt Ricarda Faupel, die selbst Bekleidungstechnik studiert und mit den Jungen heute Batikklamotten herstellen möchte.
“Viele stellen sich unter Bekleidungstechnik etwas anderes vor. Sie denken, der Studiengang ist total kreativ, aber das ist er eben nicht immer”, sagt Dr. Katrin Prinz, sie leitet das Labor. In diesem Sommersemester haben sich fünf männliche Studenten eingeschrieben. “Das habe ich so noch nie erlebt“, sagt Prinz. In der Regel bewerben sich noch weniger Männer. Laut Statistischem Bundesamt beträgt in der Textil- und Bekleidungstechnik der Frauenanteil 84 Prozent.
Girls Day bietet Praxiserfahrung
Mit einem lauten Zischen kühlt Jette ihr Metallherz im steinernen Wasserbassin, Dampf steigt auf. Die 12-Jährige besucht zusammen mit ihrer Schwester Lilly (12) den Girls Day. Anfangs hatten sie beim Schweißen etwas Angst, mittlerweile sitzt jedoch jeder Handgriff. “Technische Berufe sind eher gefährlich und die Jungs oft ein bisschen mutiger als die Mädchen”, sagt Lilly. “Aber eigentlich können wir das genauso.”
Trotzdem liegt der Frauenanteil in der Schweißtechnik bei unter drei Prozent. “Viele Mädchen kommen gar nicht auf die Idee, dass Schweißen eine Berufsoption für sie wäre”, sagt Sven Trapp. Er ist technischer Angestellter im Department Maschinenbau. Er betreut die Mädchen und unterstützt den Girls Day. “Viele Schüler haben keine Ahnung, welchen Beruf sie einmal ausüben wollen. Deshalb brauchen wir mehr Praxis und eine stärkere Präsenz der Betriebe in den Schulen”, sagt Trapp.
Im Labor sind die T-Shirts fertig. Sie liegen nass und verknotet auf dem Tisch, die Paketschnüre haben sich beim Schleudergang in der Waschmaschine fast aufgelöst. Neugierig versammeln sich die Jungs um die Textilien und lösen mit ihren Scheren die Knoten. Auch wenn sie im Schnitt erst zwölf Jahre alt sind, denken sie jetzt schon an ihre Zukunft. “Ich wollte am Boys Day einen Frauenberuf ausprobieren, weil ich dann mehr von dem Tag profitiere. Ich kann mir eigentlich schon vorstellen, sowas mal zu machen”, sagt Max (12) und hält sein pinkes T-Shirt freudestrahlend vor sich. Vielleicht sollte es mehr als nur einen Tag im Jahr geben, um solche Erfahrungen sammeln zu können.