„Snacks”: Einmal naschen, bitte!

Albumrezension

Das Cover von Antje Schomakers Album „Snacks
Das Cover von Antje Schomakers zweitem Album „Snacks".

Sexy, verletzlich, gereift: Auf ihrem zweiten Album „Snacks” zeigt Antje Schomaker selbstbewusst ihre Vielseitigkeit und Weiterentwicklung. Vom Peter-Fox-Cover bis zur Liebeserklärung an ihre Mutter reicht das vielseitige Menü.

Fünf Jahre sind eine lange Zeit. In der Musikindustrie sowieso und scheinbar erst recht für Antje Schomaker: Ihr Debütalbum „Von Helden und Halunken” aus dem Jahr 2018 klingt noch nach unscheinbarem Singer-Songwriter-Deutschpop mit Akustikgitarre. Im Titelsong ihres zweiten Albums „Snacks” singt die Wahlhamburgerin stattdessen selbstbewusst und mit zweideutigem Text zu E-Gitarrenriffs: „Ich will Snacks! Mmh, manchmal nehm’ ich sie mit ins Bett, ah-ha. Ich nehm’ sie mir so wie’s mir schmeckt, ah-ja.”

Dass sich Schomaker neu erfunden hat, macht sie später auf dem Album noch einmal unmissverständlich klar mit ihrem Cover des Peter-Fox-Klassikers „Alles neu”, dem sie ein Indierock-Arrangement verpasst: „Mein altes Leben schmeckt wie ‘n labbriger Toast. Brat’ mir ‘n Prachtsteak, Antje kocht jetzt feinstes Fleisch. Bin das Update: Schomaker 1.1″. Dass sich Schomaker von ihrem ersten Label und ihrem alten Management getrennt hat, passt da ins Bild.

Empowerment und toxische Beziehung

Auf ihrem neuen Album greift Schomaker zudem mehrmals die toxische Beziehung zu ihrem Exfreund auf, von der bereits ihr Song „Verschwendete Zeit” handelte. Diese hat sie bis heute nicht vollständig verarbeitet, wie sie in „Zeit heilt einen Scheiß” offenbart: „Er ist schon lang weg. Doch hält mich immer noch fest”. Auch regt sie sich über gutgemeinte, aber wenig hilfreiche Ratschläge auf: „Ich brauch’ deine Weishеit nicht. Die Zeit heilt ‘n Schеiß für mich”.

Die emotionalen Narben mögen vielleicht noch nicht ganz geheilt sein, dennoch klangen einige von Schomakers Songs in letzter Zeit sehr empowernd. Viel Aufmerksamkeit bekam sie für „Ich muss gar nichts“, in dem sich Schomaker gegen die Erwartungen der Gesellschaft und der Musikindustrie an Frauen aussprach. Eine ähnliche Message, wenn auch kindgerecht aufbereitet, hat ihr Lied „Ich bin wichtig“, das sie zur Kindermusikreihe „Unter meinem Bett” beisteuerte.

Verlorene Hipster und Sinnlichkeit

In ihren Songs selbstbewusst und verletzlich: Antje Schomaker. Foto: Pablo Heimplatz.

Die 31-Jährige scheint mittlerweile zu wissen, was sie will. Dass das in der Vergangenheit anders war, wird gleich im ersten Song des Albums deutlich. Der ist ein mitreißender Indiesong mit Hitpotenzial und erzählt von einem „Lost Indieboy“, der seine Hipster-Phase einfach nicht hinter sich lassen kann. Weil er beim Rauchen und Gitarre spielen „ganz fantastisch” aussieht, verfällt ihm Schomaker trotzdem, obwohl sie es eigentlich besser weiß.

Den Indieboy scheint Schomaker aber hinter sich gelassen zu haben. Mittlerweile ist sie in einer glücklichen Beziehung, wie „Nie nach Paris” verrät: „Ein Blick, ein Wort, ein Kuss so wie bei Disney. Ich krieg sofort Gefühle, wenn ich dich seh. Oh-oh, ich wollte nie nach Paris, doch mit dir will ich”. Dabei klingt sie aufrichtig glücklich und weniger angriffslustig als bei anderen Songs.

Wie sinnlich deutschsprachige Musik klingen kann, beweist sie mit „So wie Du“: „Wie du mich bewegst. So wie du deine Hände auf mein’n Körper legst. Hat sich so gut angefühlt. Ich will, dass du mich berührst”. Wenn der Hintergrundgesang dann noch, fast exakt wie bei Max Herres „Mit dir“, „Komm näher, komm näher” haucht, ist klar: „Ich weiß, wohin das hier führt”.

Liebeserklärung, Entschuldigung und Roadtrip

Tiefe bekommt das Album, wenn die Songschreiberin das Tempo rausnimmt und textlich sehr persönlich wird. „Wenn ich mal Kinder hab” ist eine berührende Liebeserklärung („Wenn ich mal Kinder hab, will ich genauso sein wie du”) und Entschuldigung an ihre Mutter, die Schomaker vor einigen Jahren fast durch einen Aortariss verloren hätte: „Ich hab dich angelogen und, und es tut mir leid. Hab nie gewusst wie schwer es ist, für mich da zu sein”.

Das einzige Feature des Albums findet sich beim darauffolgenden Song „Irgendwohin“, bei dem Eva Briegel, Frontfrau der Band Juli, mitsingt. Schomaker singt auf diesem Highlight des Albums, zusammen mit ihrem Jugendidol Briegel, von einem Roadtrip zu zweit. Dabei schafft sie es, in bester Juli-Manier gleichzeitig melancholisch und ausgelassen zu klingen. Wohl auch, weil Zeilen wie „Als es am schönsten war, bist du eingepennt” oder die „Mr Brightside“-Referenz „Und wir sing’n laut und schief: ,Destiny is callin’ me´” mit ihrem Charme den Song genug vom Kitsch distanzieren.

Burnout und innerliche Zerrissenheit

Der Wechsel zwischen Ausgelassenheit und Melancholie, Entschlossenheit und Verletzlichkeit charakterisiert auch die letzten Songs des Albums.

In „Huckepack” singt Schomaker über ein sparsames Arrangement, das dem Text die Hauptrolle einräumt, von ihrem Burnout im vergangenen Jahr. Auch geht es um die Überwindung, sich von ihrem Umfeld auffangen zu lassen. Der Song könnte in Selbstmitleid verfallen. Stattdessen berührt er durch seine Zärtlichkeit, wenn sich Schomaker mit Kopfstimme bei einer befreundeten Person für diese Worte bedankt: „Ich nehm` dich auch Huckepack, bis du dich gefunden hast”.

Auf der Zielgeraden des Albums greift die vom Niederrhein stammende Sängerin Ideen auf, die sie zuvor schon prägnanter behandelt hatte: „Sterne & So” dreht sich erneut um ihre toxische Beziehung, nur nicht so pointiert und persönlich wie „Zeit heilt einen Scheiß”. „Denk nicht an dich” ist textlich zu brav, um die Sexiness und Verspieltheit des Titelsongs zu erreichen. Musikalisch wirkt das Stück mit seinen wabernden 80s-Synthesizern und dem pulsierenden Beat wie eine schwächere B-Seite zu „Verschwendete Zeit”. Mit dem Song „Nichts wirklich ganz” kommt Schomaker zum Abschluss des Albums wieder bei sich selbst an. Nur von behutsam gezupften Gitarrenakkorden begleitet erinnert sie sich daran: „Wer zu viel sеin will, ist nichts wirklich ganz. Wer nirgendwo festhält, geht verlor’n irgendwann”. Die innerliche Zerrissenheit bringt „Huckepack” jedoch griffiger auf den Punkt.

Schomaker findet zu sich selbst

Antje Schomaker ist spätestens mit „Snacks” in der ersten Liga des deutschen Indiepops angekommen. Foto: Pablo Heimplatz.

Auch wenn das Songwriting gegen Ende nicht mehr ganz so mitreißend und bewegend ist, sind Alben wie „Snacks” in der deutschen Musiklandschaft selten: Eingängig und doch markant genug, um sich vom radiotauglichen Einheitsbrei vieler deutschsprachiger Popacts abzuheben. Erwachsen, ohne die Lust am Spielerischen zu verlieren. Vielseitig und doch stimmig im Gesamtklang, offensichtlich genauso, wie Schomaker es haben wollte. Der poppige, bisweilen kontrolliert rockige Sound der hitverdächtigen Songs verleiht „Snacks” Facetten, die auf „Von Helden und Halunken” noch fehlten. Das Gleiche gilt auch für einige ruhigere Momente des Albums, die dank textlicher Tiefe und geschmackvoller Arrangements überzeugen.

Und so ist Antje Schomakers zweites Album viel mehr als nur ein Snack: Der Titel mag zwar darauf anspielen, dass die Hörenden in unterschiedlichen Gefühlslagen jeweils den passenden Song „naschen” können. Als Gesamtkunstwerk ist das Album aber viel mehr ein reichhaltiger und zugleich gut bekömmlicher Hauptgang.

Luca Bradley, Jahrgang 1998, hätte fast Louis geheißen, weil sein Vater Louis Armstrong so liebt, doch seine Mutter legte ihr Veto ein. Luca stammt aus Dormagen, aber mindestens eine Hälfte seines Herzens schlägt für das Geburtsland seines Vaters, England. Er liebt eigentlich jede Art von Musik, außer Schlager und Metal. Luca spielt zwar nicht Trompete wie Louis Armstrong (und nur miserabel Horn), singt aber in einer Big Band und auf Hochzeiten, spielt Gitarre und Klavier. In Düsseldorf studierte er Sozialwissenschaften und startete währenddessen seinen eigenen Musik-Podcast – natürlich über alles außer Metal und Schlager. (Kürzel: luc)