Dieser Film ist wie ein Kaugummi, der niemals seinen Geschmack verliert und sich zum richtigen Zeitpunkt von selbst auflöst. Filmemacherin Christina Ebelt schafft in “Monster im Kopf” mit langen Szenen und wenig Worten maximale Spannung. Was für eine Leistung!

Deutsches Kino bringt Besucher*innen eher selten zum Staunen. Man sieht oft die gleichen Gesichter und hört die gleichen Geschichten. Es wird meistens viel geredet, aber nur sehr wenig gesagt. Der Ausgang ist vorhersehbar. Der Spielfilm “Monster im Kopf” von Christina Ebelt ist da anders. Ganz anders.

Das wird schon in der extrem langen Eingangsszene klar: Die Kamera verfolgt ganz langsam die hochschwangere Hauptfigur Sandra, gespielt von Franziska Hartmann, wie sie von einem Justizbeamten zu ihrer Gefängniszelle geführt wird. Es wird kein Wort gesprochen. Dannn schließt der Beamte die Tür sagt „Tschüss”. Szene vorbei.

Warum ist Sandra im Gefängnis?

So wortkarg geht es weiter in den folgenden 99 Minuten. Regisseurin Christina Ebelt, die auch das Drehbuch geschrieben hat, beschränkt sich in den Dialogen auf das Nötigste. Ihre Hauptfigur Sandra ist sehr verschlossen. Häufig antwortet sie gar nicht oder nur mit einem leichten Nicken auf Fragen, die ihr gestellt werden. In den Zuschauenden löst das Beklemmungen aus. Man will sie schütteln, diese Sandra – sie dazu bringen, endlich mit der Sprache herauszurücken.

Junge Frau liegt mit dem Kopf auf dem Oberschenkel ihrer Mutter.
Die Beziehung zu ihrer Mutter ist für Sandra sehr belastend. Foto: Real Fiction Filmverleih

Dass da etwas in ihr ist, das raus muss, ist von Anfang an klar. Der Film wechselt zwischen ihrer Vergangenheit, bevor sie im Gefängnis saß und der Gegenwart hinter Gittern. Über allem schwebt die ultimative Frage: Warum sitzt Sandra in Haft? Was hat sie Schlimmes getan hat? 

Die Zuschauer*innen werden in Ungewissheit gelassen. Dadurch wirkt jede Szene, die in der Vergangenheit spielt, wie ein Tanz auf der Rasierklinge. Sandra hat offensichtlich Aggressionsprobleme. Bei jedem Gespräch, bei jeder Berührung, hat man Angst, dass sie ausflippt. Christina Ebelt zögert den Moment des Ausbruchs immer weiter hinaus, bis die Spannung fast unerträglich wird. 

Schwangerschaft: Es ist kompliziert

Und dann ist da ja auch noch das Kind. Sandra ist in der Gegenwart schwanger. Es ist eine Risikoschwangerschaft, sie möchte das Kind unbedingt behalten. Vielleicht hat das etwas mit ihrer sehr schwierigen Beziehungen zur eigenen Mutter zu tun. Sandra pflegt ihre Mutter in der Vergangenheit, was ihr viel abverlangt. Teilweise muss sie die Wohnung verlassen, um sich wieder zu beruhigen. Ihre Mutter ist für Sandra der größte Trigger überhaupt.

Junger Mann und junge Frau, die an einem Auto lehnen.
Miki (Slavko Popadic) und Sandra führen eine Beziehung mit Höhen und Tiefen. Foto: Real Fiction Filmverleih

Nebenbei läuft ein Handlungsstrang, in dem ihr fester Freund Miki, gespielt von Slavko Popadic, sich als Automechaniker im Rennsport einen Namen machen möchte. Seine Geschichte ist für den Film aber kaum relevant. Die Beziehung zwischen Sandra und Miki hingegen lässt das Publikum mitfühlen. Sie hat Höhen und Tiefen. Er bringt sie zum Lachen, sie ihn zwischenzeitlich zur Weißglut. 

So wenig wie möglich, so viel wie nötig

Nach “Sterne über uns” (2019) ist es bereits das zweite Mal, dass Christina Ebelt und Franziska Hartmann in einem Film über Mutterschaft zusammenarbeiten. Der Mut zur Stille bei zum Zerbesten angespannter Stimmung ist es, was diesen Film von anderen deutschen Filmen abhebt. Trotz der in die Länge gezogenen Szenen wird er zu keiner Sekunde langweilig. Er ist wie ein Kaugummi, der niemals seinen Geschmack verliert, aber auch nicht unendlich im Mund verbleibt. Er löst sich zum genau richtigen Zeitpunkt von selbst auf.

Franziska Hartmann geht voll auf in der Rolle der toughen und verschlossenen Einzelgängerin. In “Monster im Kopf” lässt Christina Ebelt anderthalb Stunden lang die Bilder sprechen. Und das ist es doch, was Kino ausmacht. Zu diesem Film muss kein Mensch das Drehbuch lesen. Da steht vermutlich nur wenig drin. Was die Regisseurin daraus macht, ist dafür umso beeindruckender.

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Moritz Löhn, Jahrgang 1996, hat schon einmal ein Sachbuch in 30 Tagen geschrieben. “Fußball Fakten – Von der Bundesliga bis zur WM” heißt es und enthält 40 Geschichten über das schönste Spiel der Welt. Fürs Fußballschauen wird Moritz sogar bezahlt: Er tickert für sport.de und hat schon in der Online-Redaktion von Sport1 gearbeitet. Sportjournalismus ist auch sein Berufsziel – am liebsten investigativ. Studiert hat er Medien und Information an der HAW Hamburg. Auch ehrenamtlich engagiert er sich: Er betreut ein Ferienzeltlager in Dänemark und ist Co-Trainer bei der vierten Herrenmannschaft des USC Paloma. Moritz ist Mate- und Mario-Kart-süchtig. Eine gute Grundlage für die nächsten Bücher.
(Kürzel: mol)