Jährlich werden über 10.000 heimatlose Tiere im Tierheim in der Süderstraße aufgenommen. Trotz des drängenden Bedarfs verfallen die Gebäude. Das Geld von der Stadt reicht nicht aus. Wir haben uns vor Ort umgeschaut.
Eine Reportage von Lara Boysen und Marie Auracher
Neben Gebell und Miauen, hört man auch leises Quieken. Von links nach rechts hoppeln Hasen in ihren Käfigen. Gleich bekommen sie ihr Frühstück im Tierheim in der Süderstraße. Die Gebäude sind offen gestaltet, man kann fast überall hineinsehen. Eine Tür ist verschlossen. Dahinter hört man lautes Vogelgezwitscher. „Da sind die kranken Tiere drin“, erzählt Susanne Seeharsch, eine Vollzeitkraft des Tierheims. Vor Kurzem brachte die Polizei über 80 Wellensittiche. „Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie die Küche, in denen die Vögel gelebt haben, ausgesehen haben muss“, so Seeharsch.
„Katzenwelpen aus der Mülltonne“
Tiere, die im Tierheim in der Süderstraße landen, sind aus verschiedenen Gründen dort. Darunter sind Fundtiere wie diese Wellensittiche, die von Behörden oder Privatpersonen abgegeben werden. Eher wenige Privatpersonen geben ihre Tiere ab, da sie sich nicht mehr selbst um diese kümmern können.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.
Tierheimleiterin Urte Inkmann erzählt, dass zudem die steigende Zahlen an psychisch erkrankten Menschen zu Animal Horting führe, dem Sammeln von Tieren. „Das ist eine Krankheit, bei der Menschen einfach die Kontrolle verlieren”, so Inkmann. Kopfschüttelnd erzählt sie, dass sie zudem gestern „Katzenwelpen aus der Mülltonne bekommen“ habe. Alltag im Tierheim.
Mit Blaulicht ins Tierheim
Ein lautes Geräusch ertönt, das Tor geht auf. Ein blauer Wagen mit der Aufschrift „Polizei – Hundekontrolldienst“ fährt aufs Gelände. Zwei Polizistinnen in blauer Uniform steigen aus dem Wagen und gehen zum Empfang. Im Wagen sitzt eine weitere Polizistin, im Arm ein kleiner grauer Hundewelpe mit verängstigten Augen. Er ist ein Listenhund und gilt somit nach deutschem Gesetz, als besonders gefährlich. “Wir sind das Tierheim für die Hansestadt Hamburg, wir nehmen Fundtiere, Sicherstellungen und Isolationstiere auf”, kommentiert Inkmann die Szene.
Dass die Polizei selbst die Fundtiere vorbeibringt, kommt eher selten vor. Täglich übernehmen die hauseigenen Tierrettungsfahrer des Hamburger Tierschutzvereins diese Aufgabe. Sie holen die behördlich aufgenommenen Tiere ab, die auf der Polizeiwache landen.
„Offiziell gehören alle diese Fundtiere der Stadt Hamburg“, sagt Urte Inkmann und kommt damit auf ein Thema zu sprechen, das die Arbeit der Menschen im Tierheim maßgeblich beeinflusst. „Die Stadt sollten im besten Fall also für die Verpflegung der Tiere zahlen“, so Inkmann weiter. Über die Höhe dieser Kosten sind sich die Stadt und das Tierheim seit einiger Zeit aber eher uneinig.
„Bis wohin reicht das Geld“
Die Tiere, die über die Behörden ihren Weg ins Tierheim finden und dort bleiben, würden etwa 80 Prozent ausmachen. „Die dafür entstehenden Kosten wurden und werden nach Vereinbarung mit dem Tierschutzverein festgesetzt und somit vollständig getragen“, sagt Christine Flörke aus der Fachabteilung für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen der Stadt Hamburg. „Doch die Arbeit, die hier geleistet wird, ist nicht annähernd kostendeckend“, so Sven Fraaß, Pressesprecher des Tierheims. Die Ausgaben würden sich unter anderem durch die Inflation mittlerweile auf etwa sieben Millionen Euro belaufen.
Die Stadt Hamburg übernahm bisher knapp zwei Millionen. Nach langen Verhandlungen und einer Kündigung des alten Vertrags im Sommer 2023 wurde die Zahlung für 2024 und 2025 jeweils auf 3,8 Millionen erhöht. Damit ist das Tierheim zwar weiterhin auf Spenden angewiesen, hält es aber für möglich, die Versorgung der Fundtiere erst mal weiter zu gewährleisten. Für die Finanzierung ab 2026 müsste man neu verhandeln, da sich die Kosten durch die Inflation und Krisenzeiten aktuell schwer einschätzen lassen, erklärt das Tierheim.
Für Fraaß ist das Thema eine Gratwanderung: „Bis wohin reicht das Geld, um für das Wohl der Tiere erst mal weiterzumachen?” Die Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg sei oft eine Herausforderung, aber letztendlich steht das Wohlergehen der Tiere an erster Stelle. Es wäre auch möglich, nicht länger mit der Stadt zusammenzuarbeiten und den Betrieb zu privatisieren. Dann würden jedoch die Pflegestellen für die Stadttiere wegfallen.
Das Gelände ist „Bruch und Rott”
Geld wird nicht nur benötigt, um die Tiere täglich mit Nahrung und Medizin zu versorgen. Das „Gelände ist Bruch und Rott”, sagt Urte Inkmann, wenn man sie nach dem Zustand der Infrastruktur ihrer Institution fragt. Das Tierheim sei nach dem Krieg in den 1940er Jahren auf „ Kriegsschutt und Müll“ errichtet worden. Dadurch arbeite der Boden, wodurch sich Gase bilden würden, der Fußboden absacke und damit die Statik der Gebäude bedroht sei, erklärt Inkmann.
„Der Zustand ist besorgniserregend. Im Grunde müsste man alles neu bauen“, sagt auch Sandro Kappe, Fachsprecher für Umwelt und Tierschutz und Öffentlicher Dienst der CDU. Die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz verweist bei Fragen zur baulichen Sicherheit der Gebäude an den Hamburger Tierschutzverein.
2021 wurde eine Befürchtung wahr: Das Katzengebäude im Zentrum des Tierheims brach ein. Die Gemäuer stehen noch, dürfen aber aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden. Ein alter Kratzbaum ist noch zu erkennen, von Steinen und Ästen umgeben. In dem Gebäude seien 150 Katzenplätze gewesen, die ersatzlos wegfielen, so Inkmann: die Tollwutstation, ein Quarantäneraum und der OP-Trakt. Der OP-Trakt sei dann in die alte Hausmeister-Wohnung umgelagert worden. “Wir operiere jetzt im ehemaligen Schlafzimmer des Hausmeisters und röntgen im ehemaligen Wohnzimmer“, sagt die Tierheimleiterin, die auch die leitende Tierärztin ist.
Die einzige Lösung für das Raumproblem und die hohen Reparaturkosten liege in der Errichtung eines völlig neuen Tierheimgeländes mit großzügigen Flächen und modernen Gebäuden. Leider gestalte sich dies momentan als unlösbare finanzielle Herausforderung.
„Wir können ein liebendes Zuhause nicht ersetzen“
Allein im Jahr 2022 hat der Hamburger Tierschutzverein etwa 10.000 Tiere aufgenommen. Davon sind einige nur für einen kurzen Zeitraum dort, wenn etwa ihre Bezugsperson ins Krankenhaus muss. 2022 haben insgesamt 2487 Tiere aus dem Tierheim in der Süderstraße ein neues Zuhause gefunden. Aber bei vielen Tieren dauert es, bis sie wieder bereit zur Vermittlung sind. „Wir tun unser Bestes, um es den Tieren so angenehm wie möglich zu machen, doch wir können ein liebendes Zuhause nicht ersetzen”, sagt Urte Inkmann bedauernd.
„Ohne die Ehrenamtlichen, würden wir gar nicht mehr klarkommen“
Damit sich die Tiere wohl fühlen, kümmern sich 120 Mitarbeiter um sie und um das Gelände. Und dann gibt es noch etwa 200 aktive Ehrenamtliche, die das Team bei allen möglichen Aufgaben unterstützen und „ohne die wir gar nicht mehr klarkommen“ würden, erklärt Urte Inkmann.
Ehrenamtliche Tätigkeiten, sind vor allem Gassi gehen, abwaschen und putzen, aber auch das Vermitteln und Sozialisieren von verängstigten Tieren. So gibt es beispielsweise einmal in der Woche eine Vorlesestunde für besonders scheue Katzen, bei der sie sich an die menschliche Stimme gewöhnen können.