In Dulsberg gibt es eine Werkstatt nur für Frauen. Studentinnen werkeln hier neben Rentnerinnen an ihren Projekten. Warum solch eine Einrichtung auch heute noch wichtig ist, haben wir bei einem Besuch herausgefunden.

Eine Reportage von Amelie Sterz und Sarah Gebhardt

Ein dämmriger Flur führt durch die dritte Etage eines Dulsberger Hochhauses. Links und rechts liegen die Zimmer eines Hostels. Nichts deutet darauf hin, dass hinter einer dieser Türen eine ganz andere Welt liegt: Eine, in der es nach frisch geschnittenem Holz riecht und ein Keramikofen wohlige Wärme ausstrahlt. Die Räumlichkeiten des Vereins Frauenhand-Werkstatt e.V. sind ein überraschend angenehmer Ort – einer, den man im Ambiente des Hochhauses nicht unbedingt erwarten würde.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.

Verteilt auf zwei Werkräume arbeiten mehrere Frauen an ihren Projekten. Während die eine gerade ein großes Brett zersägt, sitzt eine weitere an der Töpferscheibe und formt eine Vase.

Seit über 40 Jahren für Gleichstellung im Handwerk

Die Frauenhand-Werkstatt wurde 1982 gegründet. Sie sollte ein Gegenentwurf in einer Zeit sein, in der Frauen stark in gesellschaftliche Rollen gepresst wurden und nur wenige von ihnen handwerkliche Berufe ausübten. Im sozialen Brennpunkt Dulsberg sollte sie ein Ort sein, an dem Frauen sich geschützt ausprobieren und ihr Selbstbewusstsein stärken können.

Keine Panik an der Keramik – zum Töpfern benötigt man ein ruhiges Händchen

Tatsächlich ist diese Mission nach wie vor aktuell. Auch heute noch ist das Verhältnis der Geschlechter in Handwerksberufen nicht ausgeglichen. Im Jahr 2022 waren nur knapp 20 Prozent der neu Auszubildenden weiblich. In der Frauenhand-Werkstatt gibt es Tischlerei- und Töpferkurse auch für absolute Anfängerinnen. Zu Beginn muss jedes Neumitglied einen einführenden Kurs absolvieren. Danach können die Frauen jederzeit frei arbeiten.

Das hat auch Irene Terzi, 46, hierhergezogen. Wegen einer Verletzung am Handgelenk konnte sie sich ihren Traum von einer Tischlerausbildung nicht erfüllen. Im Rahmen eines Praktikums baute sie dann trotzdem kurze Zeit später ihren ersten eigenen Schreibtisch.

Beruflich ging es bei Terzi zwar in Richtung Innenarchitektur, doch in ihrer Freizeit kam sie immer wieder aufs Tischlern zurück. “Ich mag den Duft, ich mag das Gefühl, ich mag den Staub überall”, sagt sie. Jetzt ist sie seit einigen Monaten Mitglied der Frauenhand-Werkstatt. Stolz zeigt sie Bilder ihrer bisherigen Werke: Ein Schaukelstuhl für ihre Schwester und dann ein buntes Regal für ihre eigene Wohnung.

Irene Terzi verbringt mal ein paar Stunden, mal mehrere Tage die Woche in der Werkstatt und lebt sich aus. “Wenn ich eine Million Euro gewinnen würde und nicht mehr arbeiten müsste, würde ich immer noch Tischlern”, sagt sie.

Aufnahmestopp für Neumitglieder

Terzi gehört zu den Glücklichen, die noch einen Platz als Vereinsmitglied ergattern konnten. Seit dem DIY-Boom in der Corona-Pandemie ist vor allem das Töpfern immer beliebter geworden. “Es ist was richtig Meditatives, es zwingt einen zu einer Ruhe, die viele neben ihrem stressigen Arbeitsalltag suchen”, sagt Sabine Adam. Sie ist seit zehn Jahren Mitglied des Vereins und übernimmt zudem administrative Aufgaben.

In diesem Moment klingelt das Telefon – eine weitere Mitgliedsanfrage, die Sabine leider ablehnen muss. Das Handwerken im Verein ist so beliebt geworden, dass die Frauenhand-Werkstatt einen Aufnahmestopp verhängen musste. Die vielen Anfragen übersteigen die Kapazitäten der kleinen Hamburger Werkstatt.

Mittlerweile gibt es knapp 100 Vereinsmitglieder. In der Werkstatt trifft man beispielsweise regelmäßig eine 20-jährige Studentin, die mit ihrem Pinterest-Board vor Augen ihr eigenes Regal baut. Oder eine 83-jährige Rentnerin, die an der Werkbank sitzt und Tassen für ihre Enkel bemalt. Ihnen allen bietet der Verein einen Ort, um praktisch zu arbeiten.

Die Werkstatt besteht aus einem Raum für Holzhandwerk und einem für Keramik

Adam zeigt auf die deckenhohen Regale, gefüllt mit Tellern, und Tassen, Tonskulpturen und Blumentöpfen. Sie zieht ein kleines Holzstück aus einer großen Kiste am Boden. Wo andere ihre Holzabfälle entsorgen, findet sie ein Teil ihres nächsten Projekts. „Man findet immer mal schöne Teile. Das hier sieht aus, wie ein kleines Haus“, sagt sie grinsend.

Als Frau unter Männern hat man es nicht leicht

Sabine Adam war in den 1980er-Jahren als Informationselektronikerin tätig. Sie merkte schnell, dass man es als Frau im Handwerk nicht leicht hat. “Ich wurde von den Männern einfach nicht richtig ernst genommen“, sagt sie. Man habe zwar seine Ausbildung, stehe aber trotzdem immer an letzter Stelle. „Man will ja nicht irgendwo arbeiten und nichts tun, dann kocht man eben Kaffee und räumt auf“, so Sabine weiter. Dadurch schlüpfe man wieder in die Rolle, aus der man eigentlich raus möchte.

Das bestätigt auch Sarah Kautscher von der Handwerkskammer Hamburg. Als einzige Frau auf einer Baustelle mit dreißig Männern müsse man sich immer wieder gegen Mobbing und Sexismus behaupten, sagt sie. Auch heute noch: In Bauhauptgewerben wie Dachdecken oder Straßenbau sind Frauen mit etwa zehn Prozent nach wie vor kaum vertreten. Dadurch fühlen sich viele diesem Berufsfeld nicht zugehörig. Es fehle an Vorbildern

Kautscher wünscht sich dort deshalb dringend mehr Frauen. “Was die Leistungen betrifft, schneiden Frauen tendenziell erfolgreicher ab”, sagt sie. Bei der Landessiegerehrung 2022 für die besten Azubis des Jahres waren zwei Frauen in den Top Drei aller KFZ-Mechatroniker*innen.

Frauen dominieren im personenbezogenen Handwerk

Handwerksberufe wie Kosmetiker*in, Friseur*in oder Optiker*in werden schon jetzt großteilig von Frauen ausgeübt. Etwa 80 Prozent der Stellen im personenbezogenen Handwerk sind mit Frauen besetzt. Auch Fotografinnen, Raumausstatterinnen und Frauen im Gesundheitshandwerk sind keine Seltenheit. Der vorherrschende Fachkräftemangel sorgt dafür, dass sich mehr Betriebe für weibliche Auszubildende öffnen und mehr Flexibilität bieten. Das vereinfacht die Vereinbarkeit von Berufsleben und Familie. Maschinen unterstützen außerdem immer mehr bei körperlich anstrengenden Aufgaben.

Um mehr Schülerinnen für Handwerksberufen zu interessieren, müsse das soziale Umfeld ihnen eine geschlechtersensible Berufsorientierung vorleben, so Kautscher. Auch Darstellungen von Handwerksberufen in sozialen Medien seien dafür hilfreich. Zusammen mit ihrer Kollegin Ragna Sekora betreut sie das Frauennetzwerk der Handwerkskammer. Aus ihren Büros in der Hamburg Neustadt beraten Handwerkerinnen, die nach ihrer Ausbildung einen Meistertitel oder die Selbstständigkeit anstreben.

Sekora und Kautscher halten Netzwerke wie dieses oder die Frauenhand-Werkstatt für essentiell, um mehr Frauen für das Handwerk zu gewinnen.

Putz-und-Plausch-Abende für den Austausch

Zurück in der Frauenhand-Werkstatt: Stolz zeigt Sabine auf die Kisten, die sich neben ihr stapeln. Bis zum Rand sind sie gefüllt mit Holzbrettern, bunten Schalen und Kerzenständern. Nach wochenlanger Arbeit steht nun alles bereit für einen Markt im Museum für Kunst und Gewerbe. In der Werkstatt findet zudem regelmäßig der Putz-und-Plausch-Abend statt, wo die Werkstatt nach internationalen Köstlichkeiten duftet, alle gemeinsam putzen und sich gegenseitig ihre Projekte zeigen. Das motiviert und schafft Zusammenhalt – da sind sich Irene und Sabine einig.