Martina Zurhold setzt sich mit dem Verein Rockcity Hamburg für nachhaltigere Konzerte und Tourneen ein. Warum Förderprogramme wie der Green Touring Fonds für sie erst der Anfang sind, erzählt sie FINK.HAMBURG im Interview.
Der Verein Rockcity Hamburg sieht sich als das Sprachrohr der Hamburger Musiker:innen in Politik und Musikbranche. Zu seinen Angeboten gehört ein Beratungspool für Hamburger Musiker:innen, der Förderpreis „Krach + Getöse” und die Newcomer:innen-Reihe „Made in Hamburg” in der Elbphilharmonie. Seit 2023 fördert der Verein mit dem Green Touring Fonds Konzertreisen von Hamburger Künstler:innen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Martina Zurhold ist bei Rockcity Hamburg für Nachhaltigkeitsthemen zuständig. Im Interview mit FINK.HAMBURG spricht sie darüber, in welchen Bereichen das Musikbusiness nachhaltiger werden könnte.
FINK.HAMBURG: Wie wollt ihr das Musikbusiness nachhaltiger machen?
Martina Zurhold: Großveranstaltungen wie Konzerte und Festivals sind sehr, sehr ressourcenintensiv. Deshalb ist das der Bereich, wo man als allererstes mal anfangen sollte. Und da lag für uns ein Modell wie der Green Touring Fonds nahe. Die Rockcity fördert nämlich seit Jahren schon Acts aus Hamburg finanziell, insbesondere Newcomer:innen. Durch den Austausch mit den Künstler:innen und Aktionen von Acts wie Milky Chance, die ihren Merchandise auf Second Hand Produkte umgestellt haben, und Seeed wissen wir, dass immer mehr Musiker:innen auf Nachhaltigkeit achten. Deswegen haben wir im Sommer 2023 unser Angebot um den Green Touring Fonds erweitert. Das ist eine Variante unserer Förderung, die den Fokus auf Nachhaltigkeit legt. Dabei erstatten bis zu 70 Prozent beziehungsweise maximal 1.000 Euro der Reisekosten von Künstler:innen aus Hamburg, die mit dem öffentlichen Personennah- und Fernverkehr zu Auftritten gereist sind.
Und was ist euer Hintergedanke dabei?
Wir möchten damit einen Anreiz schaffen, wirklich darüber nachzudenken: Kann ich die Konzertlocations auch irgendwie anders als mit einem klassischen Bus, LKW oder PKW erreichen? Wenn es um das europäische Ausland geht: Kann ich die Flugreise substituieren? Das ist in erster Linie eine Zeit- und eine Geldfrage, bei der wir die Künstler:innen bei ihrer Entscheidung für nachhaltigere Reisen unterstützen wollen. Prädestiniert dafür sind DJs und DJanes, die oft ohnehin nicht viel Equipment transportieren müssen. Aber auch Bands können beim Touring Ressourcen schonen.
Ihr erstattet das Geld ja erst im Nachhinein. Ist das nicht ein großes Risiko für die Künstler:innen, eventuell auf den Kosten sitzen zu bleiben?
Generell versuchen wir schon, so viele Künstler:innen wie möglich zu fördern. Deswegen haben wir auch den maximalen Förderbetrag pro Person gedeckelt. Ich kann also nur dazu ermutigen, die Förderung zu beantragen und keine Angst zu haben. Bei Fragen helfen wir gerne weiter und boxen da, wenn möglich, jeden und jede durch. Für uns ist es auch wichtig, alle Fördermittel auszugeben: So können wir beim nächsten Antrag für Gelder bei der Kulturbehörde bzw. der Stadt Hamburg darauf verweisen: Beim letzten Mal wurde der Topf für den Green Touring Fonds ausgeschöpft. So können auch weiterhin viele Künstler:innen, die Ressourcen schonend touren, davon profitieren.
Welches Feedback hast du denn von Musiker:innen zum Green Touring Fonds bekommen?
Super positives! Der Singer-Songwriter Enno Bunger meinte zum Beispiel, wie einige andere Musiker:innen auch, dass es so ein Angebot auch bundesweit geben müsste. Aber so hilfreich die Erstattung der Fahrtkosten auch ist: Meiner Erfahrung nach steht für die Musiker:innen, die bisher einen Antrag gestellt haben, eher nicht die Kohle im Vordergrund, sondern tatsächlich der nachhaltige Gedanke. Das sind also Menschen, die sich wirklich Gedanken darüber machen, wie man nicht nur das Touring, sondern auch andere Bereiche nachhaltiger gestalten kann.
In welchen Bereichen siehst du noch Potenzial für mehr Nachhaltigkeit?
Wir sind in einem engen Kontakt mit dem Clubkombinat, in dem sich viele Hamburger Clubs zusammengeschlossen haben. Darüber bekommen wir mit, dass in den Clubs auch teilweise schon gemessen wird: Wo wird eigentlich die meiste Energie verbraucht und wie können wir das reduzieren? Denkbar wäre auch, alle großen Hamburger Konzertlocations mit Ökostrom zu betreiben. Das ist aber noch nicht der Fall. Bei Rockcity haben wir auch noch einen anderen Bereich im Blick: Die Musikproduktion. Deshalb haben wir mit ein paar Studios und auch mit Proberaumbetreibern gesprochen. Unsere Erkenntnis: Bezüglich des Energieverbrauchs ist das noch ein weißes Blatt Papier. Viele wissen da gar nicht, wie viel Strom eigentlich verbraucht wird oder was die energieintensiven Geräte sind, bei denen man Energie einsparen kann.
Kannst du mir dafür ein Beispiel nennen?
Ein Produzent sagte mir, dass er versucht, weniger Analoggeräte zu verwenden, weil die wahnsinnig stromintensiv seien. Das wusste ich vorher auch noch nicht. Großveranstaltungen wie Festivals sind auch ein wichtiger Bereich, was den Energieverbrauch angeht. Bei Festivals ist zum Beispiel immer noch die Regel, dass die Stromgeneratoren mit Diesel betrieben werden. Das geht einfach nicht mehr. Aber Veranstalter:innen werden nur in grüne Technik investieren, wenn sie auch die Sicherheit haben, dass sie die nächsten Jahre auf diesem Gelände veranstalten dürfen.
Das klingt so, als würdest du damit die Politik in die Pflicht nehmen…
Genau, damit bin ich auch nicht allein. Generell habe ich das Gefühl, dass das Credo in der Hamburger Musikszene lautet: Wir würden vieles gerne auf nachhaltige Alternativen umstellen, aber die Politik kann nicht alles auf die privatwirtschaftliche Ebene abwälzen und sagen: Ihr seid die Veranstalter, also kümmert euch darum, dass ihr nachhaltig werdet. Das ist seitens der Stadt und der Lokalpolitik einfach zu kurz gedacht.
Wie viel CO2 könnte denn ein nachhaltiges Musikbusiness in Hamburg bzw. Deutschland einsparen?
Darüber gibt es, auf ganz Hamburg oder Deutschland bezogen, leider keine Zahlen. Im Vereinigten Köngreich gibt es die. Dort hat man herausgefunden, dass die Musikindustrie nur ein Bruchteil von dem ganzen Einsparpotenzial ist, was man generell hat. Um nochmal auf Deutschland zurückzukommen: Ein Tempolimit würde deutlich mehr einsparen. Aber: Die große Chance der Musikbranche ist es, Öffentlichkeit und Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit zu schaffen. Wenn sich Musiker:innen auf die Bühne stellen oder auch in Interviews erklären, warum ihnen dieses Thema wichtig ist, dann ist davon auszugehen, dass das auch etwas in den Köpfen ihrer Fans und Hörer:innen bewegt.
Luca Bradley, Jahrgang 1998, hätte fast Louis geheißen, weil sein Vater Louis Armstrong so liebt, doch seine Mutter legte ihr Veto ein. Luca stammt aus Dormagen, aber mindestens eine Hälfte seines Herzens schlägt für das Geburtsland seines Vaters, England. Er liebt eigentlich jede Art von Musik, außer Schlager und Metal. Luca spielt zwar nicht Trompete wie Louis Armstrong (und nur miserabel Horn), singt aber in einer Big Band und auf Hochzeiten, spielt Gitarre und Klavier. In Düsseldorf studierte er Sozialwissenschaften und startete währenddessen seinen eigenen Musik-Podcast – natürlich über alles außer Metal und Schlager. (Kürzel: luc)